Der Übergang zu einem vollständig erneuerbaren Energiesystem stellt das Stromnetz vor enorme Herausforderungen. Während konventionelle Kraftwerke mit ihren rotierenden Massen Frequenz und Spannung stabilisieren, fehlt diese Eigenschaft Photovoltaik-, Wind- und Batteriesystemen. Genau hier setzt die Grid-Forming-Technologie an.
Im Webinar „Grid Forming – Schlüsseltechnologie für 100 Prozent erneuerbare Energien?“, veranstaltet von ERNEUERBARE ENERGIEN und Huawei Fusionsolar, erläuterte Mohammed Qudaih, CTO von Huawei Fusionsolar Deutschland, warum Grid Forming zur Voraussetzung einer sicheren Stromversorgung wird – und wie sie schon heute wirtschaftlich interessant ist. Hier geht es zur Webinar-Aufzeichnung.
Ein Beispiel lieferte der spanische Blackout: Zahlreiche Grid-Following-Wechselrichter brachen weg, weil sie der sinkenden Frequenz folgten. Netzbildende Systeme dagegen hätten die Frequenz stabilisiert und das Netz gestützt. Im Unterschied zu klassischen Anlagen geben Grid-Forming-Wechselrichter selbst Spannung und Frequenz vor – sie übernehmen damit Aufgaben konventioneller Generatoren, vom Spannungsmanagement bis zur Black-Start-Fähigkeit. Nur wenn Erzeuger aus Sonne, Wind und Speicher netzbildend agieren, ist eine 100 Prozent erneuerbare Stromversorgung stabil möglich, so Qudaih.
Praxisprojekte weltweit
Huawei präsentierte im Webinar internationale Großprojekte, die bereits Grid-Forming-Technologie nutzen – etwa den Red Sea Microgrid Park in Saudi-Arabien (400 MW PV, 1,3 GWh Speicher) oder die Huarun Jipin Power Station in China (100 MWh Speicher). Aufwändige Tests unter verschiedenen Netzbedingungen belegten die Stabilität der Technologie – inzwischen auch in europäischen Forschungsprojekten. Regulatorisch ist das Thema längst angekommen: Das VDE/FNN hat Anforderungen und Nachweisverfahren festgelegt, und 50Hertz startete 2024 einen neuen Markt für Blindleistungsbeschaffung. Damit wird Grid Forming nicht nur notwendig, sondern auch lukrativ – große Batteriespeicher können künftig durch Netzstabilisierung neue Erlöse erzielen.
Wann Grid Forming in europäischen Netzen dominiert, wurde im Webinar kontrovers diskutiert – viele rechnen mit einer breiten Anwendung innerhalb von fünf Jahren. Einigkeit bestand: An dieser Technologie führt kein Weg vorbei. „Grid Forming ist kein Trend, sondern die technische und wirtschaftliche Basis der Energiewende“, fasste Qudaih zusammen. Mit wachsender Projekterfahrung, sinkenden Kosten und klaren Standards tritt die Technologie in die Phase breiter Umsetzung. Grid Forming bildet damit das Fundament einer neuen Netzstabilität – einer, in der leistungselektronische Systeme die Aufgaben der alten Generatoren übernehmen.