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Letzte Chance?

Drei Kilometer vor der Westküste Japans in der Nähe der Hafenstadt Choshi dreht sich seit Juni ein einzelnes Windrad und hält seine Rotoren trotzig in den steten Nordwest-Wind der Region. Das Windrad ist der ganze Stolz von Hidenoru Yonekura, Mitarbeiter der japanischen New Energy and Industrial Technology Development Organization (NEDO), die sich mit der Entwicklung von Umwelttechnologien befasst. Zusammen mit der Tokyo Electric Power Company (TEPCO), Japans größtem Energieversorger, hat die NEDO das erste Windkraftwerk auf See errichtet. Die Zwei-Megawatt-Testanlage soll bis 2014 Erkenntnisse über die Nutzbarkeit von Windenergie abseits des Festlandes gewinnen.

„Offshore-Windenergie wird uns helfen, unsere Energieversorgung zu sichern und die Kohlendioxid-Emissionen zu reduzieren“, ist Yonekura sicher. Die staatliche NEDO startete 2008 im Rahmen des „Offshore Wind Technology Project“ erste Untersuchungen vor Japans Küsten. Das Forschungsprogramm ist mit einem millionenschweren Etat ausgestattet. Forschungsgruppen unternahmen Wind- und Wellenmessungen, analysierten die Beschaffenheit des Meeresgrunds und erstellten an mehreren Orten Machbarkeitsstudien für Windparks. Die Testanlage bei Choshi soll den Grundstein zur kommerziellen Nutzung für Offshore-Windenergie legen. „Sollten wir unser erstes Offshore-Demonstrationsprojekt erfolgreich abschließen, werden wir das Projekt ausweiten und Offshore-Wind flächendeckend fördern“, kündigt Yonekura an.

Wind könnte in dem Inselstaat im Pazifik eine bedeutende Rolle als Energiequelle spielen. Der japanische Windkraft-Verband JWEA rechnet mit einem Windkraft-Potenzial von 170 Gigawatt on­shore und 93 Gigawatt offshore. Dieses Potenzial möchte die Regierung vermehrt nutzen. Bis 2020 soll nach den Plänen der NEDO eine Windkraftkapazität von 10.000 Megawatt errichtet werden. Bis 2030 soll die Kapazität sogar auf 20.000 Megawatt steigen. Betrachtet man die bisherige Entwicklung der Windenergie, sind diese Ziele umso beachtlicher. Im Jahr 2009 wurden 300 Megawatt Windleistungen installiert, die gesamte Erzeugungskapazität belief sich zum Ende des Jahres auf 2.056 Megawatt. Damit steht Japan international unter den Windenergieerzeugern lediglich im zweiten Glied. Ursachen für den schweren Stand von der Windenergie gibt es reichlich: Allein die bergigen Landschaften sowie die dichte Besiedelung machen die Suche nach geeigneten Standorten schwierig.

Hohe Hürden für Onshore-Windkraft

Daneben existieren weitere Hürden, die die Entwicklung in den vergangenen Jahren förmlich zum Erliegen gebracht haben. Anders als in Europa ist das Stromnetz des Inselstaats in sich geschlossen. Das macht den Einfluss schwankender Energien auf die Netzstabilität deutlich größer. Allein schon deswegen steht die Windenergie nicht hoch im Kurs bei den japanischen Energieversorgern. Diese sind zwar seit April 2003 dazu verpflichtet, einen Anteil von 1,35 Prozent ihres Stromangebots aus erneuerbaren Quellen zu gewinnen, bevorzugen aber kostengünstigere Quellen wie Wasserkraft oder Abfallverwertung. Zudem liegen die Hauptverbrauchsgebiete für Strom in den zentralen Ballungsgebieten in den Großstädten Tokio, Yokohama und Osaka. Die Regionen mit den besten Bedingungen zur Windenergienutzung befinden sich weit davon entfernt, im Norden der Hauptinsel oder auf den ganz im Süden gelegenen Inseln. Für den Energietransport über lange Strecken sind die Stromnetze nicht gerüstet. Ein weiterer schwerwiegender Grund für die Stagnation der Windkraft auf dem Festland stellt die Reform des Baugesetzes 2007 dar. Seitdem gelten nach japanischem Baurecht für Windkraftanlagen mit einer Höhe von über 60 Metern gleiche Bedingungen wie bei Hochhäusern. Damit hat sich nicht nur das Antragsverfahren erheblich verlängert, auch die Kosten für einen Bauantrag haben sich auf rund 7 Millionen Yen (64.000 Euro) verdoppelt.

Richtlinie schreckt Hersteller ab

Die besonderen Wetterverhältnisse Japans – unter anderem Stürme und Blitzeinschläge – haben die NEDO dazu veranlasst, eine spezielle Baunorm für Windräder einzuführen, der vom gängigen IEC-Standard abweicht. Zu den Anforderungen dieser J-Class-Richtlinie gehören eine größere Toleranz gegenüber extremen Windböen sowie eine erhöhte Standsicherheit. Nationale Produktstandards sind für Japan nicht ungewöhnlich, weiß Björn Koslowski, Consultant für erneuerbare Energien bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer in Japan: „Das Land hat eine lange Historie beim Setzen eigener Standards, teils um den heimischen Markt gegen ausländische Produkte zu schützen.“

In diesem Fall zeigt die Maßnahme Wirkung. Mit den speziellen Zertifizierungen und den kostspieligen Antragsverfahren haben sich Markthürden für die Windbranche ergeben, die viele ausländische Hersteller förmlich aus dem Land getrieben haben. Im vergangenen Jahr hat die Repower Systems AG die Zusammenarbeit mit ihrem lokalen Distributor in Japan aufgrund steigender Marktanforderungen eingestellt. „Die speziellen japanischen Ansprüche an die Turbinen ziehen komplizierte Zertifizierungen nach sich“, berichtet der bei Repower für den asiatischen Markt zuständige Jan Gasche. „Bei einem signifikanten Neugeschäft ist dies kein Problem, bei einem Absatz von 50 Megawatt lohnt der Aufwand jedoch nicht.“ Repower verfolge derzeit keine Wachstumspläne für Japan, erklärt Gasche, „auch wenn wir den Markt stetig beobachten.“

Mitsubishi Japan | Though the country has yet to come up with a meaningful energy policy to replace its nuclear capacity with renewables, Japan nonetheless seems to be switching over. - © Photo: Mitsubishi Japan
Mitsubishi Japan | Though the country has yet to come up with a meaningful energy policy to replace its nuclear capacity with renewables, Japan nonetheless seems to be switching over.

Heimische Hersteller wie Fuji, Zephyr oder Mitsubishi Heavy Industries haben neue Turbinentypen entwickelt, die den Anforderungen unter Japans Extrembedingungen gewachsen sein sollen. Trotzdem lahmt die inländische Industrie seit Jahren. Mitsubishi, der größte heimische Hersteller, hat seine Aktivitäten längst auf die attraktiveren Märk­te in Europa und USA verlagert. Bereits seit 2002 ist eine Fertigung in Mexiko in Betrieb, eine weitere Produktion in Fort Smith, Arkansas, befindet sich in der Planung. Zu Beginn des Jahres kündig­te Mitsubishi den Bau einer Offshore-Pilotanlage im Norden Englands an, um künftig auch auf dem boomenden britischen Markt Fuß zu fassen. Doch den japanischen Markt ganz aufgeben möchte das Unternehmen nicht. „Da die Regierung Offshore-Windenergiegewinnung in ihre Wachstumsstrategie miteinbezogen hat, wird der Offshore-Sektor langfristig Fahrt aufnehmen. Davon wird auch die heimische Industrie profitieren“, sagt Mitsubishi-Sprecher Hideo Ikuno. Das Unternehmen, das sich auch an dem nationalen Forschungsprojekt für die Offshore-Nutzung beteiligt, hat nach eigenen Angaben bereits eine offshore-taugliche Großturbine entwickelt.

Zuletzt gaben die Regierungspläne zum Ausbau der erneuerbaren Energien aber Anlass zur Hoffnung. Das japanische Handelsministerium METI unterstrich im Juni seine Absicht, den erfolgreichen Einspeisetarif der Photovoltaik auf sämtliche regenerativen Energien auszuweiten. Die Solarförderung hatte im vergangenen Jahr zu einer deutlichen Belebung des japanischen Photovoltaikmarktes geführt. Nach zuletzt dürftigen Jahren 2007 (210 Megawatt) und 2008 (225 Megawatt) installierten die Japaner 2009 neue PV-Anlagen mit einer Gesamtleistung von 365 Megawatt. 2010 dürfte der Zubau noch deutlich größer ausfallen, dann wird der Einspeisetarif seine Marktwirkung erst richtig entfalten. Nach dem aktuellen Entwurf des Ministeriums wären die Stromversorger des Landes künftig dazu verpflichtet, regenerativen Strom zu 15 bis 20 Yen (0,14 bis 0,18 Euro) pro Kilowattstunde abzunehmen. Eine solche Regelung dürfte auch dem Windsektor neues Leben einhauchen, allerdings ist mit einem Inkrafttreten nicht vor 2012 zu rechnen.

Zweifel an ehrgeizigen Plänen

Und so rückt mit den neuen Ausbau-Zielen die hohe See als Standort verstärkt ins Blickfeld. „Japan verfügt über wenig Küstenlandschaften, die sich zur Windenergiegewinnung eignen“, erklärt Hidenori Yonekura von NEDO, „aber wir haben sehr viel verfügbare Fläche vor unseren Küsten.“ Auch wenn die Bedingungen für Offshore-Windparks an Japans Küsten als schwierig gelten. Der stark abfallende Kontinentalschelf vor der Küste Japans schränkt das potenzielle Einsatzgebiet für klassische Windparks, deren Baufundamente bis zu einer Tiefe von etwa 50 Meter verbaut werden können, deutlich ein. Laut dem Windenergieverband beläuft sich das Offshore-Potenzial mit schwimmenden Offshore-Anlagen auf 519 Gigawatt.

Dennoch: Eine kommerzielle Anwendung der Offshore-Windkraft scheint kurzfristig kaum realisierbar. Von dem Testwindrad bei Choshi hängt also vieles ab. Nicht weniger als die Zukunft der Offshore-Windenergie in Japan, ist DIHK-Consultant Koslowski überzeugt. „Ohne positive Testergebnisse dieser Anlage werden sich wohl nur wenige Anleger auf die Errichtung von Windparks auf hoher See in Japan einlassen. Auch Behörden werden sich ohne Erkenntnisse über die Sicherheit und Zuverlässigkeit zunächst schwertun, solche Anlagen zu genehmigen.“ Er hält es für unwahrscheinlich, dass die japanische Regierung ihre ehrgeizigen Ziele beim Ausbau der Windenergie realisieren kann. „Der Offshore-Bereich ist heute noch so unterentwickelt, dass vor der Mitte dieses Jahrzehnts wohl keine Windparks vor den Küsten Japans entstehen“, ist er sicher. Der Bereich der erneuerbaren Ener­gien dürfte aber mit dem in Aussicht gestellten Einspeisetarif ab 2012 einen starken Auftrieb erhalten, von dem zukünftig auch die Windkraft profitieren kann.

ROUBEN BATHKE