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Klimapolitik

Atomenergie sticht Klimaschutzgesetz

Tilman Weber

Am Mittwoch der dritten Dezemberwoche und der letzten Sitzungswoche des deutschen Parlaments in diesem Jahr ist Deutschlands erstes Klimaschutzgesetz in Kraft getreten. Das neunseitige Regelwerk bestimmt erstmals einen Fahrplan für die Emissionsminderung in den wichtigsten Energieverbrauchssektoren mit jährlichen Höchstwerten des noch erlaubten CO2-Ausstoßes. Von 2020 bis 2030 muss Deutschland demnach in den Sektoren Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft sowie Abfallwirtschaft jährlich die Emissionen des für den Klimawandel verantwortlichen Kohlendioxids (CO2) mehr abbauen. Als sechster Sektor zählt die besonders wichtige Energiewirtschaft, für die es bis 2030 aber nur je ein Zwischenziel für 2020 und 2022 gibt.

Als große Neuheit in der deutschen Energiewende- und Klimaschutzpolitik feiert das von der sozialdemokratischen Politikerin Svenja Schulze geführte Bundesumweltministerium insbesondere, dass fünf verschiedene Bundesministerien für die jeweils thematisch ihnen zugeordneten Sektorenziele verantwortlich werden. „Ab jetzt sind alle Ministerien Klimaschutzministerien“, hatte Schulze bereits im Oktober bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfes im Oktober geurteilt. Wenn Sektoren die jährlichen CO2-Emissionsobergrenzen ihrer Sektoren nicht einhalten, müssen die Ministerien nun binnen weniger Wochen einen Maßnahmenplan im Kabinett vorlegen, in dem sie beschreiben, mit welchen Verordnungen und Zusatzregelungen sie wieder auf den Pfad zurückkommen wollen. Ein Expertenrat soll die Arbeit am Klimaschutz unabhängig beraten. Die Emissionsminderungen aller sechs Sektoren zusammen sollen zu einem Abbau des CO2-Ausstoßes in Deutschland bis 2030 um 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 führen.

Klimaschutzgesetz ohne Sanktionsmöglichkeit

Doch das Gesetz enthält vor allem ein wesentliches Element gerade nicht, das im Entwurf zu besonders großem Ärger vor allem bei Ministern aus den Reihen des Koalitionspartners CDU/CSU geführt hatte. Anders als im Referentenentwurf müssen die Ministerien beim Verpassen ihrer jährlichen Ziele nicht aus eigenen Haushaltsmitteln für die jeweiligen Folgekosten aufkommen. Etwa Strafzahlungen an die EU für das Überschreiten nationaler und EU-weit verbindlicher Emissionslimits hätten hier die säumigen Ressorts belastet.

Ein weiteres lässt das Inkrafttreten des Gesetzes eher wenig zur Beachtung kommen: So gingen dem ersten Geltungstag des Klimaschutzgesetzes in kurzer Folge zwei weitere zumindest bundes- bis sogar europaweit diskutierte Klimaschutz-Handlungen der Politik voraus. Schon am Freitag hatten die Regierungschefs der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) in ihrem offiziellen Beratungsgremium Europäischer Rat eine Erklärung zur weiteren Klimapolitik verabschiedet, um die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen. Die sogenannten Pariser Ziele der Weltklimaverhandlungen von 2015 sehen vor, dass die Weltgemeinschaft die Erderwärmung im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten auf unter 2 Grad begrenzen muss und so gut wie möglich eine Erwärmung um nur 1,5 Grad anstreben soll. Und wenige Tage zuvor hatte die deutsche Chefin der Verwaltung der EU, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, in der Kommission die Annahme eines Programmentwurfs für einen Green Deal der EU erreicht. Der Green Deal soll ein grünes, weil nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Europa mit insbesondere Entwicklungen und wirtschaftlichen Fortschritten beim Ausbau neuer Effizienz- und Energietechnologien anstoßen.

Neue CO2-Preise für Verkehr und Wärme

Und Anfang dieser Woche hatte sich dann sogar noch der Vermittlungsausschuss von Bundesrat und Bundestag darauf geeinigt, dass der von der Regierung beschlossene Einstieg in einen CO2-Preis für Emissionen auch im Verkehr und im Wärmesektor nun doch 25 statt nur 10 Euro pro Tonne kosten soll. Einige begleitende Maßnahmen wie die Senkung der Mehrwertsteuer für Züge von 19 auf 7 Prozent sowie die Senkung der sogenannten EEG-Umlage zur Finanzierung der Vergütung von Erneuerbare-Energien-Stromerzeugungsanlagen oberhalb des Börsenstrompreises sollen dafür sorgen, dass der CO2-Preis vernünftig wirkt: Dass Reisende vom Auto in die klimafreundlichere Bahn umsteigen und dass der Strompreis sich durch den Ausbau erneuerbarer Energien nicht so verteuert.

Doch noch ein anderes lässt das Klimaschutzgesetz kaum mehr Beachtung gewinnen: Die Abschlusserklärung der EU-Staatenlenker im Europäischen Rat merkte auf Druck mehrere Länder und vor allem Tschechiens an, dass alle EU-Länder ihren Energiemix selbst gestalten können sollen. Und manche Länder würden eben Atomkraft nutzen.

Aufkommende Stromlücken-Debatte

Und der Verweis auf die Atomkraft steht nicht allein. Der Grund ist hier zu finden: Weder Bundesregierung noch die EU erklärten in den vergangenen Monaten und Wochen, wie sie den für eine Energie- und Klimawende weg von einer CO2-verursachenden Kohlewirtschaft notwendigen Erneuerbaren-Ausbau erreichen wollen. Sowohl in Deutschland als auch in der EU nehmen Debatten über drohende Stromlücken durch das Abschalten von Kohlekraftwerken wieder Fahrt auf. In Deutschland war in dieser Woche auch kaum mehr ein großer Nachrichtensender oder großes Printmedium Abseits gestanden. „War der Atomausstieg ein Fehler“, schrieb der Spiegel am Mittwochmorgen.

Wieso Politiker aus den regierenden Parteien eine solche Debatte aufkommen lassen, ohne eine 100-Prozent-Erneuerbaren-Wende zu verteidigen, müssen wohl die Wähler sie fragen.