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Rückbau von Kernkraftwerken – ein Kommentar

Kraftwerksbetreiber bleiben in der Pflicht

Mit dem Vertrauen ist es so eine Sache. Es kompensiert Nichtwissen, wie der Soziologe Georg Simmel in seiner Philosophie des Geldes nachgewiesen hat. Doch die Bundesregierung wollte sich mit dem Nichtwissen nicht zufrieden geben. Das Ergebnis ist in Gutachten darüber, ob die Betreiber der deutschen Kernkraftwerke in der Lage sind, die Altlasten auch zu beseitigen. Die Konsequenz daraus ist ein neues Gesetz, dass sie in der finanziellen Pflicht behält. Also erst einmal alles gut – zumindest theoretisch.

Prognosen ungewiss

Doch die Praxis sieht anders aus. Denn niemand weiß, ob die Unternehmen überhaupt noch existieren, wenn die Entsorgungskosten anfallen – immerhin über einen Zeitraum von voraussichtlich 80 Jahren. Die Höhe und der Zeitpunkt der Fälligkeit ist völlig ungewiss. Nun haben die Konzerne Rückstellungen gebildet, um die Verpflichtungen auch zu finanzieren. Immerhin fast 38,3 Milliarden Euro stehen in den Büchern von Eon, RWE, EnBW, Vattenfall und SWM dafür bereit. Doch eben nur in den Büchern. An dieser Stelle muss man wissen: Rückstellungen sind Verbindlichkeiten und gehören nicht mit zum Eigenkapital. Grob gesagt sind es Schulden, die die Atomkonzerne bilanzieren. Das hat gleich zwei Haken. Zum einen weiß niemand, wann diese Schulden fällig werden. Deshalb sind auch die Prognosen ungewiss, ob die Rückstellungen tatsächlich ausreichen. So zumindest beschreiben die Autoren des Gutachtens das Problem. „Die Bestimmung eines sicheren, absolut richtigen Werts der Entsorgungsverpflichtung ist grundsätzlich nicht möglich“, erklären sie. Sie haben deshalb eine gewisse Bandbreite bei der Bewertung angelegt und dabei verschiedener Parameter berücksichtigt.

Rückstellungen werden steuerlich geltend gemacht

Der zweite Haken fließt nicht mit in die Betrachtung der Gutachter ein. Der Steuerzahler muss nämlich mittelbar die Entsorgung und den Rückbau der atomaren Altlasten mit bezahlen. Schließlich werden Schulden in den Bilanzen als steuermindernd geltend gemacht. Damit zahlen die Energiekonzerne weniger Steuern, weil sie die Rückstellungen bilden. Dieses Geld fehlt wiederum im öffentlichen Haushalt. Ein besserer Weg wäre hier, die Kosten für die Entsorgung der Altlasten gleich mit in den Strompreis zu integrieren und die Konzerne zu verpflichten, in einen Fonds einzuzahlen, der dann die Entsorgung und den Rückbau bezahlt.

Nicht aus der Verantwortung stehlen

Dann würden nicht nur die tatsächlichen Kosten für den Atomstrom offenbar, sondern auch sichergestellt, dass sich die Konzerne nicht aus der Verantwortung stehlen. Schließlich hat Eon schon gezeigt, wie so etwas geht, indem das Unternehmen alle konventionellen Kraftwerke ausgelagert und dem eigentlichen Unternehmen hauptsächlich die Sparte der erneuerbaren Energien belassen hat. Zwar hat der Konzern seine Atomkraftwerke nicht mit in die neue Gesellschaft ausgelagert, aber das Damoklesschwert schwebt. Denn wenn die Kernkraftwerke ebenfalls ausgelagert werden, ist das eigentliche Unternehmen aus der Verantwortung, wenn es an die Bezahlung der Entsorgung der Altlasten geht. Denn die Atomkraftwerke gehören dann einer anderen Gesellschaft, die Eon im Zweifelsfall auch Pleite gehen lassen kann.

Altlasten finanzieren

Nun hat die Bundesregierung endlich reagiert und ein Gesetz auf den Weg gebracht, das es den Atomkonzernen unmöglich machen soll, sich aus der Verantwortung zu stehlen. „Eltern haften für ihre Kinder“, so beschreibt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) den Tenor dieses Gesetzes. Es legt fest, dass das eigentliche Unternehmen, das die Atomkraftwerke ursprünglich betrieben hat, auch weiterhin in der Pflicht ist, die Beseitigung der Altlasten zu finanzieren. Damit können die Stromkonzerne die Atomkraftwerke zwar auslagern, ja selbst verkaufen. Doch sie müssen trotzdem mit bezahlen.

Kosten sind kaum zu beziffern

Die Kosten belaufen sich auf satte 47,5 Milliarden Euro zu heutigen Preisen. Das ist aber nur ein Teil. Denn der Rückbau der Kernkraftwerke bis auf die grüne Wiese ist nicht zwingend vorgeschrieben. Würden die Kernkraftwerke tatsächlich vollständig zurückgebaut werden, kommen nach Schätzungen der Gutachter noch einmal 400 Millionen Euro dazu. Außerdem werden bis zur vollständigen Stilllegung der Kernkraftwerke weitere Brennstäbe verbraucht, die ebenfalls gelagert werden müssen. Dies kostet zusätzliche 900 Millionen Euro. Insgesamt belaufen sich also die Kosten für die Entsorgung nach heutigen Preisen auf 48,8 Milliarden Euro. Die Gutachter rechnen dabei mit Kostensteigerungen durch die Inflation von 1,6 Prozent jährlich. Die Atomkonzerne bilanzieren die inflationsbedingten Kostensteigerungen sogar mit 1,97 Prozent pro Jahr. Allein daraus ergibt sich eine Kostensteigerung auf bis zu 77,4 Milliarden Euro.

Zinserwartungen sind unrealistisch

Zusätzlich gehen die Konzerne davon aus, dass die Rückstellungen mit vier bis 4,8 Prozent verzinst werden. Sie legen dafür die Zinssätze zugrunde, die auf Renditen aus langfristigen deutschen Staatsanleihen erwirtschaftet werden. ein schöner theoretischer Wert. Doch dir Gutachter sehen richtig, dass die Entsorgungverpflichtungen keine sicheren Staatsanleihen, sondern mit einem hohen Risiko verbunden sind. Schließlich ist es unsicher, ob die Rückstellungen überhaupt ausreichen. An dieser Stelle müssten die Konzerne einen Risikoaufschlag oder einen geringeren Zinssatz zugrunde legen.

Kraftwerksbetreiber haben genug Geld – noch

Zwar haben die Atomkonzerne derzeit genügend Reinvermögen, um die Entsorgung zu bezahlen. Doch wie es mit den Unternehmen im Zuge der Energiewende weitergeht, weiß niemand. Schließlich hat die alte Energiewirtschaft schon jetzt unter dem Druck schwindender Einnahmen zu leiden. Sollten die Geschäftsmodelle im Verlauf der Energiewende weiter wegbrechen, sieht es gar nicht mehr so gut aus mit den Vermögenswerten der Konzerne. Das heißt, derzeit wären die Konzerne in der Lage, die Entsorgung der Altlasten zu bezahlen. Das kann aber in 30 oder 50 Jahren schon ganz anders aussehen. Zwar gibt es Schätzungen, wie sich die Nettoeinnahmen der Atomkonzerne entwickeln. Doch geben die Gutachter zu bedenken, dass das ganz unsicher ist. Wie die aus diesen Ergebnissen herauslesen, dass die Finanzierung des Rückbaus der Atomkraftwerke und der Endlagerung der Brennstäbe sichergestellt ist, bleibt schleierhaft. Zumindest ist es eine verkürzte Darstellung des Gutachtens, dass zu dem Ergebnis kommt, dass die Rückstellungen durchaus ausreichen könnten, doch daraus nicht abgeleitet werden kann, dass die Finanzierung künftiger Entsorgungskosten sicher ist.

Eine Fondslösung wäre besser gewesen

Allein deshalb ist das Gesetz, das die Konzerne in der Pflicht behält, um so dringlicher. Es hätte schon längst auf den Weg gebracht werden müssen. Doch bleibt es ein Minimum an Regelung der Absicherung, dass die Atomkraftwerke auch wirklich zurückgebaut und die Brennstoffe auch wirklich sicher eingelagert werden. Hier wären sicherlich auch andere Wege möglich gewesen. Schweden macht es vor. Dort müssen die Betreiber von Atomkraftwerken in einen externen Fonds einzahlen, aus dem die Entsorgung finanziert wird. Selbst das Atomland Frankreich macht es seinen Kernkraftwerkern nicht so einfach wie die Bundesregierung. Dort müssen die Konzerne interne Rückstellungsfonds bilden. In jeder anderen Branche sind solche Regelungen Gang und Gäbe. Nur die alte Energiewirtschaft bekommt hier einen Vertrauensbonus, den sie vielleicht verdient, vielleicht aber auch nicht. (Sven Ullrich)