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Gelbe Karte für Klimaschutz

Fabian Kauschke

Klimaneutralität und die nachhaltigste Weltmeisterschaft aller Zeiten. Damit werben der Welt-Fußballverband (Fifa) und das Gastgeberland Katar gemeinsam online. Effizienzmaßnahmen und Nachhaltigkeitsstrategien werden dort in den Vordergrund gestellt. Die Website zeigt hochtechnologisierte Stadien und CO2-Kompensationsmaßnahmen. Der Energieverbrauch des Austragungsortes wird jedoch fast vollständig mit Öl und Gas bestritten. Wie sieht es also im Einzelnen mit der Klimabilanz dieser Weltmeisterschaft aus?

Kompensationsmaßnahmen

„Die Fifa, die Fifa World Cup Qatar 2022 LLC und Katars Oberster Rat für Organisation und Nachhaltigkeit haben sich verpflichtet, die CO₂-Emissionen im Zusammenhang mit der Fifa Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zu senken und vollständig zu kompensieren“, heißt es in der Nachhaltigkeitserklärung der Fifa. Um dies zu erreichen, hat Katar eine Reihe von Maßnahmen veranlasst.

„Es gibt dort keine ausreichend vorhandene Infrastruktur.“

Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe

So ging im November ein 800-Megawatt-Solarpark in al-Kharsaah westlich von Katars Hauptstadt Doha – einer der größten im Nahen Osten – ans Stromnetz. Der 417 Millionen Dollar teure PV-Park ist Katars erstes Kraftwerk, das nicht mit fossilen Brennstoffen betrieben wird.

Das von einem Konsortium aus Total, Marubeni und einigen chinesischen Unternehmen entwickelte Projekt deckt rund zehn Prozent des Spitzenbedarfs von Katar und macht einen deutlichen Anteil Erneuerbarer am Energiemix Katars aus. Das chinesische Solarunternehmen Longi, das die über zwei Millionen Solarmodule für das Projekt geliefert hat, erklärte, dass es das Engagement des Landes für eine kohlenstoffneutrale Fußballweltmeisterschaft voll unterstütze.

Nachhaltigkeit in den Stadien

1.406 Gebäude und fünf Fußballstadien haben Zertifizierungen des Global Sustainability Assessment Systems erhalten. Dieses untersucht und bewertet Gebäude in mehreren Phasen zur Nachhaltigkeit, unter anderem in den Kategorien Energie, Material und kultureller und wirtschaftlicher Wert. Die Stadionkonzepte in Katar legen dabei den Fokus auf verschiedene Schwerpunkte: Das Al-Bayt-Stadion etwa nutzt zu 70 Prozent Solarstrom für die Beleuchtung, wohingegen das Al-Rayyan-Stadion zu 90 Prozent aus recycelten Materialien gebaut wurde.

Kühlungssysteme sind in allen Austragungsorten installiert. Dadurch dass die WM nicht wie zunächst geplant im Sommer bei über 40 Grad Celsius stattfindet, sondern von November bis Dezember bei durchschnittlichen 26 bis 29,5 Grad Celsius, ist bereits ein deutlicher Beitrag für den Klimaschutz geleistet worden – auch wenn es vielleicht eher darum ging, das Wetter für Spieler und Zuschauer etwas erträglicher zu machen.

Mithilfe des Kühlverfahrens District Cooling müssen die Stadien zudem nicht komplett gekühlt werden, sondern Zuschauerränge und Spielfeld können jeweils separat klimatisiert werden. Das System soll laut Fifa für einen um 50 Prozent geringeren Energieverbrauch gegenüber herkömmlicher Klimatisierung sorgen.

20 Prozent erneuerbare Energien möchte Katar bis 2030 erreichen. In Anbetracht des Energiemixes und der Möglichkeiten des Wüstenstaates erscheinen die Ziele als ambitionslos.

In der Nachhaltigkeitserklärung wird Energieeffizienz in den Vordergrund gestellt. Dazu gehört die Verwendung von wärmeabweisenden Materialien, die mithilfe des Solar Reflectance Index (SRI) ausgewählt wurden. Dieser zeigt an, wie Materialien Sonneneinstrahlung aufnehmen. Nach der Analyse wurde beispielsweise das geplante schwarze Dach des Al-Bayt-Stadions gegen einen weißen Baustoff ausgetauscht.

Zudem soll die LED-Beleuchtung in den Stadien 70 Prozent effizienter sein als ihre Standardbeleuchtung und dazu eine sechsfache Lebensdauer aufweisen. Zu den weiteren Maßnahmen gehört das Pflanzen einer halben Million Bäume und Sträucher.

Negativ zu Buche schlägt bei der CO2-Bilanz neben dem immer noch enormen Energieverbrauch durch die erforderlichen Baumaßnahmen – Infrastruktur und acht Stadien in einem Land mit nur 2,7 Millionen Einwohnern – ein erhöhter Pendelflugverkehr während der WM: Aufgrund von fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten sind Gäste darauf angewiesen, in benachbarten Staaten zu wohnen. Damit diese trotzdem vor Ort sein können, wurden täglich bis zu 160 zusätzliche Pendelflüge veranlasst. Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft der Deutschen Umwelthilfe, fasst die Probleme, die Klimaexperten sehen, zusammen: „Es gibt dort keine ausreichend vorhandene Infrastruktur für dieses Turnier, aber auch kein Konzept für eine nachhaltige Nutzung der Stadien nach der WM.“ Mit Zertifikaten in Form eines ökologischen Ablasshandels werde Klimaschutz herbeigeredet.

Laut Fischer haben die Kataris ein ambivalentes Verhältnis zu erneuerbaren Energien: „Auf der einen Seite haben sie jede Menge Sonneneinstrahlung, was natürlich perfekte Voraussetzung für Solarzellen ist.“ Auf der anderen Seite habe man diese Technik bislang links liegen gelassen, zumal fossile Energieträger vor Ort reichlich vorhanden seien.

Die Klimaschutzstrategie Katars sieht die Reduktion von Treibhausgasemissionen um 25 Prozent bis 2030 vor. Außerdem ist es das Ziel, den Solarstromanteil bis dahin auf 20 Prozent zu steigern. Zum Vergleich: Deutschland will den Anteil erneuerbarer Energien bis 2030 auf 80 Prozent erhöhen. Von 0 auf 20 bei Erneuerbaren sei ein Armutszeugnis und nicht ambitioniert genug, um den Klimawandel zu bremsen, sagt Fischer. „Es wird Zeit, dass sie erneuerbare Energie nutzen und darin investieren. Und eigentlich kommt es viel zu spät.“

Hoffnung auf Besserung

Die Energiebilanz Katars und die Maßnahmen der Fifa verwandeln nach Expertenmeinung die WM nicht wie betitelt in die nachhaltigste. Als Fazit wird allgemein gefordert, dass für künftige Großveranstaltungen wie Weltmeisterschaften deutlich strengere Umwelt- und Nachhaltigkeitskriterien festgelegt werden, sodass diese mit den internationalen Klimaabkommen vereinbar sind. 

Erneuerbare Zukunft?

Foto: LONGi

800 Megawatt Solarenergie (Foto) sind für Katar nur ein kleiner Schritt in Richtung Umweltfreundlichkeit, da die unerschöpfliche Verfügbarkeit von fossilen Ressourcen Katars Energienutzungsverhalten prägt. Mit 71 Prozent Erdgas und 27 Prozent Rohöl stammen annähernd 100 Prozent der Energieerzeugung aus fossilen Energieträgern. Der Primärenergieverbrauch des Landes liegt bei rund 37 Milliarden Kilowattstunden (kWh) pro Jahr. Bei rund drei Millionen Einwohnern ergibt das einen Pro-Kopf-Verbrauch von 12.708 kWh, doppelt so hoch wie der deutsche Durchschnittswert.

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