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Klimaneutral im Quartier

Katharina Wolf

Man kann es positiv sehen: Im Gebäudebestand schlummert ein riesiges Potenzial für den Klimaschutz. 16 Prozent der gesamten CO2-Emissionen in Deutschland stammten 2021 aus dem Gebäudesektor. Von den knapp 22 Millionen Gebäuden wurden laut Bundesregierung etwa 12,5 Millionen Wohngebäude vor 1977 errichtet, also vor der ersten Verordnung über energiesparenden Wärmeschutz. Hier ließe sich einiges bewegen.

Man kann es negativ sehen: Bislang verlaufen die Bemühungen in der Sanierung viel zu langsam. Bis 2030 sollen die CO2-Emissionen von derzeit rund 120 Millionen Tonnen auf 67 Millionen Tonnen sinken, bis 2045 soll der Gebäudesektor klimaneutral sein. Zwei Prozent des Gebäudebestandes müssten jährlich saniert werden. Bislang ist es ein Prozent. Die Flaschenhälse sind zahlreich: Materialpreise steigen, es mangelt an Fachkräften und nicht zuletzt erschwert eine zersplitterte Eigentümerstruktur die Umsetzung größerer Projekte.

6.100 Quadratmeter Photovoltaikfläche, die 760.000 kWh pro Jahr erzeugen, wurden auf den Dächern der Kölner Steger­waldsiedlung installiert.

Beispiel Stegerwaldsiedlung in Köln

Oder man kann es als Herausforderung sehen, wie das Beispiel der Kölner Stegerwaldsiedlung zeigt. Es ist ein Quartier, wie es viele in Deutschland gibt: In den 50er-Jahren errichtet, um schnell Wohnungen in der vom Krieg zerstörten Stadt zu schaffen, schlicht und mit wenig Komfort – ohne Fahrstuhl und Balkon. 16 Gebäude mit 668 Wohnungen bieten mehr als 1.000 Menschen eine Unterkunft.

Typisch war die Stegerwaldsiedlung auch, was ihren Energieverbrauch und ihren CO2-Ausstoß angeht. Mittlerweile jedoch hat sich das Quartier im Kölner Norden zu einem Vorzeigeprojekt entwickelt, was Sanierung im Bestand angeht. „Wir konnten den Primärenergiebedarf von 130 bis 180 auf 30 bis 40 Kilowattstunden im Jahr senken, also auf etwas mehr als 20 Prozent des Ausgangswerts“, sagt Christian Remacly, Projektleiter beim Energieversorger Rheinenergie, einer 80-prozentigen Tochter der Stadtwerke Köln GmbH. Die Treibhausgasemissionen, vor allem Kohlendioxid, sanken parallel um 70 Prozent.

Möglich wurde das durch ein ambitioniertes und gefördertes Sanierungsprojekt der Stadt Köln, der Rheinenergie und der Deutschen Wohnungsgesellschaft (Dewog) als Besitzerin der Immobilien. Ziel war, das Wohnumfeld aufzuwerten, das Quartier mit viel Eigenenergie zu versorgen und die Mieter in weiterhin bezahlbaren Wohnungen zu halten.

Mobilitätshub mit Carsharing

Die Häuser wurden gedämmt und die Dächer mit PV-Anlagen ausgestattet: Auf 6.100 Quadratmetern produzieren die Module circa 760.000 Kilowattstunden (kWh) Strom pro Jahr, der für die Wärmepumpen, zum Aufladen von Batteriespeichern und als Mieterstrom für die Hausbewohner zur Verfügung steht. Über den neuen Tarif der Rheinenergie AG „Heimkraftwerk“ haben die Mieterinnen und Mieter die Möglichkeit, den PV-Strom vom Dach zu nutzen. Der Rest geht ins Netz. Zudem entstand ein Mobilitätshub mit verschiedenen Carsharing-Angeboten, E-Bikes und normalen Fahrrädern. Zur Abdeckung von Spitzenlasten wird die Wärmeversorgung mittels Fernwärme der Rheinenergie AG ergänzt.

Die Gasheizungen wurden durch Zentralheizungen mit Wärmepumpen ersetzt. „Zu Projektbeginn 2015 war der Einsatz von Wärmepumpen in diesem Maßstab noch nicht üblich. Für Lastspitzen haben wir die Siedlung daher zusätzlich an die Fernwärme angeschlossen“, sagt Remacly. „Das würde man heute so nicht mehr machen müssen.“

Ein von der Rheinenergie entwickeltes Energiemanagementsystem sorgt dafür, dass der Eigenverbrauch immer möglichst groß ist. „Das System könnte den Autarkiegrad der Theorie nach um weitere acht Prozent steigern. Da die Protokolle der Anlagen nicht standardisiert sind, lässt sich dieses Potenzial nicht voll ausschöpfen“, bedauert Remacly. Aber auch so habe man durch die Optimierung der Anlagen sehr gute Einsparungen erzielt.

Klimakiller Gebäude

Erneuerbare Energien kommen im Stromsektor auf rund 50 Prozent. Der Transformationsprozess in der Wärme stagniert derweil seit mehreren Jahren. Wärme und Kälte werden nur zu 16,5 Prozent aus Erneuerbaren bereitgestellt. Gebäude verursachen rund ein Viertel aller Treibhausgasemissionen in Deutschland.

Beispiel Regensburg Margaretenau

500 Kilometer weiter südöstlich, Regensburg Margaretenau. Die genossenschaftliche Siedlung aus den 1920er-Jahren verfolgt ein ebenso ehrgeiziges Ziel wie die Kölner: Die 80 zum Teil fast 100 Jahre alten Häuser mit 361 Wohnungen sollen so modernisiert und saniert werden, dass die moderaten Mieten nicht steigen. Gleichzeitig bietet die Sanierung einem Forschungsprojekt aus dem Programm „Solares Bauen“ Raum: In einem Demonstrationsgebäude untersuchte der Forschungsverbund des Projekts „Maggie“ unter der Federführung der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg neue Materialien und die intelligente Steuerung eines auf Eigenverbrauch getrimmten Energiesystems.

Das Vorhaben hat schon im vergangenen Jahr für Aufmerksamkeit gesorgt. Beim Bundespreis Umwelt und Bauen 2021 ist die Sanierung des Wohnviertels unter Leitung der OTH Regensburg mit einer Anerkennung ausgezeichnet worden. Umweltbundesamt und Bundesumweltministerium würdigen nach eigenen Angaben mit dem Preis Leuchtturmprojekte nachhaltigen Bauens, die „zeigen, wie zukunftsfähiges Bauen, gerade auch im Bestand, schon heute realisiert werden kann“.

Nach der Sanierung: die fast 100 Jahre alten Häuser der Siedlung Margaretenau – jetzt mit Solardächern und vielem mehr

Foto: OTH Regensburg

Nach der Sanierung: die fast 100 Jahre alten Häuser der Siedlung Margaretenau – jetzt mit Solardächern und vielem mehr

Warmmieten-konstante Sanierung

Zur Begründung der Vergabe des Preises in der Kategorie klimagerechte Sanierung nach Regensburg teilte die Fachjury mit: „Dem Projekt gelingt es, durch eine Warmmieten-konstante Sanierung und eine intensive Partizipation der Mieter:innen auch die sozialen Aspekte einer Sanierung zu berücksichtigen.“ Oliver Steffens, der das Projekt leitet, sagt: „Die besondere Herausforderung besteht darin, dass die Gebäude auch architektonisch wertvoll sind und deshalb nicht einfach von außen mit Platten gedämmt werden können.“ Für die denkmalgerechte Modernisierung der historischen Fassaden wurde ein solaraktives und solaradaptives Außenputzsystem entwickelt. Hohle Glaskügelchen sorgen für besonders gute Isolierung. „Das hat den Vorteil, dass deutlich weniger Material aufgetragen werden muss und so die Fassade nicht verzerrt wird“, sagt Steffens. Außerdem erprobten die Wissenschaftler Prototypen von lichtleitenden Elementen in Form von zylindrischen Röhren an der Südfassade. „Hier evaluieren wir noch die Effekte“ so Steffens. Wir rechnen mit bis zu 15 Prozent weniger Wärmeverlust im Winter. Gleichzeitig darf es aber im Sommer nicht zu einer Überhitzung der Wohnungen kommen.“ Die Neigung der lichtleitenden Elemente muss entsprechend ausgelegt werden.

Für die Wärmeerzeugung kommen Wärmepumpen und ein Blockheizkraftwerk kombiniert mit dezentralen Pufferspeichern zum Einsatz, der Strom stammt so weit wie möglich aus Photovoltaikanlagen auf dem Dach. Ein intelligentes Steuerungssystem, angepasst an das Gebäudeprofil, berücksichtigt Wetterdaten, Strompreis, Einspeisevergütung und eventuelle Brennstoffkosten. „Bislang läuft das System auf einem digitalen Zwilling des Gebäudes“, sagt Steffens. „In der Simulation konnten wir erhebliche Einsparung von CO2 und Kosten nachweisen.“

15 Prozent weniger Wärmeverlust könnten durch neuartige lichtleitende Elemente an der Südfassade der Gebäude in Regensburg Magaretenau möglich sein.

Primärenergiebedarf sinkt um 84 Prozent

Die Ergebnisse des Forschungsprojekts fließen in die laufende Sanierung des gesamten Quartiers ein. Dort konnten schon jetzt große Effekte erreicht werden: 55 Wohnungen sind bereits saniert. Der Primärenergiebedarf sinkt um 84 Prozent, der Endenergiebedarf um 80 Prozent und die CO2-Emissionen um 70 Prozent. Ein Vorteil des Quartiers sei, dass die Genossenschaft als Eigentümerin gut als Gemeinschaft funktioniere und klar strukturiert sei, betont Steffens. „Auch deswegen konnten wir zeigen, dass in wertvollen Bestandsgebäuden eine energetische Sanierung möglich ist, ohne dass die Mieten zu sehr steigen“, sagt Steffens.

Für Steffens ist besonders wichtig, dass sich die im Projekt Maggie gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere Sanierungsvorhaben übertragen lassen. „Der fachübergreifende, ganzheitliche Lösungsansatz im Projekt Maggie – von sozialen und denkmalpflegerischen Aspekten über bauphysikalische Innovationen bis hin zu intelligenter Wärmelogistik – ist für uns alle faszinierend, aber auch eine große Herausforderung“, sagte Steffens.