Umspannwerke und Trafos gehören zu den knappen Gütern im temporeichen Ausbau von Windparks.
Steigende Kosten und Konkurrenz in den Auktionen bringen Projekte unter Druck. Die Bundesregierung sorgt zusätzlich für Unsicherheit.
Katharina Wolf
Eigentlich stand die Route für den Transport der Rotorblätter fest: Anlieferung im Hafen Rostock, dann 350 Kilometer über die Autobahnen A19, Berliner Ring und A2 zum Repowering-Projekt Elster im westlichen Sachsen-Anhalt.
Doch es kam ganz anders: „Wir konnten den Berliner Ring nicht nutzen“, berichtet Katja Felkl, Leiterin Planung bei VSB Deutschland. Damit fiel auch der Hafen Rostock aus. Und so nahmen die Bauteile einen ganz anderen Weg: Vom niederländischen Hafen Moordijk ging es südöstlich erst nach Frankfurt, Nürnberg und Dresden und von dort aus in den Landkreis Lutherstadt Wittenberg. „Das war ein Umweg von rund 1.000 Kilometern, der pro Transport zwei Tage zusätzlich gedauert hat“, so Felkl. Für den gesamten Windpark belief sich die zusätzliche Dauer auf 256 Tage extra für den Transport „aufgrund von infrastrukturellen Einschränkungen durch Baustellen und Brücken mit Gewichtsbeschränkungen“, kritisiert Felkl.
Genehmigungen ziehen an, aber genehmigt heißt noch nicht gebaut
Hindernisse wie dieses sind Projektentwicklern nicht neu. Zwar hat sich mit der engagierten Gesetzgebung der Ampelregierung grundsätzlich die Situation verbessert. Klare Ausbau- und Flächenziele beschleunigten die Flächenausweisungen. Vereinfachte Genehmigungsregelungen verkürzten die Dauer der Verfahren laut Fachagentur Wind und Solar (FA Wind und Solar) von durchschnittlich 26,1 Monaten im Jahr 2023 auf aktuell gut 18 Monate. Gleichzeitig stieg das genehmigte Volumen: 14 Gigawatt (GW) Windleistung durchliefen im vergangenen Jahr erfolgreich das Verfahren. „Mit dem 2024 genehmigten Leistungsvolumen wurde erstmals ein Niveau erreicht, das ein Erreichen künftiger Ausbaupfade nach dem EEG realistisch werden lässt“, kommentiert die FA Wind und Solar.
Doch ist jetzt alles gut? Schließlich bedeutet genehmigt noch nicht gebaut. 115 Gigawatt Windleistung an Land sollen laut Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) im Jahr 2030 Strom erzeugen. Zum Stichtag 30. Juni dieses Jahres waren es gut 65 GW. Jedes Jahr müssten 10 GW hinzukommen, um dieses Ziel zu erreichen.
18 Monate nur noch statt zuvor 26 Monate dauern die Verfahren von Windprojekten jetzt im Schnitt durch verkürzte Genehmigungen.
Steigende Kosten bedrohen die Wirtschaftlichkeit
Auf dem Weg von der Genehmigung bis zum Bau türmen sich indes gleich mehrere Hürden auf, die einzeln zu bewältigen sind, doch insgesamt die Wirtschaftlichkeit von Projekten in Gefahr bringen können. „Die Erreichbarkeit von Flächen stellt in einigen Regionen, insbesondere im Süden Deutschlands, eine große Herausforderung dar“, sagt Falk Burkhardt, Projektentwickler bei Alterric Deutschland, der schwerpunktmäßig in Baden-Württemberg und Bayern tätig ist. Der Transport von Großkomponenten auf abgelegene Berggipfel im Schwarzwald, Umwege wegen Dauerbaustellen auf den wichtigsten Autobahnen, private Grundstücksbesitzer, die für ein Überfahrrecht schon mal eine fünfstellige Summe fordern – logistisch sei der Aufwand oft groß.
Dazu kommen Schwierigkeiten beim Herstellen des Netzanschlusses, für den – je nach Standort – weite Entfernungen überbrückt werden müssten, teils bei schwierigen Bodenverhältnissen: „10 bis 15 Kilometer Kabeltrasse durch Gestein zu verlegen, ist aufwendig und teuer“, so Burkhardt. „Nicht alle Standorte, an denen Windenergie theoretisch möglich ist, können auch umgesetzt werden.“ Denn die Logistik ist nicht der einzige Kostentreiber: Umspannwerke, Baumaterial, Arbeitskräfte – alles sei in den vergangenen Jahren deutlich teurer geworden, sagt Burkhardt.
115 GW Windleistung: In dieser Größenordnung soll an Land laut Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2030 Strom erzeugt werden. Zum Stichtag 30. Juni dieses Jahres waren es gut 65 GW.
Zudem treibt die gestiegene Nachfrage die Anlagenpreise. „Die 14 GW genehmigte Leistung konkurrieren demnächst um die modernsten Anlagen“, sagt Thomas Winkler, Geschäftsführer bei VSB Deutschland. „Die Kapazitäten der europäischen Hersteller sind aber begrenzt.“ Zudem betrügen die aktuellen Lieferzeiten für die Anlagen gut zwei Jahre. „Wir müssen praktisch mit dem Zuschlag die Turbinen bestellen – und dann darf im Projekt nicht mehr viel schiefgehen“, so Winkler. Mit dem Zuschlag tickt die Uhr: Wer innerhalb von drei Jahren nicht gebaut hat, verliert den Anspruch auf seine bezuschlagte Vergütung.
Die große genehmigte Windleistung hat allerdings noch einen Preiseffekt: In den Ausschreibungsrunden bekommen nur die günstigsten Projekte den Zuschlag. Je mehr Bieter, desto stärker geraten die Werte unter Druck. Noch sind sie auskömmlich, auch weil die Bundesnetzagentur angesichts unterzeichneter Ausschreibungen und hoher Kosten 2024 die Höchstwerte stabil hielt. In diesem Jahr hingegen zeichnet sich eine deutliche Überzeichnung ab – und damit könnten die Vergütungen 2026 sinken.
Der „Realitätscheck der Energiewende“ sorgt für Verunsicherung
Gleichzeitig verschiebt sich die politische Großwetterlage. Die neue Bundesregierung hat sich zwar im Koalitionsvertrag zum Ziel der Klimaneutralität bekannt, doch es mehren sich die Anzeichen, dass das Thema nicht mehr mit derselben Konzentration vorangetrieben werden wird. „Wir brauchen weiterhin den Druck, den die Ampelregierung bei diesem Thema aufgebaut hat, um die Ausbauziele der Erneuerbaren zu erreichen“, sagt Petra Zahnen, bei der PNE-Gruppe zuständig für Public Affairs.
Wirtschaftsministerin Katherina Reiche hat ein Gutachten zum „Realitätscheck der Energiewende“ in Auftrag gegeben. Das Ziel: die Stromverbrauchsprognose der alten Bundesregierung (750 Terawattstunden im Jahr 2030) einer Kontrolle zu unterziehen. Gut möglich, dass die Zahlen nach unten korrigiert werden, weil die Entwicklungen bei der E-Mobilität, der heimischen Wasserstoffproduktion und dem Umstieg auf Wärmepumpen noch nicht so viel Fahrt aufgenommen haben wie erhofft – und weil die Vorgaben für das Gutachten von Kritikern als „zu eng“ bezeichnet werden. „Wenn das neue Gutachten tatsächlich weniger Bruttostrombedarf aufzeigt als bisher erwartet, könnte es sein, dass die neue Bundesregierung das Zwei-Prozent-Flächenziel noch einmal evaluiert und beim Ausbau der Netze das Gas rausnimmt. Will heißen, das Gutachten hat das Potenzial, die Dynamik beim Erneuerbaren-Ausbau zu hemmen“, sagt Zahnen.
2 Prozent Flächenziel für den Windausbau: Das war eigentlich fest vereinbarte Sache. Doch wenn beim Monitoring-Bericht ein unrealistisch niedriger künftiger Strombedarf genannt wird, könnte das infrage gestellt werden.
Zu Redaktionsschluss lag zwar noch kein Gutachten vor, aber Unsicherheit breitet sich aus. Denn der Realitätscheck könnte nicht nur die Grundlage für das Flächenziel oder den Netzausbau verändern, sondern auch die im kommenden Jahr anstehende Reform des EEG und das neue Strommarktdesign beeinflussen. Derweil entsteht der Eindruck, dass die neue Regierung gewillt ist, dem Ausbau der Windenergie neue Hürden in den Weg zu legen: So sieht der Gesetzentwurf zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr auch eine Änderung des Luftfahrtgesetzes vor. Demnach dürften Bauwerke, und darunter fallen Windenergieanlagen, nicht errichtet werden, wenn dadurch Flugsicherungseinrichtungen oder stationäre militärische Einrichtungen zur Luftverteidigung gestört werden. Laut Bundesverband Windenergie könnte diese Regelung 40 Prozent der Landesfläche blockieren. Im Sommer hatte Katherina Reiche für Unruhe gesorgt, als sie die Idee, Photovoltaik- und Windparkbetreiber an den Netzausbaukosten zu beteiligen, befürwortete.
„Die Branche braucht Planungssicherheit und verlässliche Bedingungen“, sagt Zahnen. Banken und Versicherungen legten Wert auf Stabilität, Hersteller und Projektierer bräuchten sichere Perspektiven für Investitionen und nicht zuletzt sei die Industrie an grünem Strom stark interessiert. „Einen Fadenriss im Ausbau können wir alle uns nicht leisten“, betont Zahnen. Sie ist überzeugt: „Die vielen kleinen Bottlenecks von Denkmalschutz bis Logistik können gelöst werden, wenn der politische Wille weiter da ist, die Energiewende konsequent voranzutreiben.“
Foto: VSB Gruppe/Christian Nimtz
Die Transporte moderner, langer Rotorblätter werden immer komplizierter.