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Das Klima als Patient

Katharina Wolf

Tolles Schiff, wunderbare Landschaft, schönes Wetter und attraktive Frau mit Drink in der Hand: So sehen Werbeanzeigen für Kreuzfahrten aus. Sie gelten als wunderbar bequeme Art, die Welt zu sehen, versprechen Luxus und Service rund um die Uhr. Gleichzeitig sind sie aber auch Klimakiller. Stören tut das die wenigsten – 2025 erwarte die weltweite Branche ein Rekordhoch von 31,5 Millionen Passagieren, meldet das Webportal Schiffsradar.org.

Doch was wäre, wenn jede Werbeanzeige für Kreuzfahrten mit einem Warnhinweis versehen werden müsste: „Achtung Klimaschaden! Eine siebentägige Reise auf einem Kreuzfahrtschiff verursacht rund 1,5 Millionen Tonnen CO2-Emissionen pro Person.“ Dazu ein Bild von der Flutkatastrophe im Ahrtal. Beides zusammen nimmt 65 Prozent der Anzeige ein.

Klimaschädliche Produkte kennzeichnen

Abwegig? Bei der Raucherprävention akzeptieren wir Schockbilder und Warnhinweise auf Zigarettenpackungen. Nach Ansicht der Deutschen Krebshilfe haben sie durchaus einen Effekt, vor allem in der Prävention. Warum also nicht auch klimaschädliche Produkte oder Dienstleistungen kennzeichnen und für Verbraucher klar erkennbar machen, wie viel Klimagase verursacht werden, wenn Obst aus fernen Ländern eingeflogen wird, welcher Klimaschaden durch Flugreisen im Vergleich zu Bahnreisen entsteht oder wie viel Kohlendioxid durch Ölheizungen in die Atmosphäre gelangt.

„Ich wäre sofort dabei“, sagt Gunther Seckmeyer, Professor für Meteorologie an der Leibniz Universität Hannover. „Denn so wird nichts verboten, sondern auf die negativen Folgen des Handelns hingewiesen.“ In mehreren Forschungsprojekten hat er sich mit Klimakommunikation beschäftigt, auch mit der Frage, warum sie bislang so schlecht funktioniert und wie sich das ändern lässt. Denn klar ist eins: Der Ansatz, es ginge nur darum, Fakten zu vermitteln, und dann würden die Menschen von sich aus ihr Verhalten ändern, ist gescheitert. Seckmeyer macht dafür auch die Tatsache verantwortlich, dass in der Klimakommunikation sehr oft unrealistische und zu optimistische Botschaften gesendet würden. „Wir vermeiden häufig die tatsächlichen Fakten, um die Menschen nicht abzuschrecken. Das führt aber dazu, dass sie das Problem in seiner ganzen Tragweite nicht begreifen, nämlich dass wir dabei sind, die Welt für große Teile der Menschheit unbewohnbar zu machen.“

Doch würde man so die Menschen nicht noch eher in eine Schockstarre, Verdrängung oder ein trotziges „Jetzt erst recht“ treiben? Es komme auf die Bilder an, die verwendet werden, sagt Bálint Forgács, Neurolinguistiker an der Eötvös-Loránd-­Universität in Budapest. Er beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit der Frage, wie das Gehirn Metaphern aufnimmt und verarbeitet. „Die Metaphern, die in der Klimakommunikation verwendet werden, sind positiv besetzt“, sagt Forgács, der derzeit als Gastwissenschaftler an der FU Berlin arbeitet. „Klimawandel, grün, Treibhaus, globale Erwärmung – diese Bilder bringen die Ernsthaftigkeit des Problems nicht zum Ausdruck.“

Zu positives Bild von der Situation

Im Klartext: Die Klimakommunikation krankt daran, dass sie ein zu positives Bild der Lage zeichnet und dafür auch noch euphemistische Bilder verwendet. Besser funktionieren könnte eine medizinische Sprache, ist Forgács überzeugt. „Gegenüber der Medizin haben Menschen eine ganz andere Einstellung“, sagt der Wissenschaftler. Zum einen würden sie von einem Arzt eine ehrliche Diagnose verlangen. Zum anderen gingen Mediziner immer von der schlimmsten Möglichkeit aus, um dann im Ausschlussverfahren das tatsächliche Problem zu finden. „Ein Arzt lobt Sie nicht dafür, dass Sie auf eigenen Beinen in die Praxis kommen und es Ihnen deshalb doch im Mittel ganz gut geht, wenn der Verdacht auf einen Hirntumor besteht“, sagt Forgács. In der Klimakommunikation hingegen gehe es zu viel um Mittelwerte, nicht um das Worst-Case-Szenario.

Eine medizinische Sprache habe zudem den Vorteil, dass sie die Menschen ins Handeln bringt. „Bei einer Krebsdiagnose warten Sie nicht ab, ob es vielleicht von alleine besser wird, oder bekämpfen nur die Symptome. Sondern Sie erwarten von einem Arzt eine Behandlung, die die Ursache beseitigt, und akzeptieren auch drastische Maßnahmen, wenn Sie dadurch eine gute Überlebensprognose erreichen“, so Forgács. Klimafragen sollten daher in einem Kontext dargestellt werden, der lebensrettende Maßnahmen betont: Statt von klimatischen Kipppunkten könne man von „Metastasen“ sprechen, um eine Reaktion zu erreichen.

Bei einer Krebsdiagnose warten Sie nicht ab, ob es von allein besser wird.

Bálint Forgács, Neurolinguistiker, der eine medizinische Sprache im Diskurs rund um die Klimakatastrophe für sinnvoll hält.

„Medizinisches Vokabular zu nutzen, ist ein vielversprechender Ansatz“, sagt Carel Mohn, Chefredakteur von Klimafakten. „Die Menschen verstehen es und es bringt sie ins Handeln.“ Als Teil der gemeinnützigen 2050 Media Projekt sieht die Redaktion ihre Aufgabe darin, wissenschaftlich fundiertes Klimawissen und Strategien in der Kommunikation zu verbreiten. Aber Mohn sieht auch die Grenzen der Kommunikation. „Ein schlechtes Produkt können Sie auch mit guter Kommunikation nicht retten“, räumt er ein. Entscheidend seien die äußeren Rahmenbedingungen und das persönliche Erleben. „Viele Menschen wären bereit, für den Klimaschutz öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen und sich saisonal zu ernähren, weil man ihnen den Nutzen oft genug erklärt hat“, sagt er. „Aber dann erleben sie im Alltag, dass das erstens nicht leicht oder sogar unmöglich ist und zweitens das gegenteilige Verhalten belohnt wird.“ So verspiele man Akzeptanz. „Es mangelt daran, sozialwissenschaftliche Erkenntnisse zum gesellschaftlichen Wandel gezielt anzuwenden“, kritisiert er. Wie fühlt sich etwas an? Wie lässt sich eine Lösung umsetzen? „Make the green choice the easy choice“ – die grüne Lösung zum einfachsten Weg machen – diese Fragen und diesen Ansatz müssten Politik und Kommunikation viel stärker in den Fokus rücken. Gleichzeitig müsse Ehrlichkeit darüber herrschen, dass der Kampf gegen die Klimakrise ein Prozess ist, in dem es nicht nur eindeutige Antworten gibt und Korrekturen erforderlich werden können.

Fakten und Erleben müssten besser miteinander verknüpft werden, ist Mohn überzeugt. „Wir brauchen ein Basiswissen über die Klimakrise: die Tatsache, dass zu viel CO2 praktisch wie ein Gift wirkt und wir Emissionen nicht senken, sondern killen müssen. Zum Basiswissen gehört auch, welche Klimaschutzinstrumente wirksam sind und welche eher nicht“, sagt Mohn. „Gleichzeitig müssen die Benefits klarer herausgestellt werden, und zwar nicht abstrakt, sondern konkret auf die Situation der Menschen bezogen.“

Gunther Seckmeyer hat in einem Forschungsprojekt die Erfahrung gemacht, dass dieser Ansatz funktionieren kann. „Ich habe in Vorträgen immer wieder gemerkt, dass trotz aller Diskussionen nur wenige Menschen wissen, wie eine Wärmepumpe aussieht und wie sie funktioniert – ganz unabhängig davon, aus welcher politischen Richtung sie kamen“, berichtet er. Seckmeyer initiierte das Projekt „Deswende – Demonstrator für die Solare Wärmewende“, in dem eine mobile Anlage aus einer Luft-Luft-Wärmepumpe mit Photovoltaikanlage, Batterie und einem Sonnensimulator aufgebaut wurde. Auf Veranstaltungen wie der „Woche der Wärmepumpe“ konnten die Besucher so sehen und fühlen, „dass es funktioniert und es tatsächlich warm wird und das selbst dann, wenn die Außentemperaturen unter null Grad liegen“, so Seckmeyer. „Das hat viele überzeugt. Wir müssen den Menschen sagen, dass jeder etwas tun kann, und sie nicht mit dem Ausmaß der Klimakatastrophe alleinlassen.“

Die Warnhinweise und Schockbilder auf Kreuzfahrtschiffen oder in Urlaubskatalogen müssten dann noch um etwas ergänzt werden: zum Beispiel um den freundlichen Hinweis, dass ein regionales Urlaubsziel nicht nur CO2 einspart, sondern auch die Anreise einfacher und das Quartier billiger macht und die Arbeitskräfte am Urlaubsort nach Tarif bezahlt werden.

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