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Energiesystemwende

Energiesystemwende braucht den Mut von vielen

Céline Göhlich

Die Energiewende ist im Laufe der letzten Jahre ins Stocken geraten. Der Zubau von erneuerbaren Energien macht dies besonders deutlich. Der nationale Windgipfel am 05.09. hat gezeigt, dass der Zubau von Windenergie in 2019 quasi zum Erliegen gekommen ist. Auch bei der Photovoltaik liegt der Ausbau-Höhepunkt von 7,6 GW in 2012 inzwischen weit zurück. Doch ohne Erneuerbare wird die Bundesrepublik die nationalen Klimaziele für 2020 krachend verfehlen und ist auch für die ratifizierten Pariser Klimaziele nicht auf Kurs. Gleichzeitig fordert eine immer breitere Masse an Menschen eine wirksame Klimapolitik, wie z. B. der weltweite Klimastreik eindrucksvoll verdeutlichte. Dabei geht es auch um tiefgreifende Transformationen des gesamten Energiesystems.

Langfristige und kohärente Vision

Die große Frage ist, wie diese Transformation bewerkstelligt werden soll. Die “Baustelle” vor der die Politik steht, ist hochgradig komplex und kaum ein politisches Gewinnerthema. Aus Angst falsche Entscheidungen zu treffen und nicht auf alles die perfekte Antwort zu haben, scheinen viele Entscheidungsträger:innen das Thema lieber aussitzen zu wollen. Das beschlossene Klimapaket der Bundesregierung ist für Viele ein Ausdruck dieses mangelnden Veränderungswillens. Was fehlt ist eine langfristige und kohärente Vision für das Zielsystem. Dieses politische Vakuum gilt es zu füllen, doch dafür fehlt bisher der Mut.

Das Hoffen auf die System(er)lösung

Im aktuellen Fachdiskurs lässt sich hierzu eine interessante Beobachtung machen. Zwar formulieren diverse Akteure Vorschläge, wie das Energiesystem der Zukunft aussehen sollte, auf die Frage wie man dort hingelangt, wird sich häufig mit einem Trick beholfen: In der Diskussion um die Transformation zeichnen sich immer wieder zwei mögliche Antwortmuster ab. Das Erste ist der Glaube daran, dass das Energiesystem durch eine Technologie grundsätzlich verändert werden wird, wie etwa die Blockchain-Technologie, Batterie-Speicher, oder Power-to-X. Technologie wird als revolutionäre Kraft für den Systemwandel hochstilisiert. Doch all diesen Technologien ist eines gemeinsam. Sie beantworten nicht die unbequemen Grundsatzfragen des systemischen Wandels. Das zweite Muster adressiert genau das. Der Glaube daran, dass, ein mächtiger “Kümmerer” ohne Rücksicht auf die eigene politische Karriere genau diese Fragen für uns alle beantwortet und die Systemwende in Windeseile umsetzt. Der ehemalige Staatssekretär Rainer Baake wäre das wohl gern gewesen.

Diese Vorstellung ist keineswegs neu. Der Deus Ex Machina, sprichwörtlich das Auftauchen einer Gottheit aus einer Maschine, ist ein dramaturgisches Mittel aus der antiken Tragödie, wodurch tragische Konflikte von höheren außenstehenden Mächten plötzlich gelöst wurde. Die Technologie-Gläubigkeit und die Sehnsucht nach einem großen Kümmerer, die sich teilweise in der Diskussion um die Zukunft der Energiewende beobachten lassen, erinnern an diesen Trick aus dem altgriechischen Theater. Erkenntnisse aus der Umweltpsychologie zeigen, dass die Hoffnung auf Erlösung durch eine “höhere Macht” im Grunde ein normaler menschlicher Bewältigungsmechanismus als Antwort auf komplexe Situationen ist. Nur hilft uns das in diesem Fall leider nicht weiter…

Der unangenehmen Wahrheit ins Auge blicken

Der oder die große Kümmerer:in wird in unserem hochkomplexen politischen System nicht zum Vorschein kommen und auch Technologie muss zunächst die richtigen Rahmenbedingungen haben, um ihre vollen Potenziale auszuschöpfen. Technologische Durchbrüche geben uns allenfalls einen größeren Gestaltungsspielraum für den Umbau des Energiesystems. Und natürlich gibt es auch immer wieder einzelne progressive Entscheidungsträger:innen, die den politischen Diskurs prägen. Doch es wäre vermessen zu glauben, dass eine Person allein die vielen Facetten der Energiesystemwende verstehen, geschweige denn gestalten kann – zumal personelle Alleingänge nur schwer mit unserer demokratischen Grundordnung vereinbar sind.

Wir müssen der Wahrheit also ins Auge blicken und uns den unangenehmen Grundsatzfragen selbst stellen. Dazu gehören Fragen wie: In welchem Verhältnis sollen Energie- und Sozialpolitik zueinander stehen, wenn man Härtefälle und die Verlierer:innen der Transformation bedenkt? Wie kann echte Verteilung- und Verfahrensgerechtigkeit in der Energiewende erreicht werden? Wie kann Strukturwandel als Chance gestaltet werden, ohne Strukturbrüche herbeizuführen? Wie kann die technologische Entwicklung so gestaltet werden, dass sie im Dienst der Gesellschaft steht? Es gibt viele gute Ansätze zur Beantwortung all dieser Fragen, nur sind diese häufig noch verborgen hinter den Türen von Forschungsinstituten, Think Tanks und Stiftungen, die sie für sich verbuchen wollen. Bisher fehlt der Schulterschluss. Mit unserem Projekt Energiesystemwende versuchen wir hier die ersten Brücken zu bauen.

Allianzen bilden den Nährboden für Mut

Zwar sind sich Fachexpert:innen überwiegend einig, dass das aktuelle Energiesystem an seine Grenzen gerät, allerdings gibt es unterschiedliche Meinungen darüber, wie genau die Transformation stattfinden soll. Diese Verunsicherung erschwert es politischen Entscheidungsträger:innen, den nötigen Mut für Reformen aufzubringen. Um hier gemeinsame Positionen zu schaffen, sollten die verschiedenen Akteure im Fachdiskurs um die Energiewende umdenken. Dazu braucht es drei Zutaten:

Erstens sollten Fragestellungen kooperativ statt kompetitiv angegangen werden. Auch wenn viele Akteure sich bereits mit den komplexen Fragestellungen im heutigen Energiesystem befassen, wie zum Beispiel Netzengpassmanagement und Redispatch, so sind es dennoch nur Teilaspekte und in den seltensten Fällen Betrachtungen des gesamten Systems. Wenn Akteure in der Fachcommunity über ihre eigene Agenda hinweg gucken und Verknüpfungen mit unterschiedlichen Instituten anstreben, kann die Komplexität des Energiesystems besser erfasst werden. Jedoch verhindert eine kompetitive Denkweise oftmals einen fruchtbaren Austausch. Um dem entgegenzuwirken sollten bessere Strukturen und Formate für eine konstruktive Kooperation zwischen Forschungsinstitutionen, Stiftungen und Think-Tanks etabliert werden.

Zweitens, sollten wir einander aktiver zuhören. In vielen Auseinandersetzungen im Fachdiskurs werden die Baustellen im Energiesystem aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und dabei argumentieren Expert:innen aneinander vorbei. Das wird unter anderem in der Diskussion um die Zukunft der Netzinfrastruktur deutlich. Hier teilen sich etwa die Meinungen zwischen den Befürworter:innen eines starken Netzausbaus und denen die lieber auf dezentrale Erzeugung und Verteilung setzen. Wobei sich die jeweiligen Argumente oftmals auf verschiedene Ebenen beziehen – z. B. Haushalte und Industrie. Anstatt in eine Lagermentalität zu verfallen und vermeintliche Gegenpositionen pauschal abzulehnen, sollten wir uns mit den Ansichten und Bedenken des Gegenübers befassen. Dadurch können erst Lösungen entwickelt werden, die allen gerecht werden.

Ein dritter wichtiger Punkt besteht darin, Schwachstellen und ungeklärte Fragestellungen der eigenen Ansätze offen zu benennen. Denn wenn Schwachstellen von Zukunftsmodellen für das Energiesystem nicht adressiert werden, leidet die Glaubwürdigkeit dieser Ideen. So lassen sich diese Lücken leicht als Totschlagargumente gegen progressive Veränderungen nutzen. Vielmehr braucht es eine offene Kommunikation über Schwachstellen innerhalb der progressiven Fachcommunity, damit die Chancen erhöht werden diese gemeinsam zu lösen und potenzielle Gegenargumente mit realistischen Antworten zu entkräften.

Die Botschaft ist klar: Die Energiewende braucht mehr Allianzen unter den Befürwortern der Energiewende. Solch ein Schulterschluss bringt resiliente und schlüssige Argumentationen hervor, wodurch die Veränderungsbereitschaft in der Politik gestärkt werden kann. Batterie-Speicher, Power-to-X, Künstliche Intelligenz, Blockchain und mutige Entscheidungsträger:innen, das alles ist wichtig, um die Energiewende zu reanimieren. Doch keine dieser einzelnen Lösungen ermöglicht es uns, die schwierigsten Fragen des Transformationsprozesses zu umgehen. Es wird keinen Deus Ex Machina geben. Nur durch gemeinsames Auftreten von Vielen statt Hahnenkämpfe untereinander kann der Mut erwachsen, den eine zukünftige Energiepolitik braucht.

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Dieser Beitrag ist in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen und ist Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.

Céline Göhlich ist Projektmanagerin im Themenbereich „Digitale Energiewende“ bei der Stiftung Neue Verantwortung. In Zusammenarbeit mit der Reiner Lemoine Stiftung, der 100 prozent erneuerbar Stiftung, dem Bündnis Bürgerenergie und der Haleakala Stiftung, untersucht sie im Projekt “Energiesystemwende” welche politischen und technologischen Weichenstellungen das 1,5° Klimaziel benötigt.

Bisher erschienen sind:

- Fabian Zuber: Energiewende in der Sackgasse

- Dr. Kathrin Goldammer: Kein Widerspruch: Erneuerbare und energiewirtschaftliche Ziele

- Clemens Triebel: Speichertechnologien entfesseln

- Paul Grunow: (Keine) Innovationsfähigkeit der Konzerne

-Eberhard Holstein: Energiesystemwende ganz sicher: Ohne Atomenergie

-Mascha Richter: Ein Energiesystem im Wandel

-Eberhard Holstein: 10 Jahre Abschaffung der physikalischen Wälzung

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