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Rostocker Windenergieforum

Nachdenken über die Marktreform

„Ökostrom-Irrsinn“ hatte die Bildzeitung am Freitag ihre Topmeldung zum Nordseewindpark Riffgat betitelt. Damit sich die Windradgetriebe nicht durch Stillstand verformen oder rosten, müssen die stinkenden Verbrennungsmotoren die aus dem Wind gedrehten Rotoren rotieren lassen. Die Windbranche dürfe sich nicht durch „schwarze Schafe“ auseinander dividieren lassen, warnte die Präsidentin des Windenergieverbandes BWE auf der vom Windturbinenhersteller Eno veranstalteten Tagung. Kleinmütige brancheninterne Streitigkeiten müssten unterbleiben, sagte Sylvia Pilarsky-Grosch. Beispielsweise sollten Betreiber und Zulieferer für Windkraft an Land nun nicht die Offshore-Industrie für die Branchenprobleme verantwortlich machen, warnte sie. Vielmehr müssten nun andere Windenergieunternehmen umso bessere Qualität abzuliefern, so „dass wir als Branche ein positives Bild abgeben.“

Netzbetreiber Tennet hatte kurz zuvor erklärt, Bombenfunde aus dem zweiten Weltkrieg hätten den Anschluss von Riffgat an das Festlandstromnetz verzögert. Auf den Bau der letzten Kilometer der Hauptleitung an Land müsse der soeben fertig gestellte Windpark nun noch einige Wochen warten.

Der Groß- und Industriekunden-Vertriebsleiter des Mannheimer Energieriesen MVV, Matthias Heldmann, machte seinen Zuhörern auf dem Eno-Windenergieforum allerdings schnell klar, dass der Akzeptanz der Energiewende aus ganz anderer Richtung ein Ende droht. Ein inzwischen fehlgeleiteter Energiemarkt drohe die Energiewende zu stoppen, zumal wenn er wie auch bei Riffgat die Folgekosten von Pannen immer den Stromkunden zahlen lässt.

Neuer Kraftwerkspark, altes System

Die Argumentation aus den Reihen des Mannheimer Unternehmens ist ein beeindruckendes Zeugnis aus der Branche darüber, wie sehr die Energiewende im aktuellen Strommarktsystem an ihr Ende gekommen ist. Die Politik habe mittels Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) neben den Erzeugungskapazitäten der konventionellen Energiewirtschaft eine zweite Säule aus EEG-Anlagen wachsen lassen, erklärte Heldmann. Tatsächlich: Mit 70 Gigawatt (GW) installierter Kapazität bringen die Erneuerbaren inzwischen fast genauso viel Leistung ans Netz wie die konventionellen Kraftwerke.

Doch damit spielt auch die Preisentwicklung der Strombörse EEX verrückt, wo die Energieversorger am Spotmarkt Elektrizitätsmengen des Tages oder für den Folgetag ordern und am Terminmarkt die Strommengen für die Folgejahre. Ein Vergleich der Spotmarkt- und Terminmarktpreise dreier Kalendertage aus jeweils einem anderen Jahr belegt eine rasante Veränderung, die die Marktgesetze auf den Kopf stellen. So war im Jahr 2008 am von der MVV gewählten Vergleichstag noch ein klarer Zusammenhang von Preis und Strombedarf zu erkennen: Die kurzfristigen Stundenpreise des Sportmarktes folgten der am Morgen steigenden Nachfrage bis zu einer deutlich nach oben ausschlagenden Spitze. Der Zwölf-Stunden-Tagesmittelwert für den Terminmarkt lag deutlich über dem entsprechenden Zwölfstundennachtpreis. Drei Jahre später nivellierte eine deutlich gesteigerte Ökostromeinspeisung die Preise so, dass sie nach einem Anstieg am Morgen keine Tagesspitze mehr verzeichnete und der Terminmarktpreis für die Tagstunden kaum noch anstieg. Und schon im Folgejahr 2012 sorgten PV und Windkraft für fast eingeebnete Handelskurven, der Tagespreis am Terminmarkt fiel sogar leicht unter den Terminmarktnachtpreis.

EEG ohne Lenkungswirkung

Laut MVV-Mann Heldmann geraten mit den Preisen auch die Lenkungswirkungen des EEG durcheinander. "Man hat erwartet, dass der Ausbau der Erneuerbaren irgendwann einen Schnittpunkt erreicht - und dann die konventionellen Kraftwerkskapazitäten vom Netz gehen." Doch stattdessen produzieren erneuerbare und konventionelle Stromerzeuger nun um die Wette und zu viel. "Wir ertrinken im Strom", sagte Heldmann.

Im Detail ist demnach ein System der Strompreisfindung entstanden, das keine Einzelkorrekturmaßnahmen zu seiner Verbesserung mehr zulässt. Bioenergieanlagenbetreiber lassen ihre Anlagen lieber durch den Stromversorger abregeln und kassieren Entschädigung, statt sich gemäß den EEG-Regeln am Stromregelmarkt zu beteiligen. Weil die Strompreise durch die Menge des Grünstroms in den wind- und sonnenreichen Phasen abstürzen, sind die Preise auch im Regelenergiemarkt zu niedrig. Gas- oder Steinkohlekraftwerke zur Bereitstellung von Regelenergie lohnen sich für die Stromkonzerne ebenfalls nicht, weil diese aufgrund der zunehmenden Grünstrommengen immer seltener gebraucht werden. Deshalb fordert die Energiebranche bisher vergeblich neue Gesetze für einen Kapazitätsmarkt, der das bloße Vorhalten von Regelenergie vergütet.

Und so lange die Energiewirtschaft auf neue gesetzliche Initiativen warten muss, ist auch der Bau einer Übertragungsleitung nach Norwegen riskant. Das hier bereits geplante Kabel namens Norger soll einmal überschüssigen Wind- und Sonnenstrom nach Norwegen transportieren, wo er dann Pumpspeicherkraftwerke antreibt. Wenn hierzulande zu wenig Wind und Sonne herrschen, fließt der Strom dann von dort zurück. Doch, so warnt Heldmann: „Für dieses Modell brauchen wir die Spreizung der Preise“. Denn nur wenn die Strompreise in Deutschland mal hoch und mal tief sind, lohnt sich der Deal: Die Norweger kaufen die Elektrizität zum Wasserpumpen aus dem Süden, wenn sie billig ist, und verkaufen sie nach Deutschland, wenn dort gerade viel für Strom bezahlt wird. Bei nivellierten Preisen bestehen diese Anreize nicht mehr. Ein Kapazitätsmarktgesetz würde womöglich die Preisspreizungen weiter reduzieren.

EEG-Umlage verteuert Strom bei den Kunden

Wie dringend das Problem ist, ist den Deutschen längst bekannt. Erhöht doch der Preisunterschied zwischen garantierten EEG-Vergütungssätzen und abgestürztem Börsenhandelspreis die so genannte EEG-Umlage. Mit dieser Umlage wälzen Netzbetreiber und Stromversorger ihre rechnerischen Kosten aus der erhöhten Vergütung von EEG-Grünstrom auf den Verbraucher um. Die Umlage war zu Jahresbeginn um fast 1,5 Cent auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde (kWh) gestiegen. "Alleine die niedrigen Spotmarktpreise werden zum Jahresende die Umlage um erneut 0,8 Cent pro kWh erhöhen“, sagt Heldmann. Und damit dem Image der Erneuerbaren wohl deutlich schaden.

(Tilman Weber)