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Engpässe und Behörden bremsen die Energiewende

So viel Zuspruch haben Windenergie und Photovoltaik (PV) in Deutschland noch nie erfahren. Bereits der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung enthält ambitionierte Pläne für den Ausbau erneuerbarer Energien. Das Osterpaket hat die Ausbauziele der PV- und Wind-Onshore-Kapazität noch einmal verschärft. Bis 2030 sollen jeweils weitere 15 Gigawatt (GW) PV-Kapazität und damit 215 GW bis 2030 und bei der Wind-Onshore-Kapazität insgesamt 115 GW bis 2030 installiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen jährlich durchschnittlich 17,4 GW PV und 6,5 GW Onshore-Windanlagen zugebaut werden. 2023 gibt es dafür ein einmaliges Rekord-Ausschreibungsvolumen von 12,84 GW für Onshore-Windenergie, danach sind jährlich 10 GW geplant. Doch der Graben zwischen Anspruch und Wirklichkeit klafft tief. Die Bundesnetzagentur BNetzA hat im ersten Halbjahr 2022 zwei Ausschreibungsrunden für Windenergie an Land durchgeführt, die insgesamt 2.648 MW ausschrieben. Aber nur für 2.263 MW konnten Zuschläge vergeben werden.


Beschleunigungsgesetz ist notwendig
Immer noch wimmelt es von gesetzlichen Lücken, etwa bei Genehmigungen und Artenschutz. Entsprechend hat der Präsident des Bundesverband Windenergie (BWE) Hermann Albers im Rahmen einer Podiumsdiskussion mit dem Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Stefan Wenzel die Notwendigkeit eines Beschleunigungsgesetzes für die Genehmigungsverfahren von Windenergieanlagen unterstrichen. Ohne ein solches Gesetz drohten nach Ansicht des BWE die Ausbauziele der Regierung weitgehend zu verpuffen, denn Planer können überhaupt nur an den großvolumigen Ausschreibungen teilnehmen, wenn ihre Projekte genehmigt sind.
Und das ist nicht der einzige Grund, weshalb die Ausbauziele der Bundesregierung scheitern könnten. Ukrainekrieg und Corona-Lockdowns sorgen für gestörte Lieferketten, Rohstoffpreise explodieren. Die aktuellen geopolitischen Verwerfungen, wie der Krieg in der Ukraine, zeigen deutlich, dass der Erhalt von Know-how und Produktion in Europa zur Technologiekontrolle und zur Sicherung der Technologieverfügbarkeit wichtig ist, auch für den notwendigen Ausbau der Windenergie.
Was kann getan werden, um die Energiewende in dem nötigen hohen Tempo realisieren zu können, um Klimaziele und Unabhängigkeit von russischem Gas zu erreichen? Johannes Schiel, Director Public Affairs, Northern & Central Europe, Vestas Global Public Affairs, sagt, für den Ausbau der Produktion von Windenergieanlagen und Komponenten in Europa halte sein Unternehmen sowohl kurzfristige als auch längerfristige politische Maßnahmen für dringend erforderlich. Kurzfristig lasse sich der Auftragseingang bei den Herstellern und damit die Produktion von Windenergieanlagen und Komponenten schlicht durch mehr umsetzbare Projekte steigern: „Ambitionierte Ziele, Ausschreibungsvolumen, Flächenbereitstellung und Genehmigungen reichen für den Ausbau von Produktionskapazitäten nicht aus. Projekte müssen auch realisiert werden. Es braucht dazu etwa vereinfachte
Transportgenehmigungen, ausgebaute Transportinfrastruktur und internationale Standards etwa zum Nachweis der Standsicherheit von Türmen.“ Die Bund-Länder-Kooperation für Flächen und Genehmigungen müsse auf diese und weitere Themen der Windindustrie ausgeweitet werden. Um schnell mehr Projekte umzusetzen, müsse darüber hinaus die Verordnungsermächtigung zur Indexierung von Höchst- und gegebenenfalls Zuschlagswerten in Ausschreibungen mit der Windindustrie abgestimmt und schnellstmöglich umgesetzt werden.

Anerkennung als „Strategische Industrie“
Längerfristig kann Wertschöpfung laut Johannes Schiel in der europäischen Windindustrie sichergestellt und ausgebaut werden, wenn sie als „Strategische Industrie“ anerkannt wird – mit Investitionsförderinstrumenten wie bei anderen strategischen Industrien. Weiter erklärt er: „Wind-
energieanlagen können in Europa nur dann gebaut und errichtet werden, wenn ausreichend Fachkräfte bereitstehen und Ausschreibungen mit fairen möglichst europaweit standardisierten Kriterien optimiert werden.“ Zudem müsse das Ausbauvolumen verlässlich hochgehalten werden, denn zu geringe Mengen könnten zu niedriger Auslastung der Produktionsstätten führen, was wiederum die Wirtschaftlichkeit der Produktion erschweren und langfristig Kapazitätsengpässe verursachen könnte. „Die Europäische Union muss außerdem Handelshemmnisse etwa bei Stahl oder Composites beseitigen und zu hohe Rohstoff- und Logistikkosten, möglichst in Übereinstimmung mit dem Carbon Border Adjustment Mechanism, vermeiden“, so Schiel.


Bestellungen mit zeitlichem Vorlauf
Nur wenn mehr Projekte umgesetzt werden, können Vestas und die anderen Hersteller insgesamt ausreichend Anlagen produzieren und errichten, um die Ziele in Deutschland, Europa und weltweit zu erreichen. Projektentwickler für Wind und Solar müssen derweil in Deutschland nicht nur mit Genehmigungen kämpfen, sondern auch mit Lieferengpässen. „Am kritischsten bewerten wir aktuell die Verfügbarkeit bei elektro- und netztechnischen Komponenten, also das klassische Material für den Netzanschluss, wie beispielsweise Transformatoren, Umspannwerke und Übergabestationen“, erklärt Christian Arnold, verantwortlicher Geschäftsführer des Juwi-Projektgeschäftes in Deutschland. Hier lägen die Lieferzeiten aktuell bereits teilweise bei 24 Monaten. Eine Entspannung sei nicht in Sicht. Eher das Gegenteil, was die Projektrealisierung innerhalb der EEG-Fristen sehr schwierig mache. Zudem müssten Projektenwickler laut Juwi mit ausreichend zeitlichem Vorlauf die Bestellung der Komponenten auslösen und entsprechend ins finanzielle Risiko gehen.

Im Windbereich hat der Gesetzgeber auf die Lieferengpässe mit der vor der Sommerpause verabschiedeten EEG-Novelle reagiert. Hier kann der Projektentwickler mittels formlosem Antrag bei der BNetzA eine Verlängerung um bis zu sechs Monate erwirken. Im Solarbereich, der in nahezu gleichem Maße von der Thematik betroffen ist, sei das leider nicht der Fall, so Juwi: „Auch hier steigen die Lieferzeiten und Unsicherheiten bei Modulen, Wechselrichtern, Kabeln, et cetera. Auch hier sind die Lieferzeiten für die Netzanschlusskomponenten am kritischsten.“
Ursachen für Lieferengpässe sind vielfältig. „Bei den Transformatoren und Netzkomponenten spielt der Ukraine-Krieg eine große Rolle. Aber auch die steigende Nachfrage in Deutschland und anderswo durch den notwendigen Netzausbau bei der Umstellung auf erneuerbare Energien verknappt das Angebot“, erklärt das Unternehmen aus Wörrstadt. Die Verfügbarkeit einiger Produkte, vor allem solcher aus Fernost, sei aber auch schon vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine angespannt gewesen und dürfte auf die coronabedingten Lockdowns in Shanghai zurückzuführen sein. Aufgrund der steigenden Rohstoff- und Energiekosten steigen zudem die Anlagenpreise. Juwi sieht deutliche Kostensteigerungen in einer Größenordnung von 20 Prozent und mehr. „Konsequenz ist, dass die Wirtschaftlichkeit von Projekten auf Basis der heutigen EEG-Zuschläge in Gefahr ist.“

Gefahr unwirtschaftlicher Projekte
Der Entwickler sieht sich fixierten Realisierungszeiten und einem festen Zuschlag aus den Ausschreibungen einerseits und langen, teils unverbindlichen Lieferzeiten und stark steigenden Preisen der Lieferanten andererseits ausgesetzt. Im Extremfall kann das dazu führen, dass die Projekte nach Zuschlag nicht mehr wirtschaftlich sind und nicht realisiert werden können. Aus diesem Grund hat sich der Energiewirtschaftsverband BDEW unmittelbar nach Verabschiedung des EEG im Juli mit seinem Schreiben „Anpassung der Höchstwerte nach § 85a Abs. 1 EEG 2021 für die EE-Ausschreibungen aufgrund gestiegener Herstellungs- und Finanzierungskosten“ an die BNetzA gewandt und eine Anhebung der Höchstwerte sowohl für die PV-Freifläche als auch Wind an Land gefordert. „Wir unterstützen diese Forderung“, heißt es bei Juwi. „Hier muss sehr zeitnah gehandelt werden, damit die Branche eine verlässliche Perspektive bekommt.“

Zulieferer müssen langfristig planen
Viele Zulieferer der Windbranche erleben die Veränderungen durch den Krieg in der Ukraine, durch Corona und selbst durch die Havarie im Suezkanal hautnah. Nur wer langfristig plant und eine Reihe unterschiedlicher Lieferanten hat, bleibt verschont. Reyher hat scheinbar bisher keine größeren Versorgungsschwierigkeiten gehabt. Wie ist das gelungen?
„Sicherlich war auch unser Unternehmen von den extremen Lieferengpässen betroffen“, sagt Jan Reise, Key Account Manager beim Zulieferer von Verbindungselementen und Befestigungstechnik Reyher in Hamburg. „Dank unseres gelebten Geschäftsmodelles und unserer exzellenten Bevorratungsstrategie waren wir in der Lage, unsere Kunden auch in dieser schwierigen Zeit mit den benötigten Verbindungselementen zu beliefern. Geholfen hat uns dabei unser zentrales Logistikzentrum, in dem wir Platz für 100.000 Paletten und 180.000 Behälter haben.“
Die meisten Zulieferer der Windbranche nehmen die Krise gleichwohl deutlich wahr. Sie sehen die Ziele der Bundesregierung entsprechend skeptisch. Freilacke, einer der führenden Hersteller von Lacken, mit Produktionsstätten weltweit und Deutschlandstandort in Bräunlingen-Döggingen, sieht ebenfalls derzeit eine Diskrepanz zwischen Regierungszielen und Realität. „Die Ziele der Bundesregierung sind sehr ambitioniert in ihrer Kommunikation und widersprechen leider den tatsächlichen Handlungen der zurückliegenden Jahre“, sagt Andreas Löffler, Manager Internationale Geschäftsentwicklung bei Freilacke. „Es ist an der Zeit, dass die Bundesregierung gegenüber der Windenergie die Unterstützung und das Vertrauen schafft, welches wohl die Länder bieten, in die die Industrie abgewandert ist.“ Tatsächlich hat es zuletzt bei Nordex und Vestas in Deutschland Standortschließungen gegeben, während in anderen Ländern neue Produktionsstätten eröffnet werden. Im französischen Le Havre hat Siemens Gamesa im März die Produktion in einem neuen Werk gestartet.

Kapazitäten ausbauen trotz Krise?
Obwohl der Ausbau in Deutschland nach wie vor stockt, muss aber schon jetzt gefragt werden, ob nicht auch hierzulande bereits Kapazitäten hochgefahren werden müssen, um den geplanten Ausbau langfristig leisten zu können. Bei Freilacke heißt es dazu: „Wir planen und arbeiten intensiv daran, gemeinsam mit unseren Kunden unsere Kapazitäten dem Bedarf anzupassen. Freilacke will auch in Zukunft das Hauptaugenmerk auf die Problemstellungen in der Branche richten, um hierbei unsere Entwicklungskapazitäten gezielt zur Erarbeitung von Lösungen einzusetzen.“ Auch Bachmann Electronic will, wie in den letzten Jahren auch, kontinuierlich die Kapazitäten weiter ausbauen. „Ebenfalls wird die Produktpalette für den Bereich erneuerbare Energien weiter ausgebaut. Unter Windenergy 5.0 bieten wir schon heute Lösungen für die Automatisierung der Windenergieanlagen, das Monitoring für Triebstränge, Strukturüberwachung, Blätter, die Netzüberwachung und Netzregelung bis hin zu Scada-Systemen für den Windpark oder Leitsysteme.“
Den Fokus legt Bachmann auf die Betriebs- und Wartungskosten bei Windturbinen. „Im Bereich der Überwachung und Optimierung gibt es noch einiges an Potenzial, das weiter verbessert werden kann. Wird heute noch Wartung aufgrund auftretender Fehler initiiert, sollte dies in Zukunft besser prognostizierbar ein. Über Mustererkennung und KI können solche Themen abgebildet und gelöst werden“, so Gabriel Schwanzer. Angesichts des seit Jahren zunehmenden Fachkräftemangels im Servicebereich erscheint ein geringer Wartungsbedarf Dank optimierter Überwachung als gute Möglichkeit.
Unterm Strich kann man festhalten, dass Engpässe es der Windbranche in nahezu jedem Bereich erschweren, einen zügigen Ausbau zu realisieren: Fachkräftemangel, knappe Rohstoffe, Lieferengpässe, Kostensteigerungen. Zu lange Genehmigungsfristen gelten aber immer noch als das größte Übel. Eine zweimonatige Genehmigungsrealisierung für ein Flüssiggas-Terminal steht im Widerspruch zu drei bis vier Jahre für eine Windenergieanlage.