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Fundamentkragen und XXL-Monopiles

Tilman Weber

Nach nicht einmal sieben Monaten Bauzeit war Mitte November der Nordsee-­Windpark Kaskasi als Kraftwerk mit 191 Meter hohen Anlagen errichtet. „Genau diese Entschlossenheit brauchen wir“, kommentierte der Geschäftsführer bei RWE Renewables für den Offshore-Windenergiebereich, Sven Utermöhlen, die vorgeführte Zügigkeit beim Installieren von Windenergieanlagen im Wasser. Mitte Dezember meldete Energiekonzern RWE dann den kompletten Netzanschluss. Alle 38 Siemens-Gamesa-​Turbinen vom Typ SG 8.0-167 seien einspeisebereit. Damit sind vergangenes Jahr 342 Megawatt (MW) Offshore-Windenergie-Erzeugungskapazität in Deutsch­land hinzugekommen, wie die Windenergie­organisationen BWE und VDMA Power Systems im Januar in Berlin bilanzierten.

Dabei setzten die Kaskasi-Bauteams den 27. deutschen Offshore-Windpark mithilfe von vier Errichterschiffen in das 35 Kilometer nördlich der Hochseeinsel Helgoland gelegene Baufeld. Vorausgegangen war ein Jahr ohne jegliche Installationen in deutscher See. Ein öffentliches Bautagebuch zu Kaskasi führte RWE nicht. Das hohe Tempo lässt sich aber aus den Vollzugsmeldungen der Baufirmen rekonstruieren: Von Anfang März bis Anfang Juni trieben sie binnen drei Monaten alle 64 Meter langen Unterwasserfundamente in den Seeboden – die üblichen zylinderförmigen Monopiles. Die 1.400 Tonnen schwere Umspannplattform verschifften sie vom norddänischen Aalborg und schlossen ihre Installation im Windparkfeld noch Ende März ab. Ab Juli montierten die Teams viereinhalb Monate lang Türme, Naben und Rotorblätter. Leicht zeitversetzt ließen sie ab August die Anlagen nach und nach ihre Einspeisung beginnen.

Die Baufeldbedingungen für Kaskasi waren zwar angesichts von Seetiefen von nur 18 bis 25 Meter verhältnismäßig einfach im Vergleich zu den bisher schon bis zu 50 Meter tief gegründeten Offshore-Windparks in Deutschland. Gleichwohl war der Fahrplantakt ambitioniert. RWE, Siemens Gamesa und der niederländische Seebaukonzern Deme verbanden die Bauarbeiten nämlich mit der Einführung dreier Innovationen. So senkten sie einige der Monopiles mit dem Vibro Pile Driving in den Boden: Statt sie wie üblich äußerst lärmintensiv mit einem krangeführten Hammer in den Grund zu treiben, ließen sie die Pfähle mit einer Vibrationstechnik in die Tiefe gleiten. Die offizielle Bilanz für die im Forschungsprojekt „VISSKA“ entwickelte, vom Bund geförderte Technik durch RWE steht noch aus. Möglicherweise brauchte es abschließend konventionelle Hammerschläge, um die Monopiles in die richtige Tiefe zu treiben.

Genau diese Entschlossenheit brauchen wir.

Sven Utermöhlen, CEO Offshore Wind, RWE Renewables, im November – nach der zügigen Installation aller Anlagen im Nordsee-Windpark Kaskasi

Stahlkragen und recycelbare Rotorblätter

An jeweils drei Anlagen setzten RWE und Siemens Gamesa zudem trichterförmige Stahlkragen um die Monopiles am Meeresboden und recycelbare Rotorblätter ein. Die Collared Monopiles sollen Verschiebungen des Untergrundes rings um die eingelassenen Fundamente vermeiden helfen.

Zusätzlich zu den Anlagen von RWE entstanden 2022 gemäß dem von BWE und VDMA Power Systems beauftragten Marktanalysedienst Deutsche Windguard auch die ersten neun Turbinen im Ostseewindfeld Arcadis Ost 1. Die Vestas-Anlagen mit 9,5 MW Nennleistung und 174 Meter Rotordurchmesser waren bis 31. Dezember aber noch nicht am Netz. Sie speisten am 12. Januar erstmals Strom ein. Dagegen waren alle 27 kompletten Gründungsstrukturen schon Anfang November binnen fünf Monaten installiert, mitsamt der als Adapter für den Turm und Zugangsplattform dienenden Übergangskonstruktion Transition Piece. Das bloße Rammen der Pfähle dauerte sogar nur von Juni bis Ende Juli, obwohl der bis zu 45 Meter tiefe, schlammige Grund XXL-Monopiles mit 110 Meter Länge, 9,5 Metern Durchmesser und 2.000 Tonnen Stahlmasse erforderte.

13,7 Gigawatt sind durch Zuschläge und teils auch durch finanzielle Investitions­zusagen der Projektierungsunternehmen abgesichert. Diese Erzeugungskapazität wird demnach 2027 erreicht. Bis 2030 müssten dann noch mehr als 16 Gigawatt hinzukommen, um das gesetzliche Ziel zu erreichen.

Schwimmende Errichtung und Doppelkran

Das belgische Windparkunternehmen Parkwind und Turbinenbauer Vestas erproben nun mit dem Schiffsbetreiber Hereema in Arcadis Ost 1 ebenfalls Installationstechniken. Seit November setzt Errichterschiff Thialf die Windenergieanlagen schwimmend auf die Monopiles, statt vorher Stahlstelzen auf den Boden auszufahren und so festen Stand zu bekommen. Dies spart ebenso Zeit wie ein mögliches Hantieren mit zwei Kränen an Bord: Während der eine Kran ein Maschinenhaus mitsamt Nabe auf einen an Deck aufgestellten Turm setzt und die Rotorblätter anfügt, damit Monteure schon die Windradflügel anflanschen, setzt der andere Kran eine zuvor vormontierte Maschinenhaus-Rotor-Kombination auf den nächsten aus dem Wasser ragenden Turm. Windpark Arcadis Ost 1 dürfte früh in diesem Jahr mit seinen 247 MW ans Netz gehen. „Die schwimmende Installationsmethode ist das perfekte Beispiel dafür, was es braucht, um neue Industriestandards zu setzen“, stellte Parwind-Chef Eric Antoons im November klar.

Ohne viel Aufhebens kamen so 2022 Anlagen mit neuen Bestmaßen in den deutschen Offshore-­Windturbinenbestand. Sie übertreffen knapp dessen bisherige Topwerte 8,4 MW Nennleistung und 164 Meter Rotordurchmesser. Allerdings markieren sie auch den aktuellen Rückstand des hiesigen Marktes: Seit 2022 drehen vor den Niederlanden erste 11-MW-Anlagen mit 200-Meter-Rotordurchmesser, dieses Jahr werden vor Großbritannien 13-MW-Turbinen in Betrieb gehen.

Wie die Windenergieorganisationen nun zum wiederholten Male verdeutlichten, schwenkt Deutschland nur langsam auf den gesetzlich vorgegebenen Ausbaupfad ein, der Ende 2030 zu 30 Gigawatt (GW) Erzeugungskapazität führen muss. Mit Kaskasi waren Ende 2022 erst 8,1 GW in Betrieb. Bekanntlich hatte eine radikale kurzfristige Reform durch das Windenergie-auf-See-Gesetz (WindSeeG) von 2017 den sprichwörtlichen Fadenriss verursacht: Die von der damaligen Bundesregierung und ihrer Koalition aus CDU/CSU und SPD anstelle einer festgeschriebenen hohen Vergütung gesetzten wettbewerblichen Ausschreibungen zwangen die Akteurinnen und Akteure zum Umplanen weit entwickelter Projekte. Zuletzt waren 2020 Restvolumen von kaum mehr als 200 MW ans Netz gegangen. Erst 2025 wird Offshore-Windkraft in Deutschland wieder die Betriebstemperatur aus den sechs guten Ausbaujahren vor dem Fadenriss von 1 GW erreichen. Die durch finale Investitionsentscheidungen (international: FID) seitens der projektierenden Unternehmen zur Eröffnung im Jahr 2024 vorgesehenen Projekte Baltic Eagle und Gode Wind 3 werden zusammen nur 700 MW einbringen. Im Jahr darauf sollten sich mit Ørsteds ebenfalls FID-gesicherten Borkum Riffgrund 3 und dem EnBW-Projekt He Dreiht wohl 1,8 GW errichten lassen. Für He Dreiht steht das FID noch aus. Und die 2021 und 2022 gemäß WindSeeG 2017 ausgeschriebenen und bezuschlagten weiteren 3 GW dürften die Gesamtkapazität bis 2027 auf 13,7 GW erhöhen.

Die fehlenden GW zum 2030-Ziel müssen Ausschreibungsrunden absichern, die das WindSeeG seit der Reform von 2022 vorsieht. In den Jahren 2023 und 2024 soll es Zuschläge für jeweils mehr als 8 GW geben.

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