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Wind im Wald

Wie Windkraft den Wald retten könnte

Tilman Weber

Es ist paradox. Als würden die Windparkgegner rings um das Planungsgebiet nordöstlich von Hauzenberg fürchten, dass ihnen die ersten Rotoren in ihrer Region den Weg zurück in die Zeit vor dem Klimawandel verbauen. Dabei will das bayerische Projektierungsunternehmen Baywa RE im durch klimawandelbedingte Trockenheit mit einhergehendem Borkenkäferfraß schon schwer erkrankten Wirtschaftswald die Flächen für vier Windturbinen roden. Und an anderer Stelle in der schütter werdenden Naturlandschaft Bayerischer Wald wollen die Investoren aus München dieselbe Fläche mit anpassungsfähigeren Bäumen aufforsten. Der Vorteil, den nicht nur sie für Nachbarn und Natur sehen: Waldeigentümer erhielten an beiden Orten dank Flächenpacht und Waldverbesserung wieder eine wirtschaftliche Perspektive. Und das Mittelgebirge könnte wenigstens kleinräumig durch die gesetzlich vorgeschriebene Maßnahme neu ergrünen.

Dürre-geschädigte Wälder für die Windkraft

So entspricht das Projekt im deutsch-österreichisch-tschechischen Dreiländereck einer lauter werdenden Diskussion, die der Windenergie im Wald womöglich neuen Auftrieb gibt. Dürre-geschädigte Wälder für die Windkraft zu nutzen, erwogen zuletzt auch die Landesregierungen von Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Das ist bemerkenswert, weil Windkraft im Wald in Niedersachsen aufgrund genügend freier windreicher Offenflächen verboten ist. Die windkraftfeindliche CDU-FDP-Regierung Nordrhein-Westfalens wiederum hatte noch im Landesentwicklungsplan von Juli 2019 mehr Windkraft in Forsten weitgehend ausgeschlossen. Nur Wochen später dachte der dortige Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart laut über Windparks in erkrankten Forstarealen nach, ruderte allerdings Ende Oktober wieder zurück.

Sogar Bayern will Landesforsten öffnen

Sogar die CSU-geführte Landesregierung in Bayern will Flächen der Staatsforsten für mindestens 100 Windenergieanlagen verpachten lassen. Doch das beeindruckt die Projektgegner bei Hauzenberg nicht. Ihre Argumente: Der Windpark bedrohe ein in der Nähe geplantes Wasserschutzgebiet und werde lautlosen, vermeintlich gesundheitsschädlichen Infraschall emittieren. Nicht zuletzt werde das Projekt der Türöffner für Windkraft in der Region.

Das Plangebiet ist ein Berg am südwestlichen Rand einer dem Haupthöhenzug vorgelagerten Bergregion. Baywa RE machte den Standort Ende 2018 nach dem hier bereits zweiten viel zu trockenen Sommer aus. 2014 hatten kommunale Planer das Areal als Windkraft-Konzentrationszone ausgewiesen. Allerdings führte Bayern kurz darauf die bundesweit strengste Abstandsregelung für Windparks ein, wonach neue Turbinen seither um das Zehnfache ihrer Gesamthöhe von Siedlungen entfernt bleiben müssen. Nachbargemeinden Hauzenbergs nutzten damals die Option, Konzentrationszonen mit einem Widerspruch aufzuheben. In Hauzenberg aber wollen sich die Bürgermeisterin und der Gemeinderat nicht das Nachdenken über einen Bebauungsplan verbieten lassen, der den Windpark auf Hauzenberger Gemarkung ermöglichen würde. Und die Windparkplaner wollen zusätzliche Grundstücke im Wald pachten, um so weit wie möglich den Abstand dieser 10-H-Regel von bis zu 2.400 Metern einhalten zu können.

Umweltverbände: „nur mit Waldwindkraft“

Selbst Umweltschutzorganisationen sehen den Wald im Zuge des Klimaschutzes inzwischen als wichtiges Flächenreservoir für Windkraft. So beschloss der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland auf seiner Delegiertenversammlung im November 2019, für das eigene Konzept einer komplett auf erneuerbaren Energien basierenden Stromerzeugung müssten die Wälder bundesweit 9.000 Windenergieanlagen aufnehmen. Dem dürfe nur 0,1 Prozent der Waldfläche zum Opfer fallen. Zudem dürften Waldwindparks nur entstehen, wo „nachweislich keine ausreichend verträglichen Standorte außerhalb des Waldes bestehen“. Auch der vorsichtigere Naturschutzbund Nabu ist dabei. Schon seit 2016 gilt beim Nabu der Formel: „Um die Energiewende erfolgreich umzusetzen, kann in waldreichen Regionen die Windenergie im Wald nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Eine Prüfung muss auf regionaler Ebene stattfinden.“ Allerdings dürfe der Ausbau nur in Bundesländern ab 32 Prozent Waldanteil erfolgen – und nur, wenn umfangreiche Vögel- und Fledermauskartierungen belegten, dass die Flüge meist nur im Luftraum unterhalb der Reichweite der Rotorblattspitzen stattfinden.

Windkraft-Zubau: 20 Prozent im Wald

Dabei sind Turbinenerrichtungen im Wald längst eine etablierte Disziplin. Seit 2015 beträgt ihr Anteil am deutschlandweiten Nettozubau der Windkraft an Land rund 20 Prozent. Sogar im Tiefpunkt-Jahr 2019 rückte die Branche für neue Windparks jede fünfte Anlage in die Baumregionen. Weil die Bundesregierung den Onshore-Windenergieausbau aber auf nur noch ein Fünftel beziehungsweise 1.000 Megawatt (MW) abgewürgt hatte, war nach zwei Jahren Abschwung auch der Zubau im Wald von 1.000 MW auf noch 50 Anlagen mit 127 MW eingebrochen.

Freilich nimmt der Druck auf deutsche Forstgebiete zu. Nur im Wald lassen sich neue Turbinen vielerorts in ausreichender Entfernung von Wohngebieten errichten. Dies gilt umso mehr, wenn gemäß der im Juni vom Bundestag bestätigten Novelle jedes Bundesland Mindestabstände von bis zu 1.000 Meter zu Ortschaften festlegen darf. Zudem sind in den bergreichen Landschaften Mittel- und Süddeutschlands oft nur die bewaldeten Bergrücken windhöffig.

Zwar ist Windenergie im Wald logistisch immer aufwändiger als außerhalb des Waldes. Alleine für Wegebau und Kranstellflächen müssen die Projektierer vorübergehend Flächen mit mehr als 55 mal 55 Meter Ausdehnung pro Turbine roden – und ähnlich viel dauerhaft für jede Turbine im Windpark. Aber Installationstechnik, neue Turmbaukonzepte und moderne flexible Schwachwindanagen sorgen für eine ähnlich gute Wirtschaftlichkeit wie im offenen Ackerland. Selbst Konflikte mit dem Naturschutz sind nicht größer: Über der geschlossenen Baumkronendecke fliegen Vögel und Fledermäuse sogar seltener bis zu den Rotoren hoch als in einer aufgelösten Feld-Wald-Wiesen-Landschaft. Denn Käfer und Kleintiere am Waldboden lassen sich von oberhalb der Kronen für sie kaum erspähen, und die Thermik trägt die Insekten nur im Offenland in Rotorhöhe.

2.020 Anlagen mit 5.450 MW im Wald

So standen schon Ende 2019 gemäß der Fachagentur Windenergie an Land 2.020 Anlagen mit 5.450 MW im Wald. Das entsprach zehn Prozent der Erzeugungskapazität aller Onshore-Windparks. Insbesondere in Rheinland-Pfalz und Hessen, aber auch in Baden-Württemberg, Brandenburg und Bayern ist die Windkraftnutzung in den Forsten stark (siehe Kasten). Es sind wohl nicht zufällig die Bundesländer mit den größten relativen Waldanteilen: Rheinland-Pfalz und Hessen mit jeweils 42,3 Prozent Anteil an der Landesfläche und die anderen drei Bundesländer mit rund 37 bis 38,5 Prozent erfüllen zugleich die Mindestanforderung des Naturschutzbundes Nabu des überdurchschnittlichen Waldanteils von 32 Prozent. Thüringen bereitet nun die Ausweisung von Eignungsflächen in Waldhöhenlagen durch neue Regionalpläne vor – bei 34 Prozent Waldanteil.

Öffentliche Akzeptanz nimmt zu

Prinzipiell nimmt auch die öffentliche Akzeptanz zu: Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz bieten Beteiligungsmodelle für Bürger und Kommunen auf Landeswaldflächen an. Seit 2019 deutet auch die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) an, dass für sie Windkraft eine wirtschaftliche Option neben der Holzwirtschaft sein könne. Zuvor hatte die AGDW-Präsidentschaft gewechselt. Auf den gegen landschaftliche Prägungen durch die Energiewende opponierenden Philipp zu Guttenberg folgte der offenbar für Klimapolitik aufgeschlossenere Hans-Georg von der Marwitz. Im Februar schloss der AGDW einen Kooperationsvertrag mit dem Windparkprojektierer UKA zur Beratung in Sachen Windenergie ab.

Allerdings nutzen möglicherweise überforderte Behörden die vermeintlich undurchschaubare Situation im Ökosystem Wald weiter gerne für Ablehnungsbescheide. Das bewies das Regierungspräsidium Kassel, gegen das der Wiesbadener Windparkentwickler Abo Wind nun Klage erhebt. Fünf Jahre lang hatten die Südhessen das Projekt mit sechs bis 240 Meter hohen Turbinen südöstlich von Kassel vorangetrieben. Doch die Behörde lehnte alle Turbinen wegen vermeintlicher Gefährdung eines Rotmilanbestandes ab, obwohl der von Abo Wind beauftragte Gutachter alle Anlagen als unbedenklich eingestuft hatte.

Hoffen auf die Rechtsprechung

Abo-Wind-Sprecher Alexander Koffka begründet die Klage nicht zuletzt damit, dass die anvisierten Standorte sogar zu einer im Regionalplan zur Windenergienutzung bestimmten Vorrangfläche gehören. Zudem habe Abo Wind den Luftraum freiwillig statt eines Jahres gleich zwei volle Jahre lang beobachtet, um Bewegungen der Rotmilane aufzuzeichnen. „Das ist dann gegen uns verwendet worden“, sagt Koffka. „Weil wir in zwei Jahren den Vogel drei Mal gesichtet haben, hieß es, der Vogel sei sogar dreimal im kritischen Luftraum aufgetaucht.“ Abo Wind habe sogar um den Preis eines weiteren halben Jahres Planungszeit eine Turbine für einen anderen Standort tiefer im Wald umgeplant. „Wir gehen davon aus, dass das Gericht die Begründung im Ablehnungsbescheid als nicht fachgerecht einstuft und bestätigt, dass Vorrangflächen in der Regel Standorte von Windturbinen ermöglichen sollen.“

Doch welches Klima eigentlich lässt Genehmigungsbehörden zu unsicheren Argumentationen gegen Windkraft im Wald greifen? Interessant ist: Neuer Regierungspräsident in Kassel ist seit Oktober der Fuldaer CDU-Politiker und Jurist Hermann-Josef Klüber. Der Christdemokrat folgte auf den 2019 von vermutlich Rechtsradikalen ermordeten CDU-Politiker Walter Lübcke. Gleich nach Amtsantritt zog sich Klüber für ein Interview in einer Regionalzeitung massive Kritik zu, in dem er auf den geringen Windparkausbau im Landkreis Fulda hingewiesen hatte. In seinem Heimatlandkreis seien die Menschen kritischer als anderswo zur Windkraft, hatte Klüber gesagt. Dabei seien die in Hessen dominierenden Waldflächen grundsätzlich geeignet für Windkraftausbau. Im November relativierte er dies: „Ich habe weder einen ‚Vorstoß‘ noch ‚mehr Druck‘ zugunsten von Windenergie im Landkreis Fulda gemacht.“ Öffentlich will er nun wohl nicht als pro Windparkgenehmigungen voreingenommen erscheinen.

245.000 Hektar stark erkrankte Waldflächen

Wie sehr aber die Nutzung klimatisch geschädigter Waldflächen durch Windkraft drängt, verdeutlichte die Fachagentur Windenergie an Land Ende Februar anhand neuer Daten des Bundeslandwirtschaftsministeriums. Gingen dessen Schätzungen im Herbst 2019 noch von rund 180.000 stark erkrankten Waldflächen aus, waren es im Frühjahr 2020 schon 245.000 Hektar. Auch wenn nicht all diese Flächen gute Windernte versprechen: Bei 0,87 Hektar durchschnittlich in Anspruch genommener Rodungsfläche pro neuem Windrad im Forst, so die Daten der FA Windenergie, eröffnet sich ein riesiges Potenzial.

Windstromernte im Wald

Baden-Württemberg: 330 Turbinen, 910 Megawatt (MW)

Bayern: 291 Turbinen, 766,3 MW

Brandenburg: 320 Turbinen, 865,6 MW

Hessen: 434 Turbinen, 1.220 MW

Niedersachsen: 6 Turbinen, 16,4 MW

Nordrhein-Westfalen: 89 Turbinen, 236 MW

Rheinland-Pfalz: 452 Turbinen, 1.181,1 MW

Saarland: 67 Turbinen, 197,6 MW

Sachsen: 29 Turbinen, 50,3 MW

Thüringen: 2 Turbinen, 6 MW

Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und die Stadtstaaten bisher ohne Windkraft im Wald. Quelle: Fachagentur Windenergie an Land, Stand Ende 2019

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