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Kommentar Ministerpräsidentenwahl Thüringen

Erfurts rechter Politik-Deal ohne Mehrheit und Energie

Tilman Weber

Ausgerechnet der Windenergiefeind Thomas Kemmerich, FDP-Fraktionsvorsitzender im Landtag in Erfurt, ist nun also thüringischer Ministerpräsident. Vielleicht wird Kemmerich der Ministerpräsident eines Bundeslandes mit der kürzesten Amtszeit. Denn prominenteste Bundespolitiker im deutschen Bundestag einschließlich der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel fordern bereits einen Tag nach dessen skandalumwitterter Wahl im Erfurter Landesparlament dessen Rücktritt. Spitzen-Politiker aus den Reihen aller Bundestagsparteien und damit auch aller im Thüringer Landtag vertretenen Parteien mit Ausnahme der ultrarechten-neoliberalen AFD halten dessen Ernennung mit knappster Mehrheit für untragbar. Warum? Weil das am Mittwoch vorgeführte Wahlmanöver nur in Zusammenarbeit mit der AFD denkbar war. Und noch während des Schreibens an diesem Kommentar stellt Kemmerich sogar Neuwahlen in Aussicht und sein Amt wieder zur Verfügung.

Coup mit vielen Merkwürdigkeiten

Aber der Reihe nach: Für die künftige Thüringer Landes-Energiepolitik im Speziellen könnte es wie für jedes andere Polit-Thema eigentlich ja zunächst egal sein, mit welchen taktischen Finessen ein Ministerpräsident ins Amt geraten ist. Dennoch darf zum ersten hier daran erinnert werden: Der Vertreter der kleinsten Fraktion im Landtag ist Ministerpräsident geworden, weil ihn die Fraktion der ultrarechten Marktliberalen der AFD offenbar geschlossen gewählt hat. Geschehen ist dies, nachdem der gleichfalls Marktliberale Kemmerich erst im dritten und gemäß den Regeln letzten Wahlgang angetreten war. Damit ist seine denkbar knappe Mehrheit von 45 Abgeordnetenstimmen gegen 44 Abgeordnetenstimmen auf Seiten des abgewählten Amtsinhabers und Linke-Politikers Bodo Ramelow fast zur Hälfte durch AFD-Stimmen zustande gekommen. Das ist mehr als nur pikant, nachdem sowohl CDU als auch Kemmerich selbst erklärt hatten, mit der AFD keineswegs zusammenarbeiten zu wollen oder auch nur zu kooperieren. Doch als verlogen darf die Ausrede geziehen werden, Kemmerich habe seine Zustimmung überraschend und ohne Abstimmung in geheimer Wahl erhalten: Die AFD hatte zum Schein sogar ihren eigenen Kandidaten in der dritten Abstimmungsrunde erneut antreten lassen – um ihm nach voller Zustimmung in den ersten zwei Wahlgängen plötzlich keine einzige Stimme mehr zu geben. Kemmerich nahm die Wahl dennoch sofort an. Er beanspruchte keinerlei Bedenkzeit, um die vermeintliche, vorgeschützte Überraschung zu verarbeiten. Auch wurden aus den Reihen von CDU weder Protestrufe noch spontane Überraschungsrufe laut.

Mit der FDP zöge die Partei das Amt des höchsten Landesrepräsentanten an sich, die nicht nur die kleinste Fraktion stellt. Hinzu kommt, dass die FDP sogar mit nur wenigen Dutzend Stimmen über dem Minimum nur mit Glück noch ins Parlament gelangt war. Den Skandalfaktor erhöht auch noch die Tatsache, dass die Thüringer AFD-Fraktion verkörpert durch ihren Fraktionschef Björn Höcke politisch am extremen Rand der ultrarechten Partei anzusiedeln ist.

Eklatante Missachtung der vom Wähler gewünschten Klimapolitik

Dass dies schon Skandal genug ist, muss in einem Kommentar eines Magazins und Onlineportals für die Energiewende allerdings noch nicht im Fokus stehen. Entscheidend für die Erneuerbaren-Branche wird der Vorgang hingegen dadurch, dass die Personalie Kemmerich insbesondere eine eklatante Missachtung der vom Wähler gewünschten Energie- und Klimapolitik bedeutet. Denn die bisherige Politik zum Schutz des Klimas und zum Ausbau einer Energieversorgung mittels regenerativer Quellen der Regierung Ramelow hatten die Wähler mehrheitlich und somit demokratisch bestätigt. Das Thema galt laut Umfragen unter den Wählern sogar als eines der wichtigsten für die Wahlentscheidung.

Richtig ist, dass die Rot-Rot-Grün genannte Liaison von Linkspartei, SPD und Grünen durch die Landtagswahl im vergangenen Herbst ihre parlamentarische Mehrheit verloren hatte. Zugegeben sei auch, dass die klar gegen die Energiewende agierenden Parteien AFD und FDP zusammen mit der mehrheitlich energiewendeskeptischen CDU eine leichte Landtagsmehrheit gegen Rot-Rot-Grün stellen.

Wer kluge Energiewendepolitik wollte, wollte Ramelow

Doch als Querschnittsergebnis aus mehreren vor und nach der Landtagswahl gemachten Stimmungsumfragen steht zugleich fest, dass Klima- und Energiepolitik für die Wähler wenn nicht das wichtigste, so doch ein wichtiges Entscheidungskriterium für ihre Wahl waren. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass die sich besonders für Klima- und Energiepolitik interessierenden Wähler auch überwiegend Pro-Energiewende-Wähler waren. Denn wer Klimapolitik für wichtig hält, muss sich für diese interessieren. Und wer sich für Klimapolitik interessiert, kann dies nur mit dem Wunsch, die Erderwärmung abgemildert zu sehen. Und dafür wünschen sich diese Wähler wohl am meisten eine kluge Energiewendepolitik und in Thüringen die Fortsetzung der Regierung Ramelow.

Wichtigste Themen noch vor Klima- und Energiewendepolitik waren gemäß diesen Umfragen die Bildungspolitik sowie die Sicherheit vor politisch motivierten Terror-Anschlägen, die Lohn- und Rentenhöhe sowie die Wirtschaft. Dabei standen diese weiteren wichtigsten Themen allerdings nicht in allen Umfragen ganz oben auf der Prioritätenliste der Wähler. Vielmehr wechselten diese Themen je nach Umfrage. Und während für Bildungspolitik beispielsweise die Linkspartei als Partei mit den meisten Kompetenzen galt, nannten die Umfrageteilnehmer die AFD als kompetenteste Kraft für den Schutz vor Anschlägen – was die Ausstattung beider Parteien als Fraktionen mit den meisten Sitzen im Landtag miterklärt.

Angst vor Klimawandel von Wählern aller Parteien mehrheitlich geteilt

Doch gefragt nach ihren größten Sorgen steht die Energie- und Klimawende wieder ganz oben: Außer bei der Angst vor politisch motivierten Anschlägen, so belegt es eine ARD-Umfrage, war nur noch die Angst vor dem Klimawandel eine in allen Parteien mehrheitlich von den Wählern geteilte Empfindung.

Deshalb lässt letztlich die Wahl Kemmerichs aus Sicht der Erneuerbaren-Branche nur einen Schluss zu: Sie war undemokratisch, weil nicht mehrheitsfähig. Gut, wenn die Dealmaker in Thüringen zumindest auf Seiten von CDU und FDP, wie es im Moment scheint, wirklich klein beigeben und Neuwahlen ausrufen.