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Die Achillesferse der Energiewende

Nicole Weinhold

Ohne Netz kein Strom. Für Projektierer und Betreiber von Wind- und Photovoltaikanlagen ist die Anbindung ans öffentliche Stromnetz der entscheidende Schritt von der Idee zur Einspeisung. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) schreibt den Netzbetreibern einen unverzüglichen und vorrangigen Anschluss von Erneuerbaren-Anlagen zwingend vor. Dennoch berichten immer mehr Planer von Verzögerungen – und vom faktischen „Anschlussstau“.

Das Thema hat die Stiftung Umweltenergie­recht nun in ihrem neusten Würzburger Bericht zum Umweltenergierecht Nr. 60 analysiert: „Der Anspruch auf unverzüglichen und vorrangigen Anschluss gehört zu den unverzichtbaren Strukturmerkmalen des EEG“, betont Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung. Dennoch werde die Rechtslage häufig verkannt.

„In den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass auch aufgrund des nicht ausreichenden Netz­ausbaus im Verteilnetz die Durchsetzung dieses Anspruchs immer stärker zum Problem geworden ist“, sagt Müller. „Ein Netzanschluss darf nur in absoluten Ausnahmefällen ganz verweigert oder zeitlich verzögert werden – trotzdem erleben wir in der Praxis immer wieder Ablehnungen und häufig lange Verzögerungen.“

Netz folgt der Anlage – nicht umgekehrt

Eine Kernaussage des Berichts lautet: Das Netz folgt der Anlage – und nicht umgekehrt. Netzengpässe dürfen den Anschluss nicht blockieren. „Netzanschluss und Stromeinspeisung müssen getrennt betrachtet werden“, erklärt Johannes Hilpert, Projektleiter bei der Stiftung. Wenn die Stromeinspeisung zunächst noch technisch begrenzt werden muss, gilt der sogenannte Redispatch – für dessen Eingriff der Betreiber entschädigt wird.

Für Planer heißt das: Der Netzanschluss darf nicht an die Bedingung eines bereits ausgebauten Netzes geknüpft werden. Die Stiftung bestätigt auch, dass fehlende Netzkapazitäten keine rechtliche Rechtfertigung für eine Anschlussverweigerung sind.

Auch Thorsten Müller sieht hier Handlungsbedarf: „Projektierer sollten ihre Rechte genau kennen. Nur wer weiß, dass der Netzbetreiber zur Anbindung verpflichtet ist, kann im Fall von Engpässen gemeinsam mit dem Netzbetreiber pragmatische Lösungen entwickeln – oder notfalls den Anspruch durchsetzen.“

Flexible Verträge sind leistungsstarke Werkzeuge, aber sie können den gesetzlichen Anspruch auf Netzanschluss nicht ersetzen.

Thorsten Müller, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung Umweltenergierecht.

Seit Februar 2025 können nach EEG und Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sogenannte flexible Netzanschlussvereinbarungen (FCA) geschlossen werden. Sie sollen die bisher rigiden Rahmenbedingungen zwischen Netzanschluss, Einspeisung und Entschädigung auflockern. Das Prinzip: Betreiber können sich freiwillig zu einer vorübergehenden Begrenzung ihrer Einspeisung bereit erklären – im Gegenzug wird ihnen häufig ein näher gelegener, kostengünstigerer Netzverknüpfungspunkt angeboten. „Diese Option kann helfen, Projekte wirtschaftlich schneller ans Netz zu bringen“, erläutert Tobias Klarmann, Mitautor des Berichts.

Doch Müller mahnt zur Vorsicht: „Flexible Verträge sind leistungsstarke Werkzeuge, aber sie können den gesetzlichen Netzanschlussanspruch nicht ersetzen. Verträge funktionieren allgemein nur dann, wenn beide Seiten ein echtes Interesse an einer Einigung haben. Ohne gesetzlichen Netzanschlussanspruch wäre dieses aber strukturell bei Netzbetreibern aufgrund von zusätzlichem Aufwand und Kosten sowie mangels eines Vorteils regelmäßig nicht der Fall.“

Zwischen Rechtspflicht und Realitätscheck

Der Bericht der Stiftung Umweltenergierecht verdeutlicht, dass hier nicht die Rechtslage das Hauptproblem ist – sondern die Umsetzungspraxis. „An den klaren gesetzlichen Vorgaben mangelt es nicht“, sagt Müller. „Ein Gesetz ist jedoch nur so gut wie seine Anwendung durch die Normadressaten – in diesem Fall die Netzbetreiber.“

Er plädiert dafür, die Diskussion zu versachlichen: „Unsere Analyse soll den Beteiligten helfen, die Grenzen und Chancen klar zu erkennen – und so Planungsprozesse rechtssicher zu gestalten.“ Für die Praxis bedeutet das: Rechte frühzeitig prüfen. Planer können sich auf den gesetzlichen Netzanschlussanspruch berufen und die Fristen genau dokumentieren. Optionen abwägen. Flexible Netz­anschlussverträge als Ergänzung des gesetzlichen Anspruchs können vorteilhaft sein, wenn sie Kosten sparen oder einen Anschluss beschleunigen – vorausgesetzt, die Einspeisebeschränkungen bleiben tragbar. Kommunikation und Dokumentation sichern. Schriftliche Zusagen des Netzbetreibers und Protokolle über Verhandlungen sind im Streitfall Gold wert. Rechtliche Klärung notfalls einfordern.

Müller betont dazu: „Anlagenbetreiber müssen bereit sein, ihre Ansprüche auch durchzusetzen. Nur dann erfüllt das EEG seinen Zweck.“

Gesetzlichen Anspruch nicht verwässern

Der Netzanschluss bleibt ein bedeutender Flaschenhals der Energiewende – nicht wegen mangelnder Gesetze, sondern wegen unzureichender Umsetzung. Flexible Vereinbarungen können helfen, dürfen jedoch den gesetzlichen Anspruch nicht verwässern. „Wir brauchen ein System, das gleichzeitig verbindlich und beweglich ist“, fasst Müller zusammen. „Nur dann können Projektierer und Netzbetreiber rechtssicher die Option nutzen.“

Bestandsaufnahme des Rechtsrahmens und Weiterentwicklungsoptionen

Der Würzburger Bericht zum Umweltenergierecht Nr. 60 entstand im Rahmen des Forschungsprojektes „EE-Netzintegration“. Das Projekt befasst sich mit der Frage, wie der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in den Elektrizitätsnetzen abgebildet werden kann. Gerade die Verteilernetze erweisen sich jedoch zunehmend als Flaschenhals. Aufbauend auf einer Bestandsaufnahme des geltenden Rechtsrahmens und unter Berücksichtigung und Begleitung der weiteren Rechtsentwicklung sollen im Zuge des Vorhabens rechtlich umsetzbare Weiterentwicklungsvorschläge entwickelt werden.

Laufzeit: 1. Januar 2025 bis 30. Juni 2026

Projektmittel: institutionelle Förderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie

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