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Kommentar zu Windernte 2018

Die 110-Terawattstunden-Aufgabe

Tilman Weber

Die tagesaktuellen Diagramme des Fraunhofer-Instituts in Freiburg lassen keinen Zweifel: Bereits am heutigen 13. Dezember werden die Windparks in Deutschland den Rekord von rund 103 Terawattstunden (TWh) in einem Jahr ins Stromnetz eingespeister Elektrizität einstellen. Nüchtern betrachtet ist es ein eher maues Ergebnis. Denn vorausgegangen war 2017 ein Ausbau der Erzeugungskapazität um vielleicht einmalige 6,5 Gigawatt (GW). Ein solches Zubauvolumen übertrifft bisher selbst der weltweit zweitgrößte Windenergiemarkt USA trotz fast 30-fach größerer Landfläche nur in guten Jahren.

Mehr als die Hälfte dieser 6,5 GW war erst in der zweiten Jahreshälfte ans Netz gekommen – und viel davon erst Ende 2017. Allein 3,5 GW des 2017-er Zubaus trugen somit erstmals in diesem Jahr gewichtig zur Mehrerzeugung bei. Zusammen mit der zusätzlich im ersten Halbjahr dieses Jahres neu ans Netz angeschlossenen Nennleistung von 1,6 GW verstromten also die Turbinenparks 2018 den Wind binnen zwölf Monaten überwiegend mit rund fünf GW mehr. Erweist sich der Dezember 2018 zum Jahreswechsel nicht doch noch als ganz außergewöhnlich windstark dürfte die jährliche Einspeisung um vielleicht noch einmal um fünf TWh über den jetzt eingestellten Rekord hinaus zunehmen. Dem Zuwachs der zur meisten Zeit des Jahres nutzbaren Erzeugungskapazität um rund zehn Prozent stünde so ein noch fünf Prozent höherer Einspeisebetrag gegenüber.

Neuer Bestwert trotz eines Sommers ohne Wind

Dass es nicht mehr Windstrom wurde, ist auf eine äußerst windschwache Langzeitphase während des Sommers und zu Herbstanfang zurückzuführen. Nachdem Januar bis Mai dank frischen Winds vier neue Monatsrekorde einbrachten, knickte die Windstromproduktion im Juni und Juli verglichen mit dem Januar um bis zu 70 Prozent ein. Und auch in den Folgemonaten erreichte die Windstromproduktion grob gemittelt nur noch in etwa die Einspeisehöhe des Vorjahres. Selbst in den saisonal sonst besonders starken Herbstmonaten Oktober und November glichen die deutschen Windparks ihre Verluste aus der Sommerflaute keineswegs aus. In beiden Monaten fuhren sie weniger Windernte ein als im Jahr zuvor – zusammengenommen erbrachten die beiden Windmonate 2,5 TWh weniger Erzeugung. Auch der Dezember dürfte ohne echte Stürme wohl nicht wieder zum hohen Vorjahresniveau aufschließen. Dass die Windparks den historischen Monatsrekord von 15,19 TWh aus dem Dezember 2017 knacken, ist gemäß aktuellen Windprognosen noch nicht absehbar.

Doch die Bilanz des Windstromjahres lässt auf den zweiten Blick eine weitere, sogar äußerst erfreuliche Erkenntnis zu. So waren 2018 anders als noch 2017 kaum außergewöhnliche Stürme aufgetreten. Stattdessen genügten schon sehr mäßig auffrischende Winde, um die Stromerzeugung wieder fast auf das Niveau des Vorjahres anzuheben. Und eine nur durchschnittlich gute Windphase der ersten fünf Monate mit einem einigermaßen windreichen Januar genügte, um die Basis für das neue Rekordjahr 2018 zu erzeugen.

Erfolg dank neuer Nabenhöhen und Innovationen

Die hierbei sichtbar werdende Stärke der Windkraft belegt, dass die neuen Hochleistungs-Windturbinen mit mehr als 120 oder gar 130 Meter Rotordurchmesser und drei bis vier Megawatt (MW) Nennleistung gut und verlässlich arbeiten. Es braucht also gar nicht die Stürme als Folge des Klimawandels, um diesen Klimawandel erst paradoxerweise dann mit wachsenden Windstromanteilen und damit einer immer emissionsärmeren nationalen Stromversorgung bekämpfen zu können. Auch scheint das zwischenzeitlich zu beobachtende Phänomen verschwunden zu sein, dass Windernten als Folge gegenseitiger Verschattung der immer dichter stehenden Windparks verkümmern. Dank größerer Nabenhöhen der neuen Anlagen mittels neuer Turmgrößen und Turmbaukonzepte treffen die Nachläufe – windärmere Luftströme hinter den Rotoren – nicht mehr voll auf die Rotoren dahinter. Die zunehmende Intelligenz der Windparksteuerung durch eingebaute Sensorik und immer bessere Datenverarbeitung tuen ein Übriges, um die Windstromerzeugung auch bei eher lauer Luft zu verbessern.

Das ist die gute Nachricht. Die Branche wie auch die Politik – ob pro oder contra Windkraft eingestellt – müssen diese Lehre nutzen: Dass die Mehrerzeugung mittels guter Technik rasch zunehmen kann.

Weitere Klima- und Ausbauziele scheitern an Akzeptanz

Allerdings gibt es auch eine in den Augen vielleicht mancher Branchenmitglieder schlechtere Nachricht: Sie lautet, dass die Branche nicht mehr einfach mehr Windparkzubau verlangen darf, um schneller die alte klimaschädliche Energieversorgung zu ersetzen. Denn vier bis sechs GW jährlichen Nettozubaus als zentrales Mittel, um ein Wachstum der Windverstromung im Einklang mit den Klimaschutzzielen für 2020 oder 2030 oder 2050 zu erreichen, sind unrealistisch. Und sie sind vielleicht auch keine schöne Vision. Windräder mit Gesamthöhen größer als die Höhe des Bergrückens, auf dem sie stehen, sind auch in unserer hochindustrialisierten und digitalisierten Gesellschaft keine optischen Bagatellen. Keine demokratisch fundierte Akzeptanz gäbe es dafür, so fortzufahren, bis es halt irgendwann mal ausreicht. So hohe Ausbauraten sind ohnehin illusorisch in Zeiten, in denen die windkraftfreundlichere der Regierungsparteien, die SPD, gerade noch die Kraft für runde Tische zum Thema Akzeptanz aufbringt. Darüber hinaus fehlt es dieser an der Energie, mit eigenem Einsatz für Reformen zu streiten, die diese Akzeptanz mehren. Auch sind viel höhere Ausbauraten für alle als Illusion erkennbar, die ihre Augen nicht vor der inhaltlichen Verhärtung des Koalitionspartners CDU beim Klimaschutz verschließen: Derzeit glauben die Christdemokraten fälschlich, ihre konservative Kernwählerschaft mit Behinderung des Erneuerbaren-Ausbaus wieder zu gewinnen. Wichtige neue Führungspersönlichkeiten wollen jetzt die Privilegierung des Windkraftausbaus gänzlich kippen, das derzeit noch zentrale Fördergesetz.

Gesamtkonzept mit Sektorenkopplung, Speicher und Direktvermarktung gesucht

Daher müssen die Daten der Windstromeinspeisung endlich Debatte und Umsetzung von Konzepten für eine effiziente Energiewende anstoßen. Da zählt weniger, ob Windkraft alleine nun ihren Anteil an der Stromversorgung um vielleicht weitere 1,5 Prozentpunkte erhöht auf dann 21,4 Prozent. Oder ob damit der Gesamtanteil des Grünstroms im Netz je nach Berechnung sich 45 Prozent annähert oder er nur die Schwelle von 40 Prozent erreicht. Die große Differenz des Windstromaufkommens in Winter- und Sommermonaten gibt die Richtung vor, die Instrumente sind längst technologisch eingeführt: Mehr Speicher, um die grüne Stromerzeugung zu verstetigen und bei überlasteten Stromleitungen nicht jährlich mehr grünen Strom durch Abregeln von Erneuerbaren-Anlagen zu verhindern. Sektorenkopplungsrezepte zur Umwandlung überschüssigen Wind- und Photovoltaikstroms in Energieformen und Energieträger für andere Verbrauchssektoren – Wärme zum Heizen, Wasserstoff zum Tanken oder Strom für Elektromobilität. Bessere Verteilung der Turbinen aufs ganze Land – und Ausbau dort, wo sich Strom dank vorhandener Netze auch abtransportieren lässt. Direkte Verträge zwischen Windparks und großen Abnehmern und digitale Stromkennzeichnung, um Verbrauch, Erzeugung und Speicherung besser abzustimmen. Mehr Solarstromförderung, um die Windflauten im Sommer auszugleichen – Photovoltaik in Städten müsste die Elektro-Tanksäulen direkt versorgen. Die vernünftige Förderung von Bus und Bahn gehört dazu.

Nicht zu vergessen sind Effizienz-Forschungsprojekte wie das jetzt gestartete Compact Wind II: Hier forschen Wissenschaftler aus München und Oldenburg oder etwa der Rostocker Windturbinenbauer Eno daran, wie Windturbinen auch mit intelligenter Steuerung die Windschatten reduzieren. Dazu drehen sie sich leicht aus dem Wind und lenken so die Windschatten-Nachläufe rechts oder links vorbei an den Windparkturbinen dahinter. Kleine Abschläge bei der Windernte durch die nicht ideale Windausrichtung der vorderen würden durch mehr Wind für hintere Anlagen überkompensiert.

Vielleicht ist das immer noch alles nur ein Traum. Doch eine nun sofort einsetzende Arbeit an koordinierten Gesamtversorgungskonzepten durch Branche und Politik wäre besser als Streit über neue noch schärfere Klimaschutzziele und weitere neue Ausbauzahlen.