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Interview mit Martin Grundmann

"Wir brauchen jetzt die bilanzielle Durchleitung"

Wenn Sie nur eines der Ergebnisse nennen dürfen, das sie subjektiv an der zweiten Ausschreibungsrunde am meisten beunruhigt: Welches ist es?

Grundmann: Wir haben keine homogene Ausschreibung gehabt, kein homogenes Gut, das ausgeschrieben worden ist, sondern zwei Güter: Ein Gut hat vier Jahre Zeit zur Realisierung, das andere zwei Jahre. Damit hat man ungleiche Ausgangsvoraussetzungen. Und deshalb ist auch dieses Ausschreibungsergebnis zustande gekommen.

Sie sprechen die Sonderregel an, die als Bürgerenergiegesellschaft anerkannte Projekte bevorzugt. Zum Beispiel mit einer besonders langen Realisierungsfrist und dem Privileg, für die Teilnahme an einer Ausschreibung noch keine Baugenehmigung haben zu müssen. Darauf hat die Politik mit einer zeitweisen Aussetzung der Bürgerwindparkregel im Jahr 2018 doch schon reagiert  …

Grundmann: Das Moratorium ist ja auf zwei Ausschreibungszeiträume im Februar und im Mai 2018 gerichtet. So können wir von jetzt aus noch gar nicht sagen, ob es etwas bewirkt, wie beispielsweise den in den ersten beiden Runden erfolgten Preissturz zu stoppen. Denn wir haben ja noch eine Ausschreibung unter den gegebenen Bedingungen im November. Wichtig wird sein, ob die Bundesnetzagentur unter den jetzigen Bedingungen in der Lage ist, den Preis danach wieder anzuheben. Das EEG 2017 sieht bekanntlich einen Höchstpreis vor, der sich an den  vorausgegangenen Ausschreibungsergebnissen bemisst. Hierzu steht noch eine wichtige Diskussion an, weil die konventionellen Windprojekte auf Grund ihrer um die Hälfte kürzeren Realisierungsfrist eine grundsätzlich andere Kostenstruktur haben als gesetzlich definierte Bürgerenergieprojekte mit einer Realisierungsfrist von maximal 54 Monaten.

Eine gescheiterte Absicht der Autoren der EEG-Ausschreiberegelung war auch, dass man einen einigermaßen homogenen Ausbau gerade auch über die Fläche Gesamtdeutschlands hinweg erzielt. Geht gleichmäßig verteilter Ausbau mit Ausschreibungen überhaupt?

Grundmann: Das zentrale Ziel der Ausschreibung war Kosteneffizienz. Wir haben im Moment den Vorteil der Projekte, die unter die staatlich definierte Bürgerenergie fallen. Diese Projekte haben dann Vorteile, wenn sie vier Jahre Planungszeitraum haben und in großen Landkreisen realisiert werden sollen, wo sie die Standorte dann gegebenenfalls flexibel definieren können.

Ich glaube, dass wir die Sache auch noch einmal anders betrachten können. Wir haben das Netzausbaugebiet, das zu einer Marktverengung führt. Doch wenn Märkte künstlich verengt werden, sinken ja nicht automatisch die Angebote auf diesem Markt. Demzufolge sinken die Preise ganz automatisch – was dann Norddeutschland genauso betrifft wie Süddeutschland. Deswegen ist das Netzausbaugebiet ein Webfehler, weder gut für den Norden noch gut für den Süden. Das sollte man möglichst bald verändern. Gleichzeitig muss man schrittweise den Ausbaukorridor öffnen. Denn wir wissen, wir verfehlen aktuell nicht nur unsere Klimaziele, sondern auch das leider wenig ambitionierte Ziel von 18 Prozent Erneuerbare bis 2020. Wir benötigen jedes Jahr einen Ausbaukorridor von 6.000 Megawatt, um die Klimaziele von Paris zu erreichen. Und je länger wir den Ausbau niedriger halten, umso größer ist nachher die Schwierigkeit, das Versäumte nachzuholen. Dabei ist die Öffnung aller Energiemärkte entscheidend, damit wir erneuerbaren Strom auch im Bereich Wärme, Verkehr und in der Industrie nutzen können.

Ein anderes Argument: Wir werden in den windschwachen Regionen immer schlechtere wirtschaftliche Bedingungen haben als in den windstarken Regionen. Und deswegen gibt es ja auch das Referenzertragsmodell. Vorschläge zur Einführung einer künstlichen Quote schwächen den Wettbewerb und führen nicht zu einer höheren Akzeptanz der Energiewende insgesamt. Stattdessen sollten wir dem Ausbau der Stromnetze auf allen Spannungsebenen wieder höchste Priorität geben und auf einen systemischen Ansatz mit offenen Märkten und mehr Vor-Ort-Verbrauch setzen. Es ist auch so, dass wir in Zukunft nicht mehr nur auf die Menge der Kilowattstunden schauen müssen. Vor allem müssen wir darauf schauen, wie sich eine Windenergieanlage in eine regionale Versorgung einpasst und integriert.

Hierbei geht es um regionale Erzeugungs-Versorgungs-Strukturen. Denken Sie an die stark industrialisierten Regionen, ob Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder Teile von Bayern, wo sehr viele große Energieverbraucher sind und sehr viele Menschen wohnen. Da müssen wir nachdenken, wie wir die Eigenversorgung erleichtern. Ein Unternehmen muss sich einen Windpark bauen dürfen. Dann kann es nämlich diesen Windpark als Kraftwerk nutzen und so integrieren, dass es Sinn macht. Das ist im Moment leider nicht möglich.

Es ist doch Industrieunternehmen heute schon nicht verboten, sich einen eigenen Windpark mit einer eigenen Standleitung zu bauen. Und Netzeinspeisung ist grundsätzlich immer erlaubt, wenn man die Baugenehmigung für einen Windpark hat.

Grundmann: Ja. Aber wir müssen wohl zwei Dinge hierbei noch einmal anfassen. Das eine ist die bilanzielle Durchleitung, nicht eine Standleitung – eine bilanzielle Leitung: So wie früher Kohlekraftwerksscheiben von süddeutschen Unternehmen in Norddeutschland gekauft wurden, muss es künftig auch möglich sein, norddeutschen Windstrom nach Süddeutschland zu packen. Oder Windparks in Süddeutschland zu bauen, und dann deren Strom zu nutzen. Das andere ist: Wir müssen gerade bei Industrieunternehmen oder Industriegebieten in Genehmigungsverfahren eine industrielle Vorbelastung berücksichtigen und den Bau von Windenergieanlagen erleichtern. Sonst wird die Industrie sich nicht selbst versorgen können. Sie würde stattdessen auch in Zukunft weiter fossile Kraftwerke haben. Und wir müssen wie gesagt auch die Direktbelieferung erleichtern. Wir müssen zulassen, dass ein Industrieunternehmen oder ein Wohnungsbauunternehmen nicht selber einen Windpark bauen möchten und lieber ein Unternehmen beauftragen, einen Windpark zu bauen. Und dass diese Auftraggeber dann von dort den Strom beziehen. Im gesamten europäischen Ausland existieren solche Lieferverträge als sogenannte PPA. Dort gibt es solche Windparks für einen einzigen Kunden.

Solche Modelle dürfte man doch auch heute schon in Deutschland abschließen.

Grundmann: Wir haben aktuell mehrere Hürden in Deutschland: Bestehende Vermarktungsmodelle lassen keinen Direkthandel grünen Stroms über das Netz zu. Es fehlt eine attraktive Erneuerbaren-Stromvermarkung außerhalb der EEG-Förderung und es mangelt an Flexibilität im Wechsel zwischen den Vermarktungsoptionen. Und im Rahmen der Ausschreibung haben wir eine Bürokratie aufgebaut, die auch noch die wirtschaftlichen Möglichkeiten weiter verringert. Die Europäische Kommission will beides erleichtern, Eigenverbrauch oder Eigenversorgung und die Direktbelieferung von Kunden. Das wird spätestens im Jahr 2020 der Fall sein, wenn nämlich das Clean Energy Package beziehungsweise das Winterpaket von den ganzen europäischen Gremien genehmigt sein wird.

Die PPA würden in Deutschland heute daran scheitern, dass das EEG-Ausschreibungssystem die Preise schon so verdorben hat?

Grundmann: Nein, sondern daran, dass es heute nicht wirtschaftlich ist. Sie können ganz ohne Förderung noch keine Windparks onshore bauen. Die neue Bundesregierung sollte den Marktrahmen komplett auf die neue Energiewelt umstellen. Wir haben hierzu bereits einen Vorschlag für ein Marktentwicklungsmodell vorgelegt.

Das wäre erst in ein paar Jahren soweit?

Grundmann: In Deutschland würde es noch ein paar Jahre dauern. An den guten Standorten kann es schneller gehen. Doch an den guten Standorten haben wir wie gesagt die Verbraucher nicht und deswegen brauchen wir für sie die bilanzielle Durchleitung. Und an den weniger windreichen Standorten müssen wir die Möglichkeiten für Windparkbau schaffen.

Die Direktvermarktung im Süden halten Sie für wichtig. Reden Sie hier auch von regionalen Grünstrommarktmodellen – einer Sonderregelung für Süddeutschland?

Grundmann: Nein, wir brauchen große liquide Märkte. Klar ist aber auch, dass wir in ganz Deutschland den erneuerbaren Strom auch vor Ort nutzen müssen und das auch wirtschaftlich möglich sein muss. Der Vorteil des Südens sind seine großen Kunden, seine großen Abnehmer. Und wenn dort im Bereich der Sektorkopplung schnell etwas passiert, dann werden Windenergieanlagen in industrialisierten Regionen ganz anders vermarktet werden können. Die PV-Anlagen im Übrigen auch. Deswegen hat der Süden einen Vorzug, wenn man nicht nur auf die Menge an Kilowattstunden fokussiert, sondern das System insgesamt verändert.

Sind Sie dann dafür, das jetzige Ausschreibungssystem abzuschaffen, oder müsste eine Reform stattfinden, die Sektorkopplung als Konzept bepreist und belohnt?  

Grundmann: Ja, wir brauchen selbstverständlich die Sektorkopplung, weil Energieerzeugung ohne die Sektorkopplung unwirtschaftlich werden wird. Wie das System aussehen würde: daran arbeiten wir in zahlreichen Gremien. Ich kann mir was Besseres vorstellen als ein Auktionssystem – etwa ganz einfach ein Genehmigungssystem: Man hat eine Fläche, bekommt eine Genehmigung und baut dann. Die Voraussetzung wird dann nur sein, dass das dann im Markt, im Wettbewerb passiert, und ein wirtschaftlicher Anlagenbetrieb möglich ist

Das Gespräch führte Tilman Weber