Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch

Offshore setzt die Segel neu

Tilman Weber

Europas oberster Windkraftvertreter Giles Dickson erklärt im Interview, was zur kontinentweiten Krise der Offshore-Windkraft-Ausschreibungen führte. Der Wind-Europe-CEO sagt auch, wieso Europas Offshore-Windkraft-Krise bald endet.

Wo bleibt Ihr Optimismus, Herr Dickson? Wind-Europe-Politikchef Pierre Tardieu sagte im Juni auf der Branchentagung Windforce in Bremerhaven, ein zweites 2024 dürfe Europa nicht passieren ...

Giles Dickson: Generell sieht es so schlecht nicht aus. Im Verlauf des ersten Halbjahres sind schon mehr endgültige Investitionsentscheidungen für Offshore-Windparks gefallen, als im gesamten Jahr 2024. Drei Projekte waren es alleine in Polen. Insgesamt gaben die Investoren 2025 schon sechs Projekte zu 5,3 Gigawatt mit einer sogenannten FID frei, einer Final Investment Decision. Zudem finden in diesem Jahr noch vielversprechende Ausschreibungen neuer Meereswindparkprojektflächen statt. Einige davon sind etwas später dran und fallen etwas kleiner aus, als wir erwartet hatten. Trotzdem sind es viele. Und wir erwarten in diesem Jahr weitere FIDs und gehen von einem Zubau von 4,5 Gigawatt aus, im kommenden Jahr von 8,4 GW und 2027 von 6,5 GW.

Nach 3,7 und 2,6 Gigawatt 2023 und 2024. Und viel mehr erwartet die Wind-Europe-Projektion auch für 2028, 2029 und 2030 …

Giles Dickson: Unsere zuletzt aktualisierte Projektion ist zwar etwas geringer als die, die wir Anfang des Jahres veröffentlichten. Aber auch die aktuelle Prognose ist alles andere als schlecht: Bis 2030 erwarten wir 48 Gigawatt Zubau. Daraus ergibt sich bis Ende 2030 insgesamt eine Kapazität von 85 Gigawatt Offshore-Windkraft. Der europäische Windmarkt wird also die betriebene Erzeugungsleistung bis 2030 wesentlich mehr als verdoppeln.

Aber es gab doch auch Ursachen für den schwachen Zubau 2024, zum Beispiel weiterhin erhöhte Kreditzinsen und hohe Kosten. Hat das nun keine Auswirkung mehr?

Giles Dickson: Wir hatten eine lange Zeit mit niedrigen Zinsen. Ja. Sie sinken wieder, und dennoch sind sie noch höher, als sie vorher waren. Hinzu kommt, dass die Kosten zum Bau von Offshore-Windparks in den vergangenen vier Jahren gestiegen sind, und dass sie, wie wir alle wissen, absehbar noch nicht sinken werden. Dennoch bleibt Windkraft auf See billiger als neue Kernkraftwerke, Gas- oder Kohlekraftwerke – was bei den Investoren zählt. Vor allem haben wir aber noch erhöhte Kapitalkosten. Diese bleiben nicht nur höher als das, was vor vier Jahren die Kosten waren. In bestimmten Ländern sind sie höher, als sie sein sollten, weil sich Entwickler in diesen Ländern immer noch auf Nullgebotsausschreibungen einlassen müssen. Aber auch hier gibt es Positives: Die drei Länder, die bisher Nullgebotsausschreibungen hatten, zeigen inzwischen alle die Absicht, zu Differenzvertrags-Ausschreibungen zu wechseln, zu CFD-Ausschreibungen. Die Holländer wollen diese Änderung, wissen nur noch nicht, wann genau – frühestens 2027. Aus der Bundesrepublik haben wir noch nicht bestätigte positive Signale, wobei in der Bundesregierung über einen Wechsel hin zu CFD noch vor 2030 debattiert wird.

Im ersten Halbjahr sind schon mehr endgültige Investitionsentscheidungen für Offshore-Windparks in Europa gefallen als im ganzen 2024. Und wir erwarten noch in diesem Jahr weitere FIDs.

CFD sollen also künftig europaweit durch den Differenzmechanismus absichern, dass nicht Spekulationen auf wirtschaftliche Trends, sondern realistische Auslösepreise bestimmen, was Seewindparkbetreiber für ihren Strom verlangen und erhalten: Indem bei tieferen Preisen im Stromhandel der Staat die Differenz ausgleicht? Und bei deutlich höheren Preisen zahlt der Windpark den Überschuss zurück?

Giles Dickson: Genau. Wir sagen den Regierungen, wenn sie ihre Ausbauziele wirklich erreichen wollen, müssen sie dafür sorgen, dass wir von 2031 an bis 2040 jedes Jahr 10 Gigawatt durch Differenzverträge gesicherte Projekte bauen. Und dass jährlich 5 Gigawatt durch Stromlieferverträge zwischen Windparkbetreibenden und großen Stromkunden oder Stromhändlern dazukommen müssen, die sogenannten Power Purchase Agreements, kurz PPAs.

Wird die Reform der Ausschreibungen hin zum CFD-Prinzip so entscheidend sein?

Giles Dickson: CFD-Auktionen geben den Entwicklern eine zu 100 Prozent klare Perspektive über die ersten 15 Jahre ihrer Projekte. Das ist die Finanzierungsphase, in der sie das Fremdkapital zurückzahlen. Haben sie hier Klarheit, sinken die Finanzkosten der Projekte. Ohne CFD zur Hand, sagen die Banken: Weil Ihr keine Gewissheit über die Einnahmen im Jahr habt, erhöht sich für uns Finanzierer das Risiko der Geldleihe an Euch. Ihr müsst daher Euer Projekt mit Eigenkapital finanzieren, was viel teurer ist als schuldenfinanzierte Projekte.

Mit einem PPA für 15 oder zumindest 10 Jahre gäbe es diese Klarheit doch auch?

Giles Dickson: Ja, mit einem PPA in der Hand haben Investoren dieselbe Klarheit. Es geht vor allem um die Vorzüge im Vergleich zu Ausschreibungssystemen, die Negativgebote mit hohen Zahlungen der Investoren an den Staat vorsehen. Natürlich wäre auch ein reines Vergütungssystem schon von Vorteil. Aber CFDs sind kein Vergütungssystem, sie sind ein Einkommensstabilisierungssystem.

Aber auch Länder mit CFD-Verfahren erzielten in jüngsten Ausschreibungsrunden keinen gelingenden Wettbewerb mehr.

Giles Dickson: Das Scheitern hängt hier vom Einzelfall ab. In der vorletzten Ausschreibung im Vereinigten Königreich waren die zulässigen Höchstgebote viel zu niedrig angesetzt. Das Problem war, dass die britische Regierung die zulässigen Höchstgebote der vorigen Ausschreibung noch einmal genutzt hatte, obwohl die Kosten in den zwei Jahren dazwischen klar gestiegen waren. Diesen Fehler haben sie inzwischen erkannt und zur nächsten Ausschreibung ihr Preisdach um 66 Prozent angehoben. In Litauen war die erste Offshore-Windkraft-Ausschreibung gut verlaufen – und dann gab es für die zweite Ausschreibung nur ein Gebot bei Ausfall jeglichen Wettbewerbs. Hier war die Indexierung des Zuschlagspreises wenig großzügig ...

… die Indexierung, mit der viele Ausschreibungen die langen Projektierungszeiten der Offshore-Windparks vom Zeitpunkt des Projektzuschlags bis zum Netzanschluss berücksichtigen. Die Indexierung stützt Kostenkalkulationen zum Zeitpunkt der Gebote und macht durch flexiblen ­Inflationskostenausgleich die Preissteigerungen unschädlich. Heißt das, CFD-Tender gelingen nur bei ausreichender Indexierung?

Giles Dickson: Genau, das ist die Lehre. Und das ist auch die Botschaft der Europäischen Union an alle EU-Mitgliedstaaten. Wichtiger Negativfaktor ist auch die mangelnde Elektrifizierung des Energiesystems. Dadurch fehlt die vom CFD in den Blick genommene Stromnachfrage: Die Holländer haben für ihre nächste bevorstehende Ausschreibung das Volumen von drei auf ein Gigawatt reduziert, nachdem sie diese mangels Bieterinteresse verschieben mussten – gerade weil die Schwerindustrie nicht so schnell elektrifiziert wie erwartet. Auch deren jetziges Ausschreibungssystem, noch kein CFD-Ausschreibungssystem, benötigt viel Nachfrage, nämlich nach Stromlieferverträgen durch PPA. Auch zu langsamer Netzausbau wirkt sich auf CFDs aus …

Differenzverträge geben den Entwicklern eine zu 100 Prozent klare Perspektive über die ersten 15 Jahre ihrer Windpark-Projekte. Haben sie hier Klarheit, sinken die Finanzkosten.

Sie setzen darauf, dass die EU-Kommission schon bis Ende 2025 ihr Legislative Grids Package zur Beschleunigung des Netzausbaus schnürt – und als erste strategische Maßnahme daraus so genannte Zombie-Projekte aus den Netzausbauplänen streichen lassen will. Ihren Electrification Action Plan plant die Kommission erst danach. Ist das nicht die falsche Reihenfolge, wo doch mehr Nachfrage nach Strom durch Elektrifizierung sofort wirken kann?

Giles Dickson: Das ist eine sehr gute Frage. Dennoch lautet die Antwort hier nein. Denn erstens hat die EU schon einige sehr wichtige Schritte für die Elektrifizierung in ihrem Ende Februar veröffentlichten Clean Industrial Deal eingeleitet. Der Deal sieht eine Industrial Decarbonisation Bank vor. Sie wird neue Förderungen für die Schwerindustrien einführen. Außerdem hat die EU neue Staatshilfe-Richtlinien auf den Tisch gelegt, die es den nationalen Regierungen erleichtern, eine Elektrifizierung ihrer Fabriken finanziell zu unterstützen. Und es gehört zum Clean Industrial Deal, dass die EU die gesamte Clean-Tech-Industrie inklusive Hersteller von Komponenten des Stromnetzausbaus stärken will. Die EU-Kommission hat die Europäischen Investitionsbanken aufgefordert, ein Counter-Guarantee-Programm für Netzmittelhersteller aufzulegen ähnlich jenem vor zwei Jahren für die in Bedrängnis geratenen Windkraftanlagenhersteller.

Wenn tatsächlich eine neue Politik der Netzbetreiber die vordringlichen Netzanschluss- und Leitungsausbauprojekte nach vorne schiebt, werden Komponentenzulieferer sofort den Bau neuer Fabriken starten. Sie haben die Pläne dazu in der Schublade. Sie wissen nun, dass sie zwei Jahre nach dem Netzausbaubeschluss oder der FID des Windparkprojektierers ihr Umspannwerk aufbauen können.

Sie hoffen bei Wind Europe stark auf die angekündigte Vereinigung der Elektrizitätsmärkte Großbritanniens und der EU, weil dies die Preise verbessere. Doch machen es Vereinheitlichungen der Märkte nicht schwieriger? Ein anderes Beispiel: So lange die EU-Länder in die Ausschreibungen sehr verschiedene qualitative Ziele einbringen wollen, scheinen Diskussionen über Qualitätskriterien endlos. So können die Projektierer sich nicht langfristig einstellen …

Giles Dickson: Das sind zwei ganz verschiedene Dinge. Die Harmonisierung der Elektrizitätsmärkte von UK und EU ist sehr positiv zu werten. Denn nun lässt sich Strom zwischen UK und EU einfacher kaufen und verkaufen, was den Markt für die Handelsteilnehmer beider Seiten erweitert.

Und zu den von Ihnen angesprochenen qualitativen Kriterien: Wir müssen unterscheiden zwischen Präqualifikationskriterien zur Zulassung guter Bieter zu den Ausschreibungen und den gewichteten Qualitätskriterien, die es erlauben, zwischen den Angeboten in den Gebotsrunden zu entscheiden. Die Hauptsache ist, dass wir die Präqualifizierungskriterien verstärken, um mit mehr Sicherheit gute Angebote zu bekommen – von guten Akteuren. Das verlangen EU-Windenergiepaket und der Net Zero Industry Act. Bei den qualitativen Kriterien für die Zuschläge auf Gebote lässt die EU den Mitgliedsstaaten viel Flexibilität. Wir meinen, es ist wichtig, diese Flexibilität zu erhalten. Vergabekriterien können interessant sein, solange sie die Kosten für die Entwickler nicht zu sehr erhöhen. Sie können besonders Naturschutz und Sektorkopplung fördern.

Jetzt weiterlesen und profitieren.

+ ERE E-Paper-Ausgabe – jeden Monat neu
+ Kostenfreien Zugang zu unserem Online-Archiv
+ Fokus ERE: Sonderhefte (PDF)
+ Webinare und Veranstaltungen mit Rabatten
uvm.

Premium Mitgliedschaft

2 Monate kostenlos testen