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Interview mit Enercon-Geschäftsführer

„Stabile Anlagengröße“

ERNEUERBARE ENERGIEN: Herr Kettwig, Enercon hat den fünften Platz unter den Herstellern von Windenergieanlagen gemessen an den globalen Neuinstallationen verteidigt. Ihr Anteil am wieder leicht gewachsenen Weltmarkt erhöhte sich sogar. Was trug am meisten zu Ihrem Erfolg bei?

Hans-Dieter Kettwig: Man muss dazu sagen, dass wir vor einigen Jahren eine feste Strategie entwickelt haben. Wir legten vor drei, vier Jahren schon fest, welche Länder in Europa wir stark bedienen wollen. Dabei haben wir unsere Fertigungsstätte in Portugal in unsere Planungen aufgenommen. Dort haben wir zurzeit die positive Situation, dass der Kunde ein Konsortium von Energieversorgern ist, welche derzeit von der Finanzkrise noch nicht betroffen sind. Von der Finanzierung her haben wir daher dort weniger Sorgen. Zudem konnten wir den portugiesischen Standort zum Teil auch als Export-Standort nutzen.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Sie meinen, die Exporte aus den portugiesischen Enercon-Rotorblattwerken Viana do Castelo und Lanheses nach Frankreich, in die Mittelmeerregion und als Ergänzungs- und Pufferlieferung auch nach Brasilien und Deutschland, wo die Werke selbst ja selbst wachsenden Export bedienen müssen. Doch nur die Fertigungsstandortwahl dürfte nicht durch die Finanzkrise Europas helfen!?

Hans-Dieter Kettwig: Sicherlich kommt uns auch zu Gute, dass Enercon über die Jahre hinweg eine vertrauensvolle Basis mit vielen Kunden geschaffen hat. Zudem haben wir viele Banken in den letzten Jahren auf unseren eigenen Bankentagen informiert. Dadurch hatten wir hier frühzeitig ein paar Antennen ausgerichtet, um zu erkennen: was können wir wo machen, wie viel können wir zusagen im Ausland und wie viel nicht. Ein weiteres ist natürlich das sichere Fundament durch unser Deutschlandgeschäft.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Das noch immer dank Ihres großen Anteils am Deutschlandwindmarkt fast 40 Prozent des Enercon-Geschäfts ausmacht.

Hans-Dieter Kettwig: 40-45 Prozent, ja.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Aber Sie können doch nicht völlig unbeeinflusst von den stagnierenden Windmärkten in Italien und vor allem Frankreich bleiben, wo Enercon große Marktanteile hat

Hans-Dieter Kettwig: Auch in Frankreich betreiben wir 2012 fleißig Aufbau, weil wir dort alte Verträge auszuführen haben. Sicherlich haben wir im Hause Enercon in diesen Ländern noch einen etwas längeren Vertragsvorlauf, der uns derzeit hilft. Auch in Italien haben wir dieses Jahr noch Projekte abzuarbeiten. Aber wenn man auf der Europakarte schaut, sind wir in vielen Ländern ähnlich aktiv. Wenn zum Beispiel Italien schwächelt, haben wir durchaus die Möglichkeit durch unseren langen Vorlauf in der Türkei, dort stärker Anlagen zu installieren. Die Türkei ist momentan ein sehr schönes Land für Enercon. Da haben wir auch rund 30 Prozent Marktanteil. Insgesamt sind wir in Europa ja Marktführer geworden – mit einem 26-Prozent-Anteil noch vor dem bisherigen führenden Unternehmen Vestas, das jetzt 22 Prozent Anteil hat. Auf dem spanischen Festland wiederum (wo es 2011 gar keine Enercon-Aufstellungen gab, die Redaktion) haben wir nie eine Riesenposition gehabt. Stark aber sind wir auf den kanarischen Inseln. Das war für uns immer ein Fokus. Spanien ist hauptsächlich Sache Gamesas, mit sehr niedrigen Preisen. Da sind wir schon in der Vergangenheit lieber nach Schweden und Norwegen gegangen. Zudem haben wir dieses Jahr Großbritannien, Irland und Schottland ganz stark im Fokus. Und Frankreich wird sich zum Oktober oder November erholen – so dass wir mit unserer dort geplanten Betonturmfabrik 2013 zum richtigen Zeitpunkt kommen.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Für Enercon spielt die größte Rolle, dass das Unternehmen die Installationen fast gleichmäßig auf die europäischen Länder verteilt – und eben nicht herausragende Schwerpunktmärkte hat?

Hans-Dieter Kettwig: Ja. Wir sind ja nicht in Richtung China und USA oder Offshore gegangen. Dann kann man sich auch mehr konzentrieren, kann Mitarbeiter einstellen für die Kernmärkte. Zudem haben wir im letzten und vorletzten Jahr zwei Ausschreibungen in Brasilien gewinnen können. Das war für uns sehr wichtig, denn wir sind dort schon seit 14 Jahren aktiv und möchten es auch weiterhin bleiben, obwohl wir bei der letzten Ausschreibung in Brasilien nichts gewonnen haben. Wir wollten den mit der wachsenden Konkurrenz einhergehenden Preissturz nicht mitmachen. Trotzdem halten wir an Brasilien zum Beispiel als Produktionsstandort fest, denn es kommen auch wieder bessere Zeiten.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Inwiefern hilft die von Enercon schon länger eingeschlagene Taktik, selbst auch Entwickler und Abnehmer von Windparks mit eigener Anlagentechnologie zu sein? Eine heute inzwischen durchaus auch marktübliche Taktik.

Das hat uns nicht „gerettet“. Die Windparkplanung machen wir seit zehn Jahren in den Regionen, denen wir zeigen wollen, dass dort auch Wind funktioniert. Und dann zieht dieses „vor Ort agieren“ einiges an Nachfrage nach sich. International sind wir aber noch gar nicht so präsent als Marktentwickler – wollen wir auch derzeit nicht. Was uns eher in den letzten vier bis fünf Jahren richtig geholfen hat, ist die starke Wertschöpfungstiefe. Unsere eigene Gießerei, Rotorblattfertigung, Elektronikfertigung, Turm- und Maschinenbau. Da können wir auch in die Tiefe der Kosten gehen, wenn es irgendwo ein bisschen kneift. Man hat dann mehr Möglichkeiten, die Dinge zu regulieren, wenngleich wir auch mehr Aufwand durch Verwaltung und Controlling et cetera haben.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Vestas, Suzlon, Nordex und andere bezahlen mit rückläufigen Umsätzen oder zumindest wie Gamesa mit stagnierenden Netto-Gewinnen für den aktuell starken Preisverfall der Windturbinen. Die Entwicklung dürfte doch an Enercon auch nicht ganz vorübergehen?

Hans-Dieter Kettwig: Wir bereiten uns darauf vor. Umsatzrückgänge haben wir nicht. In den vergangenen vier Jahren hatten wir unsere stärksten Jahre.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Weil Sie keine Preisnachlässe geben mussten?

Man muss sich sicherlich dem Markt zum richtigen Zeitpunkt anpassen. Die richtig preisgetriebenen Gespräche haben wir natürlich auch. Wir versuchen aber seit jeher über Qualität zu verkaufen. Und der richtige Enercon-Kunde entscheidet sich über die Qualität der Maschine. Letztendlich haben wir noch immer über unser Wartungsservicepaket – das Enercon-Partner-Konzept – und über die Technik einen für uns guten und für die Kunden attraktiven Preis halten können.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Andererseits haben Sie auf der Hannovermesse im April den Kostendruck selbst angesprochen: Enercon lehne eigene Anlagenfertigungen in China der niedrigen Löhne wegen weiterhin ab. Doch würden Sie die Frage an Ihre Zulieferer weitergeben.

Hans-Dieter Kettwig: In der Windenergie spricht man ja bei uns noch nicht von Massenprodukten. 1.500 bis 1.700 Windenergieanlagen stellen wir jährlich her. Wenn Sie dafür eine vollständige, halbautomatische Produktion forcieren müssten, wäre diese Jahresproduktion keine lohnenswerte Stückzahl. Für manche Bauteile, zum Beispiel Rotorblätter, fangen wir gerade an, so etwas zu planen. Dann schauen wir einmal, wie das weitergehen könnte. Die Stärke Chinas liegt darin, dass Sie dort enorme Produktionskapazitäten freischaufeln können, wenn Sie es wollen. Wenn Enercon jetzt bei einem Zulieferer von Standardprodukten 500 Teile bestellt, sagen wir natürlich auch: Liebe Leute, ihr müsst ein bisschen was mit dem Preis tun. Dann müssen wir auch mit denen sprechen, ob sie nicht in China produzieren können. Dennoch ist hinterher unser Qualitätswesen darauf angesetzt zu fragen: Stimmt die Qualität weiterhin? Und die meisten unserer Zulieferer lassen in Deutschland fertigen oder in Europa. Wenn man uns selbst fragt, sagt unser Inhaber Dr. Aloys Wobben wie bisher: Deutschland hat uns groß gemacht. Daher wollen wir auch zeigen, dass wir in Deutschand produzieren können, zu vernünftigen Kosten. Und da hat Deutschland in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Enercon kam bisher entgegen der Branchentendenz ohne Entlassungen aus und setzte den Personalaufbau sogar fort. Letzteres betrifft aber wohl vor allem den Service.

Hans-Dieter Kettwig: Der Service wird mehr, jedes Jahr, klar. Aber wir haben auch sehr stark in Vertrieb und Projektmanagement eingestellt, stärken Kundennähe und Qualitätsmanagement, Forschung und Entwicklung. Das wird weiter so gehen.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Um den Preis der weiteren Differenzierung ihres Anlagenangebots in immer mehr Turbinengrößen zur Wachstumsstabilisierung? Letztlich verfolgen auch Sie eine globale Wellenbewegung der Entwicklung vergrößerter Binnenlandrotoren: Sie begann vor drei Jahren mit der Drei-Megawatt-Klasse, nun ist die Zwei-Megawatt-Klasse dran. Enercon reagierte, präsentierte vor eineinhalb Jahren die E-101 mit drei Megawatt und 101-Meter-Rotor und nun die 2,3-Megawatt-Version E-92.

Hans-Dieter Kettwig: Ja. Sicherlich müssen wir auf dem Weltmarkt inzwischen auch ein Tickchen schneller sein in künftigen Anlagenentwicklungen. Aber gleichzeitig versuchen wir, so stabil wie möglich in dieser Anlagengröße zu bleiben. Die E-70, E-82 und E-92 werden praktisch auf einer Plattform gefertigt. Nun ist diese Plattform fast durch. Gleichzeitig haben wir mit der E-101 eine Plattform angestoßen, die jetzt so langsam in den Markt hinein kommt. Wir denken, dass wir auf ihr noch hier und da etwas nachlegen können. Am Ende gilt es zu schauen, ob sich die Kosten an den Baustellen mit den neuen Anlagenklassen tatsächlich nach unseren Vorstellungen entwickeln. Und ob im Betrieb die Kilowattstunde tatsächlich günstig bleibt.

ERNEUERBARE ENERGIEN: Wie wichtig ist es für Enercons Weltmarkterfolg, eine Technologieführerschaft zu halten? Und wie gelingt das bei wachsender Konkurrenz anderer Hersteller getriebeloser Anlagen?

Hans-Dieter Kettwig: Wir haben da einen Vorsprung von 17.000 installierten getriebelosen Anlagen. Und wir werden allein in diesem Jahr wieder 1.500 Anlagen bauen. Die Praxis alleine sichert einen gewissen Vorsprung. Energie ist kein Geschäft für fünf oder acht Jahre. Wir wollen in Zukunft auch die Kernmärkte beobachten. Festlegen, wo wir hier oder da eine vernünftige Marge machen können. Etwa sieben Kernmärkte sind es bisher, neben Deutschland und Frankreich die Türkei, Portugal, Kanada, Brasilien. Sowie als ein Markt Rumänien, Polen und Österreich, wo wir ein Betonturmwerk aufmachen wollen. Das wird ein sehr verlässlicher Markt ähnlich Deutschland. Im Hinterkopf haben wir natürlich auch, dass wir hier und da noch einen großen Fisch an Land ziehen müssen: Größere Ausschreibungen von Windparks, die einen etwas sicherer in der Grundauslastung werden lassen. Da müssen wir in den nächsten Monaten noch einmal ran.

Das Interview führte Tilman Weber