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Tandem für Tübingen

Tilman Weber

Öffentlich machten die Stadtwerke Tübingen (SWT) und das Wiesbadener Projektentwicklungsunternehmen Abo Wind ihre längerfristige Kooperation erst Mitte Dezember – ein Vierteljahr, nachdem sie diese besiegelt hatten. Dazwischen sicherten sie sich erste Erfolge: den Zuschlag der Baden-Württembergischen Staatsforsten zur Erschließung des Windparks Öhningen in einem Wald über der Rheinmündung in den Bodensee und das Okay der hessischen Spessart-Gemeinde Flörsbachtal zu einer Standortnutzung ebenfalls im Forst. Moderne Windenergieanlagen sollen an beiden Standorten ab 2027 zusammen gut 60 Megawatt (MW) für die SWT einspeisen. Die Kooperation des Versorgers aus der württembergischen Universitätsstadt mit den Südhessen zielt auf regionale Grünstromerzeugung. Im Dezember gaben sie bekannt: „Die Stadtwerke Tübingen und Abo Wind arbeiten künftig bei der Entwicklung von einigen Freiflächenphotovoltaik- und Windenergieprojekten vor allem in Baden-Württemberg zusammen.“

Dass sich kommunale Versorger beim Ausbau ihrer Erzeugungskapazitäten für grüne Energie auf klassische Planungsfirmen für Wind-, Solar- oder Bioenergie stützen, ist längst die Regel. So versichern sich Stadtwerke der Expertise der Erneuerbaren-Branche für kleinteilige dezentrale Energieversorgung mit neuer Technologie, die das frühere Versorgungsgeschäft durch Verfeuerung günstig eingekaufter fossiler Brennstoffe in großen Kraftwerken auf den Kopf stellt. Sie gewinnen Zugang zu Flächen für Windparks und Photovoltaikgroßanlagen, die die Projektentwickler durch Pachtverträge und gute Verbindungen zu weit verstreuten Landkommunen gesichert haben. Kaufen sich große Versorger oft gleich die Wind- und Sonnenkraftentwickler ein, erwerben kleinere Stadtwerke bei den Projektierern schlüsselfertig errichtete Wind- und Solaranlagen.

Wir gewinnen den Vorteil, eine Kette an Projekten zu entwickeln, für die regelmäßig die Stadtwerke Tübingen als langfristige Betreiber feststehen.

Thomas Treiling, Geschäftsleiter Projektentwicklung für Wind- und Solarparks in Deutschland, Abo Wind

Stadtwerke Tübingen und Abo Wind

Doch werden die Kooperationen vielfältiger. Mehr Partnerschaft, längerfristige gemeinsame Projektarbeit für dennoch jeweils eigene Unternehmensziele und Entwicklungspfade, darauf zielt das Bündnis von SWT und Abo Wind. Thomas Treiling ist Geschäftsleiter für die Projektentwicklung von Wind- und Solarparks in Deutschland bei den Wiesbadenern. „Beide Unternehmen werden nun immer wieder in Baden-Württemberg als Tandem auftreten“, erklärt er die Strategie. „Wir nehmen daher auch an weiteren Ausschreibungen von Windkraftpotenzialflächen durch die Staatsforsten teil. Wir gewinnen den Vorteil, eine Kette an Projekten zu entwickeln, für die regelmäßig die SWT als langfristige Betreiber feststehen. Zugleich werden die Tübinger auch Projekte ohne uns machen können und wir umgekehrt Projekte für andere Investoren.“

Demnach wird Abo Wind regelmäßig in digitalen Datenräumen dem kommunalen Partner Einblick in die Fortschritte der Wind- und Solarparkvorhaben geben. In einem „turnusmäßigen Austausch“, wie es Treiling nennt. Sein Unternehmen profitiere dabei davon, mit einem „energiewirtschaftlichen Versorger, der nah an den Bürgern dran ist“, vorzugehen. Das könne Widerstände gegen die Projekte vermindern und sie dadurch beschleunigen.

Die Stadtwerke Tübingen selbst sind erfahren darin, ihr Erneuerbaren-Portfolio aufzubauen. Elf eigene, davon vier in Baden-Württemberg, plus 13 Windparks mit einer SWT-Beteiligung nahmen die Schwaben schon in Betrieb, außerdem 20 Photovoltaik-Freiflächenfelder. Ihrem Ziel für 2024 – einer Einspeisung ins Tübinger Stromnetz zu 75 Prozent aus SWT-Erneuerbare-Energie-Anlagen – waren sie Mitte vergangenen Jahres mit 66 Prozent bereits nah. Für die Entwicklungsarbeiten band SWT fast immer unabhängige Projektierer ein, auch Abo Wind – mitunter im Verbund mit anderen Versorgern oder Energiegenossenschaften. Nun soll die Zusammenarbeit stetiger sein. Jahrelang hatte die Landespolitik in Stuttgart kaum rentable Entwicklungsflächen ausgewiesen, jetzt verlangt genau dies das frisch reformierte Erneuerbare-Energien-Gesetz. Das Duo will schnell eine regionale Projektpipeline aufbauen, um für Ausschreibungen bereit zu sein.

Mit der aus 24 Ortschaften bestehenden Stadt Südliches Anhalt baut das Dresdner Erneuerbare-Energien-Unternehmen VSB schon seit Jahren eine ganzheitlichere Kooperation auf. Im vorigen Frühjahr hatten die Sachsen auf der Gemarkung des Verwaltungszentrums Weißandt-Gölzau eine moderne Großturbine von Vestas mit 5,6 MW Nennleistung in Betrieb genommen. Die Turbine ist die vierte bei Weißandt-Gölzau, nachdem VSB 2016 dort drei 3,3-MW-Anlagen ans Netz gebracht hatte. Das Projekt gilt als Repowering-Maßnahme zum Austausch alter leistungsschwacher gegen neueste Anlagen, eine Altturbine hat VSB vorher abgebaut. Auf dem Dach des Sport- und Kulturzentrum des Ortes installierte VSB als Sponsor eine Photovoltaikanlage, schloss davor eine Ladesäule an und stellte der Stadtverwaltung ein Elektroauto zur Verfügung.

Südliches Anhalt und VSB

Der Geschäftsführer für das Deutschlandgeschäft der VSB-Gruppe, Thomas Winkler, erkennt trotz der noch kleinen Dimension „ein Projekt mit Signalwirkung“. Es könnte Anstoß für die Bürgermeister der zusammengeschlossenen Gemeinden und die lokale Bevölkerung sein, eine ganzheitliche Energieversorgung zu wollen. „Die Menschen hier erlebten in der damaligen DDR, dass ihr Energieversorger ihnen bei Stromknappheit zugunsten der nahen Großstädte Halle und Leipzig immer wieder den Strom abklemmte.“ Angesichts der Teuerung der Energiepreise und des beunruhigenden Ukrainekrieges fragten Bürgerinnen und Bürger nach einer Grünstromversorgung mit Batterien zum Stromspeichern und einem Inselleitungsnetz, nach Elektrolyseanlagen zur Erzeugung des emissionsfreien Energieträgers Wasserstoff zum Betrieb einer Busflotte oder einem Nahwärmenetz, gespeist von Biogasanlagen.

VSB will solche Inselnetzsysteme errichten. Zudem ist Kooperation ein Türöffner. Allein im direkten Umfeld der 5,6-MW-Großturbine stehen 22 ältere Anlagen, die VSB repowern könnte.

Kooperationschancen bestehen auch für Stadtwerke, denen Kapital für eigene Windparkplanungen fehlt. Ihnen können die Projektierer langfristige Lieferverträge, sogenannte PPA, für die benötigten Grünstrommengen anbieten – oder auch Anlagen verkaufen mitsamt dem Angebot, überschüssig erzeugten Strom abzunehmen oder die Anlagen erst nach und nach in einem für den Kooperationspartner finanziell möglichen Tempo zu verkaufen. Die Projektierer gewinnen ihrerseits günstigen Zugang zu Netz und Stromkunden des Stadtwerks.

2.400 Megawatt Erzeugungskapazität hat der Windparkbestand des Joint Ventures Alterric, das zur Hälfte dem kommunalen Regionalversorger EWE in OIdenburg gehört. Es nennt sich damit „führender Betreiber bei deutschen Windparks an Land“. EWE ist dessen bundesweite „Sichtbarkeit“ wichtig.

Oldenburger Joint Venture für Erneuerbare

Ein ganz eigenes Modell verfolgt der Oldenburger Energiekonzern EWE über das 2021 gebildete Joint Venture seiner Erneuerbare-Energien-Sparte mit der Windparkgesellschaft des Windturbinenproduzenten Enercon, Alterric. Während Enercon auch die Entwicklung von Technologie zur Verstetigung der Windstromeinspeisung wie Batteriespeicher oder Windstrom-Schnellladetankstellen für Elektroautos einbrachte, ließ der Zusammenschluss das wohl größte Betreiberunternehmen für deutsche Windparks an Land mit inzwischen 2.400 MW Erzeugungskapazität entstehen. Alle Kapazitäten fließen direkt in die EWE-Klimabilanz ein.

Der 21 Kommunen der Region gehörende Versorger hat seine Erneuerbare-Energien-Tätigkeit komplett Alterric übertragen, das unabhängig bundesweit agiert. Es soll „in Markt und Branche weithin sichtbar“ sein, heißt es seitens der EWE AG. Den Ausbau der Elektrolyse grünen Wasserstoffs in Norddeutschland behält der Konzern sich selbst vor.

Alterric will als „Entwickler, Produzent, Vermarkter und Betreiber vollintegrierter Erneuerbare-Energien-Versorger vor Ort“ sein, lässt das Joint Venture selbst wissen: mit zehn Standorten bundesweit. Auch Biogasanlagen zur Erzeugung synthetischen Treibstoffes beispielsweise für Lastwagen entwickeln sie. Das Unternehmen arbeite mit Stadtwerken, die völlig unabhängig von EWE sind, in einer „Vielzahl an Kooperationen“ zusammen, sagt Alterric-Sprecher Heiko Lammers.

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