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Ausbau der Erneuerbaren

Kluge Pläne, und wie sie schnell umgesetzt werden

Nicole Weinhold

Die Eröffnungsbilanz von Minister Habeck hat klargemacht, wie groß die Herausforderungen beim Ausbau der Energieinfrastruktur sind. „Wir kennen das alle aus den Studien des letzten Jahres, auch aus der Dena-Leitstudie Aufbruch Klimaneutralität“, sagte Andreas Kuhlmann, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutschen Energie-Agentur (Dena), bei der Vorstellung der Dena Netzstudie III. Vor allem sei es im Diskurs um diese Fragen gegangen: Wie kriegen wir möglichst schnell erneuerbare Energien ausgebaut? Wo kommt der ganze Wasserstoff her? Wie lange dauert das? „Es geht aber auch ganz massiv darum, wie wir die passenden Infrastrukturen dazu finden und ausbauen und wie wir auch da im Zeitplan bleiben“, so Andreas Kuhlmann. Eine integrierte Energieinfrastrukturplanung sei entscheidend für eine erfolgreiche sektorenübergreifende Energiewende.

2045 in den Blick nehmen

„Die verschiedenen Energienetze dürfen nicht länger basierend auf unterschiedlichen Annahmen geplant werden“, so Kuhlmann. Es bedürfe einer gemeinsamen Grundlage, die das große Ganze und vor allem auch die Klimaziele für das Jahr 2045 in den Blick nimmt. Die Weiterentwicklung hin zu einer integrierten Energienetzplanung mit Strom- und Wasserstoffnetz, die das ganze System berücksichtigt, sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Klimaneutralität, so Kuhlmann. Kern der Empfehlungen sei die Weiterentwicklung der bestehenden, voneinander bisher unabhängigen Planungsprozesse hin zu einer integrierten Planung.

Dazu empfiehlt die Dena-Studie einen Systementwicklungsplan (SEP) einzuführen, der den heutigen Netzentwicklungsplänen vorgelagert ist und diese so auf eine gemeinsame, auf das Ziel der Klimaneutralität ausgerichtete Grundlage stellt. Damit ein Systementwicklungsplan diese Funktionen erfüllen könne, müssten die Ergebnisse politisch und gesellschaftlich legitimiert sein. Das soll laut Dena unter anderem dadurch gelingen, dass eine breit angelegte öffentliche Beteiligung entsteht, die durch eine prozessbegleitende Stakeholder-Plattform, einen Bürgerdialog und eine öffentliche Konsultation umgesetzt wird.

Die Ergebnisse des Plans müssten vor allem hinreichend politisch legitimiert sein, damit er seine Leitwirkung für die darauf aufbauenden Infrastrukturplanungsprozesse entfalten kann. „Der SEP sollte im Energiewirtschaftsgesetz verankert werden. Im Gesetz sollten der SEP und die Bedeutung für die Folgeprozesse definiert und der Prozess beschrieben werden: SEP als vorgelagerter Planungsschritt zu den Netzentwicklungsplänen (NEPs); Wiederholung mindestens alle vier Jahre“, heißt es in der Studie.

Bis 2035 soll nun der komplette Stromsektor dekarbonisiert werden – statt 2045. Der Netzentwicklungsplanentwurf 2023 sieht eine Verdopplung der Erneuerbaren vor gegenüber bisheriger Planung.

„Wir müssen akzeptieren, dass wir deutlich vor 2045 im Strom klimaneutral werden müssen. Konkret wird das 2035 sein“, erklärte Ulrich Janischka von Transnet BW während seines Vortrags zum Netzentwicklungsplan Strom auf der Tagung Zukünftige Stromnetze. Im NEP-Entwurf 2023 führe das zu einer guten Verdopplung der vorgesehenen Regenerativleistung gegenüber dem NEP 2021 – von 261 Gigawatt (GW) 2035 auf 623 GW im Jahr 2045. Die Übertragungsnetzbetreiber hatten am 10. Januar 2022 den Szenariorahmenentwurf zum Netzentwicklungsplan 2037/2045 für 2023 an die Bundesnetzagentur übergeben.

Systementwicklungsplan als Basis

„Der Druck im Kessel ist sehr groß“, so Kuhlmann. Die Infrastrukturplanung im Verteilnetz müsse künftig dringend integriert erfolgen, die Netze für Strom, Gas bzw. Wasserstoff und Wärme sollten gemeinsam in den Blick genommen werden. Die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten erforderten individuelle Lösungen, die nur durch eine integrierte Planung auf lokaler Ebene gefunden werden können.

Ein Systementwicklungsplan sollte zudem um einen Innovationsdialog ergänzt werden, um Innovationen für die Energienetze besser zu nutzen. Zusätzlich nimmt die Dena-Netzstudie III die Einflüsse des Marktdesigns auf den Infrastrukturbedarf in den Blick und betrachtet verschiedene Möglichkeiten, wie bei der Ausgestaltung eines künftigen Marktdesigns auch netz- und systemdienliche Aspekte berücksichtigt werden können.

Elektrolyseure werden bereits in großer Zahl geplant.

Foto: H-TEC

Elektrolyseure werden bereits in großer Zahl geplant.

Patrick Graichen: noch kein klares Bild

Patrick Graichen, Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, ging während der Onlinetagung zu zukünftigen Netzen einen Tag nach der Vorstellung der Dena-Netzstudie III nur kurz auf die dort vorgestellte Idee vom übergeordneten Systementwicklungsplan ein. „Wir haben uns da noch nicht sortiert“, räumte er ein. „Ich finde ihn interessant, aber er klingt auch lang und aufwändig.“ Man habe erstmal noch kein klares Bild. Entsprechend hatte er auch noch keine Antwort auf die Frage, ob es ein integriertes Energiedesign geben werden. „Das gehört zu den Fragen, die wir jetzt diskutieren müssen“, so Graichen. Im Koalitionsvertrag sei zunächst von einer Plattform die Rede.

Seit fünf Wochen sei man nun dabei, die neuen Ziele in konkrete Politik umzusetzen, so Graichen. 80 Prozent Erneuerbare seien das Ziel 2030, „damit ist die Frage zum Kohleausstieg beantwortet.“ Der müsste bei diesen Plänen bis dahin geschafft sein und ein klimaneutrales Stromsystem bis etwa 2035 folgen. 2030 gehe man zudem von einem zehn Prozent höheren Strombedarf aus, langfristig rund 1.000 Terawattstunden (TWh), auch wegen der großteils elektrifizierten Wärme- und Verkehrswende. „Zusätzliche Netze werden also gebraucht“, stellte er klar. Derzeit würden im Netzentwicklungsplan immerhin HGÜ-Leitungen mit zusätzlichen Leerrohren geplant – gleich mit Blick auf das Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren. Ein Szenario im Entwurf für den Netzentwicklungsplan 2023 sieht sogar eine Nachfrage von bis zu 1.128 TWh und 623 (GW) an erneuerbaren Energien im Jahr 2045.

Es stelle sich die Frage, wie sich Planung und Genehmigungen beim Netzausbau beschleunigen lassen, so Graichen. „Es geht nicht mehr so, wie es bisher war, das muss deutlich schneller werden.“ Im Netzentwicklungsplan müssten jetzt Strom- und Gasnetze zusammengedacht werden. Und das müsse in den nächsten zwei bis drei Jahren passieren. Dafür will die Regierung von der künftigen Klimaneutralität aus rückwärts rechnen, was gebraucht wird.

Wasserstoff wird ebenfalls als wichtiges Element der Energiewende von der neuen Regierung ins Auge gefasst. Graichen sieht dabei die Standorte für Elektrolyseure eher im Norden als im Süden. Was auch mit der Offshore-Windkraft zu tun hat. Und dann geht es darum zu ermittelt, wie viel Wasserstoff transportiert werden muss. „Wasserstoff ist vor allem ein Industriethema“, so Graichen, „aber auch ein wichtiges Thema für die Luft- und Schifffahrt – nicht aber im großen Stil eine Technologie für Einfamilienhäuser.“

Auch Volker Quaschning weist darauf hin, dass Wasserstoff sehr verlustbehaftet und teuer sei. „Insofern ist Wasserstoff der Plan C, wenn alles andere nicht mehr greift. Der Wasserstoff kommt immer ganz zum Schluss. Das ist schon mal klar“, so der Professor für erneuerbare Energien an der HTW Berlin. „Jetzt mit Elektrolyseuren anzufangen, wäre eigentlich falsch. Aber da wir bereits in 15 Jahren klimaneutral sein müssen, haben wir keine Zeit mehr, alle Technologien nacheinander auszurollen. Wir müssen aufgrund der Versäumnisse der alten Regierung alles parallel machen.“ Das heißt, man sollte jetzt Elektrolyseure an den Start bringen, damit man bei Bedarf in der Lage ist, Stückzahlen und Leistung schnell hochzufahren. Quaschning betont aber auch: „Wenn wir die ganzen Überschüsse aus der erneuerbaren Erzeugung über Wasserstoff abfangen, vernichten wir viel zu viel Energie.“ Deshalb müsse man eigentlich zuerst die gesteuerten Lasten an den Start bringen, weil sie relativ wenig kosten: „Ob ich das Elektroauto abends um sieben oder mittags um zwölf Uhr lade, das ist meistens egal.“ Große verschiebbare Lasten sind außerdem Wärmepumpen.

Die Bundesnetzagentur hat derweil schon mal den Szenariorahmen für den Netzentwicklungsplan Gas 2022 bis 2032 mit Änderungen am 20. Januar bestätigt. „Wir unterstützen den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland. Damit leisten wir einen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele“, sagte Jochen Homann, Präsident der Bundesnetzagentur (BNetzA). „Ziel ist es, Erdgasleitungen zu identifizieren, die für eine Umstellung auf Wasserstoff in Betracht kommen.“

So soll das Wasserstoffnetz 2030 aussehen.

Bild: FNB Gas

So soll das Wasserstoffnetz 2030 aussehen.

13.300 km Wasserstoffleitung bis 2050

Stephanie Seybold von der Firma Terranets BW erklärt, die Gasnetzplanung sei insofern kompliziert gewesen, als dass sich hier immerhin zwölf Fernnetzbetreiber abstimmen mussten. Die Zahl der Übertragungsnetzbetreiber – Tennet, Amprion, Transnet BW und 50 Hertz – ist dagegen überschaubar. „Über die Jahre ist das Thema komplizierter geworden“, so Seybold. Man sehe das auch daran, dass die Veröffentlichung eines Netzentwicklungsplanentwurfs um ein halbes Jahr verschoben wurde.

Szenario 1 und 2 seien noch vor der Verschärfung der Ausbauziele durch Klimaminister Habeck entstanden. Darin wird Methan bereits weitgehend durch Wasserstoff kompensiert. Eingangsgröße sei der Bedarf der Industrie. „Wir haben eine Marktabfrage online durchgeführt, um den Bedarf für die Ein- und Ausspeisung von Wasserstoff zu ermitteln“, so Seybold. Dabei seien 500 Projektmeldungen eingegangen. Im Norden sei es viel Erzeugung gewesen und überall sonst vor allem Nachfrage. 2030 werde es das erste Wasserstoffnetz geben mit 3.700 Kilometern umgestellter Netze. Bis 2050 werden es 13.300 Kilometer sein.

Neben der Planung der Wasserstoffnetze geht es laut Patrick Graichen auch um die Frage der Wärmeversorgung – etwa Fernwärme für die Innenstädte und Wärmepumpen für Haushalte. Er betonte, dass Kommunen diese Themen anpacken müssten. Derweil würden auf die Verteilnetzebene immer größere Energiewendeaufgaben zukommen. Der Ausbau der Windkraft auf 100 GW 2030 sei auch ein Thema der Verteilnetzebene. Dem gegenüber stünden neue Verbraucher wie E-Mobilität und Wärmepumpen.

„Wo wollen wir insgesamt hin?“, fragte Graichen. 65 Prozent weniger CO2 bis 2030 – dafür bräuchten all diejenigen, die in der Branche aktiv sind, entsprechende Leitplanken. „Bis 2045 bleibt wenig Zeit, wenn man in Netzkategorien denkt“, so Graichen. Das Energierecht sei bisher nicht so aufgestellt, wie es nötig ist. „Das ist eine zentrale Aufgabe in dieser Legislaturperiode.“ Es stamme aus den 80ern und sei nicht mehr fit für die Energiewelt von heute und morgen.

Wichtiges Thema: Wie lassen sich Genehmigungen beschleunigen? „Im Moment brauchen wir sehr viel Zeit für die gesamte Infrastruktur, auch für Bahntrassen.“ Man könne aber drastisch Zeit einkürzen. Etwa bei der Planfeststellung, viele Punkte ließen sich zusammenlegen. Es dürfe nichts liegengelassen werden, sondern müsse schnell geschlossen werden. „Das ist auch eine Personalfrage.“

Wenn auch zahlreiche Detailfragen noch nicht geklärt sind, steht eines fest: alle Beteiligten wissen, was die Stunde geschlagen hat. Die Aufgaben sind enorm, und sie müssen jetzt bewältigt werden.

2050 ist das Wasserstoffnetz dann bereits weit verzweigt.

Bild: FNB Gas

2050 ist das Wasserstoffnetz dann bereits weit verzweigt.