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Kommentar Dena-Leitstudie 2050

Emissionsfrei 2050: Gute Nachricht, (fast) gutes Rezept

Das Positive zuerst. Also: Die Dena-Leitstudie „Integrierte Energiewende – Impulse für die Gestaltung des Energiesystems 2050“ findet und beschreibt auf seriöse Weise klare „Transformationspfade“. Auf diesen, das belegt die Dena-Studie, lassen sich die klimapolitischen Ziele wirklich erfüllen – sowohl das Mindestziel einer Senkung der Emissionen des Klimaschadstoffs CO2 um 80 Prozent im Vergleich zu 1990, als auch das Maximalziel von minus 95 Prozent.

Beeindruckend weiträumig hat die Dena dieses Mal den Blickwinkel geöffnet. Sie wollte so die gesamte Landschaft der aktuellen und künftigen wirtschaftlichen Akteure, der möglichen Marktregeln, der politischen Kräfte und der kommenden Konflikte um die Akzeptanz des Erneuerbare-Energien-Ausbaus auf den Monitor bekommen. Mit sage und schreibe 60 die Studienarbeiten beratenden Partnerunternehmen, mit durch Politik und Wissenschaft bestückten Beiräten, mit den an der Studie beteiligten Gutachtern und Dena-Mitarbeitern waren 250 Personen an dem Dena-Werk beteiligt.

Fünf Szenarien der Energiewende - davon zwei, um CO2 um 95 Prozent zu reduzieren

Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber
Kommentar Tilman Weber | Kommentar: Tilman Weber

Bewusst legte die Dena weder wirtschaftliche, noch technische Vorgaben für die Energiewelt im Jahr 2050 zugrunde – und ließ fünf Szenarien zu: 1) Die Fortsetzung der bisherigen Energiepolitik inklusive gelegentlicher ambitionierter Reformen sowie die Fortsetzung aktueller Technologieentwicklungen. Es ist das „Referenzszenario“, in dem sich die CO2-Emissionspreise zudem moderat erhöhen. 2) Das Szenario einer vorwiegend auf Elektrifizierung umschwenkenden Energieversorgung, um die Reduktion von 80 Prozent der CO2-Emissionen bis 2050 mittels grünen Stroms zu erreichen. 3.) Das Szenario eines Emissionsrückgangs um 95 Prozent mit weitreichender Elektrifizierung. 4.) Das Szenario einer auf vielfältige technologische und Markt-Reformen setzenden integrierten Energiewende, die auf Energiespeicher, bessere Marktregeln für in Reserve gehaltene Stromerzeugungskapazitäten oder auch auf bisher nicht relevante CO2-ärmere Technologien setzt – um das 80-Prozent-Ziel zu schaffen. 5.) Das Szenario einer derartigen technologieoffenen Energiewende, um das 95-Prozent-Ziel zu erreichen.

Dabei lässt sich Dena-Chef Andreas Kuhlmann zustimmen, der die nun veröffentlichte Studie im Vorwort als mögliche „Grundlage für einen Neustart in der Energiewende- und Klimaschutzpolitik“ wahrgenommen sehen will. Tatsächlich liefern die Ergebnisse „neue Maßstäbe für den energie- und klimapolitischen Diskurs“ in Deutschland. Die Energiewende müsse deshalb „grundsätzlich neu gedacht werden“, schreibt Kuhlmann.

Klimaschutz wie bisher mit EEG senkt Emissionen nicht genug 

So kommt die Studie zu dem Schluss, dass das Referenzszenario uns in Deutschland definitiv an den Emissionsminderungszielen für 2050 scheitern ließe. Auch wenn wir die in den vergangenen Jahren immer wieder gezeigte Bereitschaft zu gelegentlichen ambitionierten Klimaschutz-Reformen beibehielten, würden die Emissionen nur um 62 Prozent zurückgehen.

Zu den vier Szenarien, mit denen sich die Klimaziele erfüllen ließen, haben die Leitstudienautoren die volkswirtschaftlichen oder auch staatlichen Mehrkosten ermittelt. Demnach werden am wenigsten Mehrkosten anfallen, sollte Deutschland bloß das 80-Prozent-Minderungsziel bei den CO2-Emissionen mittels eines breiten Technologiemix‘ anvisieren und erreichen. Die meisten Kosten verursachte hingegen ein um 95 Prozent verminderter CO2-Ausstoß auf einem Pfad, der weitgehend auf eine Elektrifizierung von Verkehr und Wärmeversorgung hinausläuft, um hier regenerativ erzeugten Wind- und Solarstrom zu nutzen.

0,6 Billionen Euro mehr oder weniger für Energieeffizienz, Erneuerbare, Power-to-Gas 

Die Leitstudien-Autoren rechnen mit Mehrkosten im Vergleich zum heute eingeschlagenen Energiewendeweg des Referenzszenarios von 1,2 bis 2,2 Billionen Euro. Alleine die Mehrkosten des Ausbaus der Fernleitungen im Stromnetz würden sich um 30 Milliarden Euro unterscheiden und 80 bis 110 Milliarden Euro betragen. Die Mehrkosten beim Ausbau der regionalen Verteilnetze lägen um bis zu 140 Milliarden Euro auseinander und reichten von 110 bis 250 Milliarden Euro. Das Gros der Mehrkosten, die Deutschland zur Erfüllung der Klimaziele aufzubringen haben wird, wird der Umbau des Kraftwerksparks verursachen: Um bis zu 8,5 Gigawatt (GW) netto müsste der Kapazitätszubau der Erneuerbare-Energien-Anlagen unterm Strich jährlich ausfallen. Die Wahl zwischen dem Transformationspfad eines möglichst breiten Technologie- und Energieträgermix‘ und einem der kompletten Grünstrom-Elektrifizierung würde bei gleichen Klimaschutzerfolgen über Mehr- oder Minder-Kosten allein bei den Investitionen in Erneuerbare-Anlagen, Energieeffizienz oder Power-to-Gas-Umwandlungsanlagen von bis zu 600 Milliarden Euro entscheiden.

Inwiefern Mehrkosten von demnach 37,5 bis 68 Milliarden Euro pro Jahr bis 2050 bei einer Klimazielerfüllung zu viel oder zu wenig sind, muss notfalls die politische Debatte noch ein letztes Mal klären. Auch wer dafür aufkommen muss, überlässt die Dena-Leitstudie der Politik: ob vor allem Energieverbraucher oder Steuerzahler. Im einen Fall würde der Energieverbrauch, im anderen die Einkommenshöhe entscheiden.

Doch so sehr die Dena bis hierher eine wertvolle Handreichung für weitere Schritte zum Umbau unseres Energiesystems liefert: Die Studie enthält auch mehrere Botschaften, der Energiewende-Anhänger widersprechen sollten.

Zweifelhafte Mittel: Von CCS bis "Desertec" zur Herstellung synthetischen Treibstoffs 

Diese Botschaften verlangen nämlich von der Erneuerbaren-Szene und ihren Unterstützern, dass sie einige bisherige Überzeugungen aufgeben müsste.

1.) So kalkuliert die Dena-Studie einen nicht vermeidbaren Rest bei den Industrie-Emissionen von 16 Millionen Tonnen CO2. Dieser wäre nur durch das Ausfiltern des Kohlendioxids aus der Luft oder aus den Emissionen und durch anschließendes Einlagern und Verpressen in unterirdischen Lagern (CCS) oder durch Weiternutzung in chemischen Prozessen der Industrie (CCU) zu tilgen. Gerade CCS gilt bei Umwelt- und Klimaschützern aber als besonders riskante und daher nicht nachhaltige Technologie.
2.) Der jährliche Ausbau der Windparks an Land soll für das Erreichen der Klimaziele nur mit einem Netto-Volumen von 3,7 bis 4,0 Gigawatt (GW) stattfinden – statt mit vom Bundesverband Windenergie politisch geforderten fünf GW netto. Beim Ausbau von Windparks im Meer empfiehlt die Dena, beim EEG-Rahmen von 15 GW bis 2030 zu bleiben und danach bis 2050 die Meeres-Windstrom-Erzeugungskapazität nur auf 34 GW auszubauen. Für die Photovoltaik (PV) hält die Dena-Studie einen jährlichen Netto-Ausbau um 2,2 bis 3,6 GW für vonnöten. Auch das ist nicht weit davon, was das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) als Ausbaurahmen definiert.
3.) Dass dieser Ausbau ausreicht, ist dem optimalen Ausbau des Energiemixes, verbesserten internationalen Stromnetzverbindungen, klügerem und flexiblerem Energiehandel oder höherer Energieeffizienz zu verdanken - aber nicht allein: Die Dena baut zusätzlich auf zwei bis drei Tabubrüche. Der erste: Sie geht von einem zusätzlichen Bedarf von aus regenerativen Energiequellen erzeugten synthetischen Kraftstoffen wie Wasserstoff oder synthetischem Benzin oder Flüssigerdgas von bis zu 908 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2050 aus. Nur maximal 165 TWh aber könne Deutschland selbst aus überschüssigem Grünstrom aus Wind- und Solaranlagen herstellen. Der Rest müsse aus dem Ausland als Import einfließen – auch aus großen Produktionsanlagen in Nordafrika. Das von vielen in der Erneuerbaren-Branche abgelehnte Projekt Desertec – wegen der befürchteten Unterordnung dieser Länder unter die Bedürfnisse Europas – würde so eine Wiedergeburt erfahren: Desertec hatte den Ausbau riesiger Solar- und Windparks in Nordafrikas Wüsten vorgesehen: vorwiegend zur Exportstrom-Produktion für Europa.
4.) Der zweite Tabubruch: Deutschland müsste nicht nur seinen im Ausland teils kritisierten zunehmenden Strom-Exportüberschuss abbauen. Deutschland würde 2050 vielmehr bis zu 136 TWh netto importieren, „um Ausgleichseffekte bei der Last, der Erzeugung erneuerbarer Energie und der Bereitstellung gesicherter Leistung nutzen zu können.“ In andern Worten: Deutschlands Nachbarländer stellen so ihre Grünstrom-Erzeugungskapazitäten großenteils in Diensten der Energiewende des größten Stromverbrauchers auf dem Kontinent. Zum Vergleich: Bisher exportiert Deutschland unterm Strich knapp zehn Prozent seiner Bruttostromerzeugung, jährlich 50 TWh – bei einem Verbrauch von mehr als 500 TWh.
5.) Die Dena geht zugleich von einem stark steigenden bundesweiten Stromverbrauch aus. Der werde bis 2050 trotz der wie gewünscht stark ansteigenden Energieeffizienz auf 840 bis 1.160 TWh anschwellen – auf mehr als das Doppelte und bei gewaltigen Höchstlasten von mindestens 100 Gigawatt.
6.) Deutschland müsse sich im Extremfall sogar überlegen, ob es ein klein wenig Dunkelflaute zulassen wolle – zu wenig Stromproduktion durch Sonnen- und Windstromanlagen in langen Bewölkungs- und Flautephasen ohne ausreichenden Energienachschub aus Import oder Energiespeichern.

Alternativen vom Emissionshandel mit höheren Mindestpreisen bis mehr Bus und Bahn 

An diesen kritischen Stellen sind die Studienergebnisse zwiespältig: Branche und Politik erfahren tatsächlich, was der Preis und der Aufwand der Energiewende sein könnten. Doch die präsentierten Technologiepfade gründen auch darauf, dass sie einige alternative Konsequenzen der Energiewende nicht in Betracht zieht. Würde die Branche nun den Dena-Pfaden eins zu eins folgen, droht der Verrat an Zielen wie der einer gerechten, international fairen, friedensstiftenden Energiewende.

Der massive Ausbau von Bus und Bahnverkehr bei zeitgleichem Zurückdrängen des Auto-Individualverkehrs wäre beispielsweise eine Maßnahme, die den Stromverbrauch senken würde. Es würde auch die Energiebevorratung vereinfachen. Eine starke CO2-Bepreisung würde den Ausbau der Erneuerbaren noch attraktiver werden und Energieeffizienz noch schneller voranschreiten lassen. Die Eingrenzung des Flächenverbrauchs von Wohnungen und Büros durch höhere Immobiliensteuern oder Umweltverbrauchsabgaben zöge den Energieverbrauch ebenfalls nach unten. Die massive Förderung von Strom-Eigenverbrauch birgt viel Potenzial, um den Strom gezielter und flexibler zu verbrauchen und mit kleineren Anlagen mehr Zubau zu erreichen. Und die von der Dena geforderte Beibehaltung der Befreiung der energieintensiven Industrie von Energie-Abgaben ist kein Naturgesetz, erhöht aber den Energieverbrauch durch wirtschaftliches Wachstum.

Vielleicht hat es auch mit der Zusammensetzung des großen Partner-Kreises zu tun: Außer gerade einmal drei Erneuerbare-Energien-Unternehmen gehören dem Kreis klassische Stadtwerke, Erdgasfirmen und auch die großen Energieversorger und Netzbetreiber an. Die Dominanz klassischer Player könnte eine Ursache sein, dass letzlich nur klassisch gedacht wurde.

(Tilman Weber)