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Interview mit Eva Bulling-Schröter

"Das Wichtigste ist ein Kohleausstiegsgesetz"

Sie haben klare Forderungen an die Klimapolitik in Ihrem Wahlprogramm, besonders entschieden zum Komplettausstieg aus Kohlekraft bis zum Jahr 2035. Hier unterbietet Die Linke sogar um fünf Jahre die von ihr selbst zuletzt geforderte Jahreszahl 2040. Finden Sie dafür noch politische Verbündete?

Eva Bulling-Schröter: Das Wichtigste ist für uns natürlich ein Kohleausstiegsgesetz. Dieses muss dringend in der nächsten Legislaturperiode kommen – zusammen mit einem Klimaschutzgesetz. In diesem müssen wir die Klimaschutzziele verbindlich und den Kohleausstieg bis 2035 planbar machen. Das Klimaschutzgesetz muss über alle Energieverbrauchssektoren hinweg gelten und zu weiteren Gesetzen und Verordnungen auch jenseits des Stromsektors in den Bereichen Verkehr, Landwirtschaft, Gebäude-Energieversorgung führen.

Das hört sich jetzt nach einem enorm umfangreichen neuen Gesetzeswerk an, einem neuen EEG?

Eva Bulling-Schröter: Nein, das muss kein EEG 2 sein. Aber es muss natürlich viele Dinge bündeln und einen Rahmen setzen, mit dem sich das Erreichen der Klimaschutzziele immer neu überprüfen und dann eventuell nachsteuern lässt. Ein Kohleausstiegsgesetz zum Beispiel wäre ja deshalb so wichtig, weil es Sicherheit sowohl für die Beschäftigten als auch Investitionssicherheit für Unternehmen schafft. Je später wir mit dem Kohleausstieg anfangen, umso stärker werden seine Auswirkungen: Es wird im Extremfall dann einen Strukturbruch für die Beschäftigten geben, was wir als Linke ja gerade nicht wollen. Wir fordern daher Strukturfördermittel von 250 Millionen Euro pro Jahr. In dem Gremium dieses Fonds soll mit den Beschäftigten der Regionen überlegt werden, bundesweit organisiert in Form von Runden Tischen, was der Hilfsfonds fördern soll und kann.

Könnten Sie das so wirklich der Brandenburger SPD in neuen Koalitionsgesprächen vermitteln? Schon das Kohleausstiegsziel bis 2040 hatten auch die Linken in der rot-roten Koalition in Brandenburg wohl nicht ganz ohne Mühen akzeptiert.

Eva Bulling-Schröter: Die Linke-Kolleginnen und –Kollegen im Potsdamer Landtag tragen den Ausstieg bis 2035 bereits mit. Die Brandenburger Klimabremser sind die Sozialdemokraten. Wirtschaftsminister Gerber von der SPD lässt beispielsweise regelmäßig Äußerungen hören wie: dass das EEG abzuschaffen sei,  oder dass er die Klimaschutzziele relativieren will. Für die Linke hört hier der Spaß aber auf.

Gut. Stellt sich aber umso mehr die Frage, ob Ihr Wahlprogramm nur eines für die Opposition ist.

Eva Bulling-Schröter: Was wir verlangen, ist alles machbar. Als die SPD noch der Opposition im Bundestag angehörte, hat sie selbst ähnliche Forderungen gestellt. Richtig ist: Wir müssen für eine konsequente Energiewende viele gesellschaftliche Gruppen mit ins Boot kriegen. Ob Umweltverbände, Gewerkschaften, Kirchen. Und unsere Wahlkampfforderungen sind schon allein deshalb notwendig, um Deutschlands ganz offizielle Klimaschutzziele zu erreichen. Im Wortsinne bei Strafe des Untergangs müssen wir diesen Klimaschutzzielen folgen! Wenn wir die pazifischen Inselstaaten Tuvalu oder Fidschi vor dem Untergang durch ansteigende Meeresspiegel aufgrund schmelzender Eisberge retten wollen, müssen wir uns bewusst machen: Es gibt dafür ein Versprechen der Weltgemeinschaft wie zuletzt 2015 beim Pariser Klimagipfel der Vereinten Nationen. Die Bundeskanzlerin hat sich gerade auch beim G20-Gipfel in Hamburg wieder hervorgetan, indem sie für den Klimaschutz eintrat. Ich erwarte daher, dass hier wesentliches getan wird – nicht nur im Energiebereich sondern auch in anderen Bereichen.

Sie sagen also in Bezug auf die Kanzlerin, schöne Klimaworte seien noch keine neue Klimapolitik. Das gilt dann aber wohl auch für die Linke: Fordern lässt sich vieles, doch was wollen Sie konkret? Sie fordern, das 2017 eingeführte Ausschreibungssystem zur Ermittlung der am billigsten einspeisenden Windparkprojekte wieder abzuschaffen. Wie geht das?

Eva Bulling-Schröter: Ich denke schon, dass wir wieder zu einer festen Einspeisevergütung zurückkehren könnten. Inzwischen sind ja auch alle bisherigen Tarife ob bei Photovoltaik oder Windenergie durch die ersten Ausschreibungsrunden nach unten korrigiert worden. U.a. weil es großen technischen Fortschritt gibt. Nach dieser Preisberichtigung wären feste Einspeisetarife wieder machbar und das auch im Rahmen des EEG. Wir brauchen zudem einen Energiewendefonds, zur Finanzierung weiterer EEG-Kostenanstiege über einen künftig längeren Zeitraum. Wir können uns vorstellen, dass dieser Fonds steuerlich finanziert wird, indem höhere Einkommen stärker belastet, niedrigere Einkommen entlastet werden. Dieser Fonds hätte also eine leichte Umverteilungswirkung.

Also schlicht zurück zum Einspeisegesetz des EEG 2012 nur mit niedereren Tarifen.

Eva Bulling-Schröter: Ja, beispielsweise.

Und die Strombörse, auf der heute noch der weit überwiegende Anteil der regenerativen Stromerzeugung in Deutschland zunächst gehandelt wird, wollen Sie ebenfalls wieder abschaffen?

Eva Bulling-Schröter: EEG-Strom sollte tatsächlich nicht an der Börse verscherbelt werden. Die Energieversorgung muss wieder zum Bestandteil öffentlicher Daseinsvorsorge werden. Die Rolle kommunaler Stadtwerke bei der Strom- und Wärmeerzeugung sollte gestärkt werden. Wir könnten uns vorstellen, die große Aufgabe des Stromsystems, die Integration von regenerativem und fossilem Strom, den Vertrieben, insbesondere Stadtwerken, zu übertragen. Ein neuer Typ Stadtwerke also. Voraussetzung wäre, dass die Übertragungsnetzbetreiber EEG-Strom physikalisch direkt an die Stadtwerke und andere Vertriebe liefern. Aber dazu braucht es natürlich Mehrheiten.

Mehrheiten zu erreichen ist politisch schon schwer genug. Aber können Sie wirklich eine deutsche Börse abschaffen, und sei es nur die Strombörse? Unterschätzt das nicht eine gewisse Beharrungskraft bestehender Märkte?

Eva Bulling-Schröter: Wir wollen sie nicht abschaffen, aber ihre Rolle in der Energiewende zurechtrücken – zu Gunsten von Stadtwerken und lokalen Grünstromangeboten. Zudem müssen die jährlichen Ausbaudeckel für die Erneuerbaren weg. Ferner muss man dann sich auch an einen Tisch setzen und fragen, wie man die weiteren Ausbaukosten vernünftig finanzieren kann. Und dann muss man auch immer dazu sagen, dass die Finanzierung der regenerativen Energien immer die ökologische Wahrheit ausspricht, während von den Betreibern der Stromerzeugung aus fossilen Energien immer nur ein Teil der Kosten bezahlt wird und  Kosten wie die Umwelt- und Gesundheitskosten auf Otto Normalverbraucher umgelegt werden – also auf den Steuerzahler. Außerdem brauchen wir mehr Mitbestimmung für Beschäftigte und Bürger in der Energiewende, brauchen wir faire Preise. Der sozialökologische Umbau des Energiesystems muss von Allen gleichermaßen bezahlt werden. 

Sie fordern die Ausbaudeckel für erneuerbare Energien müssten weg, fordern also den unbegrenzten Ausbau. Heißt das wirklich Ausbau der Erneuerbaren unabhängig vom Netzausbau?

Eva Bulling-Schröter: Man kann über einen Ausbaukorridor reden. Aber der Deckel müsste zumindest deutlich angehoben werden. Den Netzausbau bräuchten wir ohnehin nicht in dem Maße wie jetzt geplant, wenn wir die Kohlekraftwerke zurückfahren würden. Wir müssen also den Kohlestrom zurückdrängen und dann stellt sich die Frage neu, wie viel Netzausbau wir noch brauchen. Wir müssen zudem unser Stromsystem sehr viel mehr dezentral organisieren. Und mehr Zubau in den südlichen Bundesländern. Bayern hat ja der Windkraft eine Totalabsage erteilt. Der linke Ansatz ist ferner, dass Strompreise nicht immer weiter steigen können – auch aus sozialen Gründen. Wir haben eine ganze Reihe von Vorschlägen gemacht: die Energiesteuer zu reduzieren, die Privilegien energieintensiver Unternehmen zurückzufahren auf die Privilegien, die nur wirklich notwendig sind. Wir sagen als linke Partei aber auch, dass wir über das Konzept des ungebremsten Wachstums reden müssen. Wir können nicht immer mehr Ressourcen auf Kosten künftiger Generationen vergeuden. Und so müssen wir auch unser Verkehrsverhalten verändern und andererseits auch uns mit den großen Konzernen, den Automobilkonzernen anlegen.

Das Gespräch führte Tilman Weber im August.