Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Nahwärmenetze

Die Wahl der Leitung

„Man kann davon ausgehen, dass pro Jahr und Meter in einer Wärmeleitung 400 Kilowattstunden Wärme verloren gehen“, sagt Mike Luther. Zwar hingen die Verluste stark von der Dämmung der Leitung, der Verlegetiefe – je tiefer, desto weniger Verlust –, dem Bodentyp und dem Grundwasserstand ab. Wasser leite die Wärme stärker ab als Luft. Luftige Böden isolierten also besser als dichte. Doch unter Berücksichtigung aller Einflussfaktoren sei es in der Regel ab etwa 500 Meter Entfernung besser, eine Biogasleitung zu bauen und nicht eine Wärmeleitung. Luther: „Bei einer Länge von 4,6 Kilometern ist die Situation in diesem Fall ganz eindeutig.“ Dieser Fall, das ist die Biogasanlage in Samswegen, die der Wiesbadener Projektierer Abo Wind AG umbaute und mit einem Satelliten-Blockheizkraftwerk ausstattete.
Doch dass Biogasanlagen mit ihrer Abwärme Nahwärmenetze ganzer Dörfer speisen, ist trotz der von Luther beschriebenen Wärmeverluste keinesfalls eine exotische Spinnerei, sondern für die Gemeinden zunehmend attraktiv. Nicht nur die Bioenergiedörfer 2010 setzen darauf. Auch andere Kommunen haben solche Wärmeleitungen als festen Bestandteil in ihrem Energiekonzept. Die Solarcomplex AG aus Singen am Bodensee entwickelt Bioenergiedörfer auf dieser Basis praktisch schon in Kleinserie. Und diese liegen damit ökonomisch richtig, selbst wenn es Nahwärmenetze mit Leitungen von mehreren Kilometern Länge sind, wie eine Untersuchung Biogas- versus Wärmeleitung von Carmen e.V. zeigt.

Wenig Anlass zu Fröhlichkeit

Samswegen. Bei der Inbetriebnahme der größten Biogasanlage in Deutschland seiner Zeit im Jahr 2001 feierte selbst die Bundesumweltministerin Renate Künast mit. Die Prominenz aus Berlin konnte nicht ahnen, dass es im Alltag der Anlage in Samswegen mit ihren beiden 330-Kilowatt-Generatoren wenig Anlass zu Fröhlichkeit geben würde. Die Vorzeige-Biogasanlage, die mit Rindergülle, Mais und Gras gefüttert wird, lief ineffizient. Sie war unwirtschaftlich, weil aufgrund der Anlagenkonzeption zu wenig Strom produziert wurde, und sie war es auch, weil sie kaum die Mengen an Abwärme nutzen konnte, die sie produzierte. Bei einem Wirkungsgrad von Generatoren in Biogas-Blockheizkraftwerken von allenfalls 50 Prozent fällt bei jeder Kilowattstunde erzeugten Stroms auch mindestens eine in Form von Wärme ab.
Eine weitere Folge von Mängeln an der Anlage war das Ende des Nachbarfriedens: Anwohner zogen wegen Geruchsbelästigungen vor Gericht, und zwischenzeitlich verlor die Biogasanlage auf diesem Weg die Betriebsgenehmigung. Hauptquelle des Geruchs waren die undichten Foliendächer der Gärrestbehälter. Die nächsten Nachbarn wohnen nur 70 Meter von der Anlage entfernt.

Biogas wegleiten

Die Abo Wind AG, die die Anlage in dieser Situation 2008 übernahm, verpasste ihr ein neues Strom- und Wärmekonzept. Die Anlage wurde generalüberholt. Es konnten beispielsweise die Verweilzeit des Substrats von ursprünglich 33 auf 50 Tage verlängert werden. Im Winter war in den Fermentern aufgrund der schlechten Dämmung die Temperatur regelmäßig unter 38 Grad Celsius gefallen – den Mikroben wurde es in Samswegen regelmäßig zu kalt und sie produzierten weniger Biogas. Die ganze Anlage wurde neu gedämmt. Unterm Strich gelang es dem Projektierer aus Wiesbaden, die Stromproduktion mit über sechs Millionen Kilowattstunden mehr als zu verdoppeln – und folglich auch doppelt so viel Wärme zu produzieren. Um möglichst viel davon zu nutzen, wurde die Stromproduktion zum Teil ausgelagert. Durch eine neue Biogasleitung wird nun der Großteil des Gases aus Samswegen über 4,6 Kilometer in den Nachbarort Meseburg zu einem 500-Kilowatt-Generator geleitet und dort verstromt. Den Großteil der Wärme, die nun in Meseburg anfällt, nimmt ein Ferkelzüchter für seine Ställe ab. „Die Planung ging von einer jährlichen Substitution von über drei Millionen Kilowattstunden Wärme aus – was zirka 300.000 Liter Heizöl entspricht“, sagt Mike Luther, Projektleiter bei Abo für Samswegen, über den neuen Wärmeabsatz in Meseburg via Biogas-Mikronetz.

Feldheim trotzt

In Feldheim gingen die Akteure mit dem Ziel Abwärmenutzung aus einer Biogasanlage anders vor. Obwohl das Nahwärmenetz das Ergebnis einer dem Ort offenbar innewohnenden Eigenwilligkeit ist, die die Beteiligten selbst überrascht hat. Die Bewohner nahmen ihre Wärmeversorgung selbst in die Hand. Eine Energierevolte in einem unbekannten Nest im Osten? Tatsächlich ist das kleine brandenburgische Straßendorf im November vergangenen Jahres zu Deutschlands Bioenergiedorf 2010 gekürt worden. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hatte zu einem bundesweiten Wettbewerb „Bioenergiedörfer 2010“ aufgerufen. Neben Feldheim wurden Effelter in Bayern und das Bioenergiedorf Jühnde-Barlissen in Niedersachsen zu Siegern ernannt. Vorgabe für die insgesamt 35 Teilnehmer war per Definition für ein Bioenergiedorf, dass es mindestens die Hälfte seines Jahresstrom- und Wärmebedarfs aus regional erzeugter Biomasse deckt. Feldheim trumpft bei der Wärme über eine Nahwärme-Vollversorgung des Ortes auf Basis von Abwärme aus einer Biogasanlage auf.
In dem energetisch aufmüpfigen Feldheim sind alle Haushalte an die Biogasanlage des Ortes über ein Nahwärmenetz angeschlossen. Die Bio­gasanlage wurde 2008 in Betrieb genommen. Installiert wurde eine elektrische Leistung von 500 Kilowatt. Damit erzeugt die Feldheimer Bio­gasanlage etwa vier Millionen Kilowattstunden Strom im Jahr auf Basis von Schweine-, Rindergülle und Maissilage sowie Getreideschrot – und sie produziert dabei 4,3 Millionen Kilowattstunden Wärme. Davon nutzt die Biogasanlage selbst 540.000 Kilowattstunden, immerhin 13,5 Prozent, zum Beispiel zur Wärmeversorgung der Fermenter. 86,5 Prozent oder absolut 3,76 Millionen Kilowattstunden Wärme bleiben übrig. Die Menge entspricht dem Wärmebedarf des ganzen Ortes. Den Zahlen folgten Taten.

Drei Kilometer Wärmenetz

Ende 2009 wurde in dem Ort ein drei Kilometer langes Nahwärmenetz in Betrieb genommen. An diesem sind alle 39 Wohngebäude Feldheims, ein Agrarbetrieb mit drei Ställen und die Produktion der EQ-SYS GmbH angeschlossen. Der Hersteller von Trägersystemen für Photovoltaikmodule hat seinen Firmensitz in Feldheim. Die Wärme aus der Biogasanlage wird insgesamt 49 Kunden geliefert. Sie sind zugleich auch alle Kommanditisten – Miteigentümer der Feldheim Energie GmbH amp; Co. KG, die die Wärme liefert. Voraussetzung für eine Beteiligung an dem lokalen Energieversorger ist der Besitz einer Wohnung, eines Gebäudes oder eines Grundstücks in Feldheim. Auch die Stadt Treuenbrietzen, von der Feldheim ein Ortsteil ist, konnte nur deswegen Gesellschafterin werden, weil sie in Feldheim zwei Grundstücke besitzt, berichtet Bürgermeister Michael Knape.

Die Verbraucher preschten vor

Ursprünglich war ein solches Netz zu bauen gar nicht die Absicht. „Wir wollten eigentlich nur die Fabrik und den Agrarbetrieb mit Wärme aus der Biogasanlage versorgen“, sagt Knape. Doch dann kamen die Haushalte von sich aus auf die Akteure zu und das Projekt nahm seinen Lauf. Ein Grund für die Feldheimer Initiativbewegung: die Aussicht auf verlässliche Wärmepreise. Die Verbraucherendpreise für Wärme von der gemeindeeigenen Feldheim Energie setzen sich zusammen aus der Grundgebühr, die 29,95 Euro im Monat beträgt, und dem Wärmepreis von 7,5 Cent pro Kilowattstunde. Mit allen Abnehmern wurden Wärmelieferverträge abgeschlossen. Es wurde keine Anschlussgebühr erhoben, stattdessen Kapital in die Gesellschaft der Feldheim Energie eingelegt. Die Bürger gründeten einen Beirat, ähnlich einem Aufsichtsrat. „Wenn
die Gesellschaft ein Plus erwirtschaftet, dann entscheiden die Gesellschafter, ob das ausgeschüttet werden soll oder ob die Preise gesenkt werden“, sagt Knape.
Dass Verlässlichkeit bei der Preisentwicklung ein starkes Motiv ist, Wärme aus einer Biogasanlage abzunehmen, erfuhr auch Mike Luther in Samswegen mit dem Ferkelzuchtbetrieb. „Der Preis an sich ist nicht das Entscheidende“, sagt der ABO-Planer, „vielmehr eine vorhersehbare Preisentwicklung.“ Bei den fossilen Brennstoffen gebe es beim Preis Berg- und Talfahrten. „Dagegen bietet Abwärme aus Biogas dem Kunden etwas, womit er sehr gut kalkulieren kann“, sagt Luther. Den exakten Wärmepreis, den der Meseburger Kunde Abo zahlt, nennt Luther zwar nicht, jedoch sagt er, dass der Preis zwischen 3,5 bis 5,5 Cent pro Kilowattstunde liege. Bei durchschnittlich drei Millionen Kilowattstunden Abnahme an Wärme bedeutet dies jährliche Einnahmen für Abo zwischen 105.000 und 165.000 Euro für Energie aus Biogas, die in der alten Anlagenversion bislang verschenkt wurde. Doch Fakt ist auch, dass der Ferkelzüchter nicht die ganze Wärme abnimmt. „Das BHKW ist auf den Winterbedarf des Betriebs ausgelegt, der somit bei rund 500 Kilowatt liegt. Im Sommer liegt der Bedarf bei zirka 180 Kilowatt“, sagt der Planer. Laut Luther kann übers Jahr gesehen etwa 70 Prozent der gesamten Wärme verwertet werden, die in Meseburg anfällt. Der erzielte Nutzgrad an Abwärme ist laut Luther im Vergleich zu vielen Biogasanlagen mit Mikronetzen vorbildlich. Doch 30 Prozent bleiben trotzdem ungenutzt.

Fall-zu-Fall-Entscheidung

„Vor diesem Hintergrund spielen Wärmeverluste von 20 bis 25 Prozent in einem Wärmenetz keine Rolle“, sagt Robert Wagner. Die beiden Autoren Ulrich Kilburg und Robert Wagner vom Bioenergie-Netzwerk Carmen e.V. in Straubing haben die Ökonomie von Wärme- versus Biogasleitungen durchleuchtet mit dem Ziel zu zeigen, ab welcher Entfernung in verschiedenen Szenarien sich Bio­gasleitungen rechnen (siehe Tabelle). Ergebnis: Es handelt sich um eine Fall-zu-Fall-Entscheidung, die auch bei größeren Leitungslängen keineswegs der Biogasleitung einen Persilschein ausstellt.
Der ökonomische Vorteil einer Biogasleitung gegenüber der Wärmeleitung beginnt nach diesen Berechnungen im günstigsten Fall bei 1,4 Kilometer Länge. In allen anderen Szenarien wird die Biogasleitung erst ab fünf Kilometer ökonomisch interessant. Das 1,4-Kilometer-Biogaskurzstreckenszenario ist auch dann nur ökonomisch attraktiv im Vergleich zur Wärmeleitung, wenn 100 Prozent der Abwärme vermarktbar sind, stellen die Autoren fest. Viele Mikrogasnetze erreichen eine Wärmeverwertung von 70 Prozent wie in Meseburg nicht. Kilburg und Wagner resümieren, dass alle Aufwendungen und Förderungen gesehen werden müssen und man sich nicht von vergleichsweise geringen Investitionskosten für Biogasleitungen leiten lassen solle. Berücksichtige man alle Faktoren, dann gewinne die Biogasleitung in der Regel erst dann, wenn Leitungen ab fünf Kilometer Länge zu legen wären.

Nahwärme in Serie

Für die Verlegung der 4,6 Kilometer langen Biogaspipeline nach Meseburg fielen Kosten in Höhe von durchschnittlich 50 Euro pro laufenden Meter an. Also insgesamt 230.000 Euro für den Bau der Leitung. Verlegt wurde ein Rohr aus Polyethylen in bis zu anderthalb Meter Tiefe. Zugleich wurde ein Lichtwellenleiter in einem separaten Leerrohr parallel zur Biogasleitung im Erdreich eingelassen. Der Meseburger BHKW-Trabant wird von Samswegen aus gelenkt. Die Kosten des Nahwärmenetzes in Feldheim inklusive der Hausanschlüsse belaufen sich auf 1,725 Millionen Euro. Die Förderquote von EU, Bund und Land summiert sich auf 50 Prozent der Gesamtinvestition.
Zu den Wärmeverlusten in einem Wärmenetz sagt Eberhard Banholzer, Biogasexperte bei der Solarcomplex AG: „Wir rechnen mit etwa 20 Prozent Verlust der Jahreseinspeisung.“ Beim jüngsten Projekt des Unternehmens aus Singen am Bodensee in Lautenbach wurden Leitungen mit verstärkter Isolierung eingebaut. „Die stärkere Isolierung schlägt mit zirka zehn Prozent Mehrkosten zu Buche“, sagt Banholzer. Der 300-Einwohner-Ort zwölf Kilometer nördlich des Bodensees bezieht seine Wärme nun zu 100 Prozent aus Abwärme der örtlichen Biogasanlage sowie einer Heizzentrale mit zwei Hackschnitzelkesseln. Das Netz summiert sich auf eine Länge von zwei Kilometer. Alle Lautenbacher Haushalte sind daran angeschlossen. Mit dem Örtchen hat das Singener Unternehmen bereits dem fünften Bioenergiedorf ein nachhaltiges Wärmekonzept verpasst. 2011 sollen die nächsten beiden Nahwärmenetze in Weiterdingen und Messkirch folgen.

Nachbarschaftsfriede

Derweil macht sich auch das Mikronetz in Samswegen gut. Die beiden alten 330-Kilowatt-Generatoren wurden aufs Altenteil geschickt und durch einen neuen 250-Kilowatt-Generator ersetzt. Bevor das Gas durchs Rohr nach Meseburg geleitet wird, reinigen Aktivkohlefilter es von Schwefel, der sich in der Pipeline absetzen könnte. Außerdem wird die Temperatur gesenkt, damit kein Wasser im Rohr kondensiert. Das Biogas, das mit 40 Grad Celsius aus der Anlage kommt, wird auf fünf Grad abgekühlt. Seit Juli 2010 läuft die einstmals größte Biogasanlage runderneuert. Laut Luther wurde auch aus Rücksicht auf die Nachbarn in Samswegen die Stromproduktion verlegt. „Ein BHKW macht weniger Lärm und Abgas als zwei“, resümiert der Planer. Und die Nachbarn zogen ihre Klagen zurück. (Dittmar Koop)