Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
EnergieSystemWende

Kein Widerspruch: Erneuerbare und energiewirtschaftliche Ziele

Kathrin Goldammer

Forschungsinstitute wie das Reiner Lemoine Institut in Berlin arbeiten an technischen Lösungen, mit denen das Energiesystem von morgen Versorgungssicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit vereinen kann. Auf dem Papier sind Konflikte dabei immer lösbar – wo liegt also eigentlich das Problem?

In der letzten Ausgabe dieser Kolumne schrieb Fabian Zuber, dass die Energiewende in einer System-Sackgasse steckt. Innovative Ansätze und Ideen gibt es zuhauf, aber die neuen Modelle lassen sich nur schwer ins konventionelle Energiesystem integrieren. Seine Kernaussage: Es ist Zeit, dass sich das Energiesystem endlich an die erneuerbaren Energien anpasst – und nicht umgekehrt.

Energieversorgung braucht neue Bewertungsmaßstäbe

Hier am Reiner Lemoine Institut (RLI) arbeiten wir ganz konkret und anwendungsorientiert an den Forschungsfragen der Energiewende sowie des dazugehörigen Energiesystems. Wir berechnen, simulieren, planen, programmieren und testen Technik rund um die erneuerbaren Energien und Elektromobilität. Wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Institut – mehrheitlich Ingenieurinnen und Ingenieure – sehen das Energiesystem als Netz aus Leitungen und Spannungsebenen kombiniert mit Erzeugungsanlagen, elektrischen Lasten und so weiter. Wir können mit unseren Programmen jetzt schon nahezu jedes Energiesystem skizzieren – auch eines mit 100 Prozent erneuerbaren Energien zu jeder Stunde des Jahres. Selbst den Verkehrssektor bekommen wir komplett elektrifiziert problemlos im Energiesystem unter, und der Stromverbrauch in Deutschland würde sich um weniger als ein Viertel erhöhen.

Konflikte tauchen erst dann auf, wenn die Energieversorgung von morgen anhand des Energiesystems von heute bewertet wird. Dies lässt sich gut anhand des klassischen energiewirtschaftlichen Zieldreiecks zeigen, das aus Versorgungssicherheit, Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit besteht. Von den Menschen, die mir zustimmen, dass erneuerbare Energien die klimafreundlichste Form der Stromversorgung darstellen, sind immer noch viele skeptisch, wenn es um die künftige Versorgungssicherheit und zum Teil auch um die Stromproduktionskosten auf Basis von Wind- und Sonnenenergie geht.

Bei der Wirtschaftlichkeit sind die Bedenken nicht angemessen: Wenn für die Integration neuer Technik geschickt Anreize gesetzt werden und sie hierdurch großflächig angenommen wird, ergibt sich die Wirtschaftlichkeit fast von alleine – wie wir bei der Kostenentwicklung der Photovoltaik in den vergangenen 20 Jahren schon gesehen haben.

Bei der Versorgungssicherheit hingegen kann ich die Sorgen zunächst verstehen: Das aktuelle deutsche Stromsystem aus gigantisch großen konventionellen Kraftwerken hält unsere Netzfrequenz von 50 Hertz nachweislich mit größter Zuverlässigkeit. Und es hat dabei so große Überkapazitäten, dass uns der „graue“ Strom in keiner Situation ausgehen würde.

Energiewirtschaftliches Zieldreieck weiterdenken

Aber ist das ein Grund, beim bestehenden System zu bleiben? Nein! Denn das konventionelle System versagt bei der Umweltfreundlichkeit und zwingt uns zum Umdenken. Es ist wichtig, zu verstehen, dass mit der Energieproduktion von morgen auch ein Energiesystem von morgen einhergehen muss. Wir forschen daher am Institut daran, das Energiesystem der Zukunft zusätzlich zu seiner Umweltfreundlichkeit auch sicher und wirtschaftlich zu machen.

Wir sind überzeugt davon, dass ein klimafreundliches System für Energie, Verkehr und Wärme möglich ist und wir zeigen der Welt die technischen Lösungsansätze dafür. So kann die Versorgungssicherheit beispielsweise durch das Einführen innovativer Wechselrichter und neuartiger Batteriespeicher deutlich gesteigert und die Frequenz ebenfalls stabilisiert werden.

Das energiewirtschaftliche Zieldreieck von heute muss also einen Schritt weitergedacht werden: Im Jahr 2030, spätestens 2050, werden die erneuerbaren Energien mit Abstand die günstigste Form der Stromproduktion darstellen, und sie werden auch unsere Erwartungen an die Versorgungssicherheit erfüllen. Die zentrale Frage lautet daher: Was müssen wir heute tun, um uns auf das energiewirtschaftliche Zieldreieck 2050 vorzubereiten?

Dieser Beitrag ist am 28. Mai. 2019 in der Onlineausgabe des Fachmagazins „ERNEUERBARE ENERGIEN“ erschienen. Es ist der zweite Teil einer Kolumne der Reiner Lemoine Stiftung zur EnergieSystemWende. Darin kommen regelmäßig Autorinnen und Autoren zu Wort, die für die Reiner Lemoine Stiftung (RLS) sowie das Reiner Lemoine Institut (RLI) aktiv sind oder gemeinsam mit RLS und RLI an Projekten zur Transition des Energiesystems arbeiten.

Teil 1 der Kolumne finden Sie hier.

Die Autorin Kathrin Goldammer ist seit 2016 Geschäftsführerin des Reiner Lemoine Instituts.

Weitere Informationen finden Sie hier.