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Starkwindstandorte

Nächtliche Jagd nach den Leistungsreserven einer Nordkapwindfarm

Das 37,5-Megawatt-Projekt war 2003 mit 15 Nordex-Anlagen N80 errichtet worden. Weil der Wind oft binnen zwei Minuten um 180 Grad dreht und Windgeschwindigkeiten von nicht selten 40 Metern pro Sekunde auftreten, schaltet Arctic die Turbinen abends häufig ab. Am 1. Mai übernahm die Seeba Wind Service GmbH die Fernüberwachung der Anlagen mit dem 80-Meter-Rotor, um sie ertragsorientiert durch die Nacht zu steuern.

Von 16 Uhr nachmittags bis 8 Uhr am Morgen beobachtet nun ein Mitarbeiter des Dienstleisters von Deutschland aus das Verhalten der Turbinen unter den stark wechselhaften Winden – um diese notfalls reaktionsschnell einer Sturmfront ausweichen zu lassen oder Fehlprogrammierungen zu vermeiden.

Denn die Turbinenfarm aus Anlagen mit 80 Meter Nabenhöhe könnte viel mehr, als sie heute leistet. Sie erzeugt dank der herausragenden durchschnittlichen Windgeschwindigkeit von neun Meter pro Sekunde 90. Millionen Kilowattstunden (kWh) pro Jahr. Das entspricht pro Anlage sechs Millionen kWh. Rein rechnerisch rotiert demnach jede Windturbine in Havøygavlen mit 2.400 Volllaststunden – genug, um in 27 Prozent der Zeit eines Jahres mit höchster Leistung Strom zu erzeugen.

Das freilich ist im Verhältnis zu vergleichbaren Windturbinen an weit weniger windhöffigen Standorten fast enttäuschend. So sammeln beispielsweise die 23 Enercon-Anlagen mit 2,3 Megawatt (MW) Leistung und 82-Meter-Rotordurchmesser im Hunsrück-Windpark Kirchberg schon fast gleich viel Windkraft ein – bei in 140 Meter Nabenhöhe nur 6,6 Meter durchschnittlicher Windgeschwindigkeit. Mit 5,43 Millionen kWh kommt an dem für das süddeutsche Binnenland guten sonst aber eher mittelmäßigen Standort jede Anlage auf 2.350 Volllaststunden. Das ist fast so viel wie die Anlagen in dem Windpark am Nordkap arbeiten.

Standort erfordert ständiges Nachsteuern

Das Problem des Standortes für den auf einer Anhöhe stehenden Windpark: Vom Meer her ist er turbulenten und unproduktiven Anströmungen ausgesetzt, die für die Windparktechnologie heikel sind. Während Wintermonate ist ständige Wartung angesagt, weil arktische Temperaturen und Windgeschwindigkeiten dem Windpark Stress bereiten. “Da ist eine häufige Nachjustierung gefragt, ein regelmäßiger technischer Check, kleinste – aber dauernd neu entstehende – Risse in den Rotorblättern sollten kontinuierlich geflickt werden. So, dass die Servicekräfte dies am aufgesetzten Rotor auf der Turbine vornehmen können statt mit Kranen später die Rotoren für größere Reparaturen abzunehmen”, sagt ein Sprecher der Firma Seebawind.

Deshalb ist in Nachbarschaft zum Windpark auch eine ständig betreute Service-Station des Betreibers, dessen Mitarbeiter sich während ihrer Einsätze in einem nahe gelegenen Städtchen mit 2.000 Bewohnern versorgen können. Ihren heldenhaften Einsatz haben die Wartungskräfte in einem flotten Filmchen festhalten lassen. Es kursiert im Internet und lässt sich bei Youtube ansehen.

Dass Arctic den Aufwand nur für einen Windpark betreibt, schreibt der Seebawind-Sprecher auch dem vermuteten Potenzial von Havøygavlen zu. „Es heißt, dass der besonders kalte Wind die Effizienz der Anlagen eigentlich noch steigern könnte.“ Doch Fakt ist auch, dass Arctic alleine bisher den Betrieb nur unter Einschränkungen gewährleisten konnte. Die immer wieder vom Norden heranziehenden polaren Tiefdruckgebiete insbesondere von Oktober bis April erfordern aktives Eingreifen, weil die Technologie mit der harschen Umwelt nicht alleine zurecht kommt. So schalten die Anlagensteuerungen die Anlagen bei 25 Meter pro Sekunde als dem zugelassenen technischen Limit der Anlage ab. Doch ist der Sturm dann weiter auf 28 Meter pro Sekunde aufgefrischt, schaltet sich die Anlage mitunter fälschlich auch mal wieder in Betrieb. Um die Anlagen besser zu kontrollieren, ließ Arctic Wind alle Havøygavlen-Anlagen bisher nur zu Leistungen bis maximal zwei MW und 2,2 MW aufdrehen.

Effizienzerhöhung ist auch Test für den Wert neuer Starkwindanlagen

Nun soll Seebawind also zunächst einen echten Nachtdienst garantieren: “Unser dazu eingeteilter Mitarbeiter kann locker die gesamte Nacht im Windpark verbringen”, erklärt man bei den Deutschen. Nachtüberwachung. Bei Sturm mit wechselnden Windrichtungen soll dieser im Kontrollzentrum in Osnabrück die Anlagen nun immer neu in die richtige Segelstellung nachführen, mit Blick auf den Monitor und im Wortsinne mit den Händen am Regler die Turbine auch mal unabhängig von ihrer programmierten Steuerung ausrichten. Die Serviceteams des norwegischen Windparkbetreibers Arctic Wind erhalten jeden Morgen einen Bericht über die Vorkommnisse der Nacht und Störungen, die nicht durch Einwahl behoben werden konnten.

Erklärtes Ziel von Arctic Wind ist es, „dass wir die Effektivität unseres Windparks insbesondere beim Nachtbetrieb deutlich steigern können.“ Wie viel die Partner ihre Stromerzeugung damit erhöhen möchten, sagen sie auch auf Anfrage nicht. Klar ist, es geht um mehr als nur die als damals als modernste Technologie installierten Nordex-Turbinen. Noch erhöht Nordex für Arctic Wind die Effizienz offenbar auch mit gelegentlichen Upgrades: Dem Austausch kleinerer und älterer Bauteile gegen neue, leistungsfördernde. Doch Arctic Wind scheint auch schon über ein Repowering nachzudenken. Betreibt am Standort auch noch eine Siemens-Windenergieanlage mit drei MW Leistung als Vergleichsanlage. Lässt sich die Effizienz der Nordex-Anlagen dort deutlich erhöhen, könnte dies auch eine Kaufempfehlung sein. Neue Starkwindanlagen für Standorte der Windklasse IEC I mit 9 Meter pro Sekunde mittlerer Windgeschwindigkeit im höheren Drei-MW-Bereich bieten jedenfalls beide Hersteller seit Jahresbeginn an.

(Tilman Weber)