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Klimapaket der Bundesregierung

Gefährdeter Kohlekompromiss: Entwurf für Kohleausstiegsgesetz gewinnt keine Freunde

Tilman Weber

Der auf Montag datierte Referentenentwurf zum Kohleausstiegsgesetz war schon tags darauf das bundesweite medialeTopthema. Jedenfalls was die im Gesetzentwurf enthaltenen Zumutungen für die Windenergie betrifft, erhoben die Berichterstatter sofort Zweifel an der Wirksamkeit des Gesetzes. Es sieht eine überraschend scharfe Einschränkung des Windparkausbaus in der Nähe von Siedlungen vor. Wie angekündigt müssen neue Windenergieprojekte - ob auf gänzlich neuen Nutzungsflächen oder im Rahmen des sogenannten Repowerings auf Flächen alter und dafür abgebauter Windparks - mindestens 1.000 Meter Abstand zu Siedlungen wahren. Dies gilt allerdings bereits für Ansiedlungen von schon mehr als fünf Häusern. Und in manchen Fällen ist die Tabuzone schon einzuhalten, wenn die Fünf-Häuser-Relevanzschwelle nur deshalb überschritten wird, weil dort bald zusätzlich Häuser entstehen könnten. Der überwiegende Tenor der Berichterstattung lautet, dass damit der Ersatz der abzubauenden Kohlekraftkapazitäten durch Erneuerbare-Energien-Anlagen in Gefahr gerate – und aus Gründen der Versorgungssicherheit der Kohleausstieg insgesamt.

Vielfältige Mindestabstände von Siedlungen für Windparks

Tatsächlich enthält der 167 Seiten starke Entwurf gleich mehrere weitere Einschränkungen, die aufhorchen lassen. Zwar erlaubt er Bundesländern das Abweichen von dem 1.000-Meter-Bann. Doch anders als das Kabinett als Einigungsergebnis über das Klimapaket ursprünglich festgehalten hatte, sollen die Bundesländer in einer vorgesehenen Optionsphase nur einerseits auch geringere Tabuzonen um Siedlungen mit weniger als 1.000 Meter Breite festlegen dürfen. Hinzu kommt nun andererseits, dass Kommunen eigene Abstandsflächen festschreiben dürfen, die die landesweiten Tabuzonen unterschreiten, aber eben auch über sie hinausgehen dürfen.

"Unerklärlich", sagen BDI, BDEW, DGB, VKU, VDMA, BWE

„Es ist uns unerklärlich, dass an einer Regelung zu bundeseinheitlichen Mindestabständen festgehalten wird, obwohl klar ist, dass damit das Ziel von 65 Prozent erneuerbare Energien in 2030 nicht gehalten werden kann“, schreiben der Industrieverband BDI, Gewerkschaftsbund DGB, Energiebranchenverband BDEW, Stadtwerkeverband VKU, Maschinenbauverband VDMA und Windenergieverband BWE gemeinsam in einem Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Offiziell zuständig für das Festlegen der Abstandsregeln ist allerdings das Bundesbauministerium.

Umweltschützer: "Kohlekompromiss aufs Spiel gesetzt"

Auch Umweltschutzorganisationen zeigten sich alarmiert. Die an der sogenannten Kohlekommission beteiligten Organisationen Greenpeace, BUND und DNR forderten einen Stopp des Gesetzes. Das Wirtschaftsministerium kündige mit ihm „den mühsam ausgehandelten Kohlekompromiss auf“, betonte DNR-Präsident Kai Niebert. Martin Kaiser, Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland erklärte mit Bezug auf den Teil des Gesetzentwurfs, der den Mechanismus und Fahrplan zum Abschalten der Kohlekraftwerke beschreibt: „Ohne gravierende Änderungen des Entwurfs und eine 1:1 Umsetzung des Kohlekompromisses setzt Altmaier einen gesellschaftlichen Kompromiss auf Spiel.“ Der Vorsitzende des BUND, Olaf Bandt, betonte, laut Entwurf gesetzlich „geregelt werden vor allem die Entschädigungen für die Kraftwerksbetreiber. Die Windenergie an Land wird faktisch kaltgestellt und das Ausbauziel zur Luftnummer.“ Tatsächlich sieht auch das von der Regierung im Oktober beschlossene Klimaschutzpaket nur noch einen jährlichen Ausbau von faktisch 1,17 bis 1,5 Gigawatt (GW) Windenergie an Land vor – um sogar knapp 50 bis 60 Prozent weniger, als die im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) von 2017 jährlich festgeschriebenen Ausschreibungen von 2,9 GW. Noch nicht berücksichtigt sind hierbei die 2019 gestarteten zusätzlichen Sonderausschreibungen weiterer Windenergiekapazitäten.

Die drei Umweltschutzorganisationen waren Mitglieder der sogenannten Kohlekommission, die im Auftrag der Bundesregierung zusammen mit Branchenorganisationen einen Kompromiss über ein Kohleausstiegsprogramm ausgearbeitet und ihn Anfang des Jahres veröffentlicht hatte. Das parlamentarische Verfahren über ein Kohleausstiegsgesetz sollte gemäß diesem Programm noch im Jahr 2019 weitgehend abgeschlossen sein. Allerdings warnen Kritiker bereits, der Entwurf sei nun so spät im Kalenderjahr erfolgt, dass dieser Termin womöglich nicht zu halten sei.

Wie die Regierung Steinkohlekraftwerke abschalten will

Der Referentenentwurf des Kohleausstiegsgesetzes zeigt vor allem auch an, wie das Verfahren zum Ausstieg aus dem Betrieb von Steinkohleanlagen aussehen dürfte: So plant das Wirtschaftsministerium Ausschreibungen, in denen Steinkohle-Kraftwerksbetreiber ihren Ausstieg zum Preis einer Entschädigung anbieten können. In ihren Geboten formulieren sie ihre Entschädigungsforderung, die sich gemäß Referentenentwurf Steinkohlezuschlag nennt. Die erste Ausschreibung soll bereits 2020 erfolgen. Bis 2022 soll sich die insgesamt in Deutschland betriebene Steinkohle- ebenso wie die Braunkohle-Kraftwerkskapazität auf jeweils 15 GW reduziert haben. Bis 2030 soll sie in gleichmäßigen jährlichen Schritten auf 8 GW bei der Steinkohle und 9 GW bei der Braunkohle sinken.

Allerdings ist das Kapitel zum Braunkohleausstieg bislang nur mit einer Überschrift versehen und noch nicht ausformuliert. Hier wartet das Ministerium möglicherweise noch auf das Ergebnis von Verhandlungen mit den Braunkohle-Kraftwerksbetreibern über einen Ausstiegsfahrplan.

Landesregierung in Niedersachsen fordert "Zukunftspakt"

Die niedersächsische Landesregierung hat derweil auf die Ankündigung zum Abbau von Arbeitsplätzen beim Deutschland-Marktführer in Sachen Windparkerrichtungen reagiert. Die ostfriesische Firma Enercon will 3.000 Stellen abbauen. Dies sei „eine sehr schlechte Nachricht für die betroffenen Menschen, eine sehr schlechte Nachricht für die betroffenen Regionen und eine sehr schlechte Nachricht für den Klimaschutz in Deutschland“, erklärte die Pressestelle der Landesregierung. Deutschland brauche nun einen „Zukunftspakt“ für die Rettung der Windkraftindustrie und des Windkraftausbaus in Deutschland. Ein solcher „Masterplan“ müsse beispielsweise die Erleichterung beim Repowering alter Windparks enthalten sowie den Abbau von Genehmigungshindernissen für neue Windparks. Die Landesregierung biete der Bundesregierung ihre Beratung zu den Möglichkeiten an, wie Vereinfachungen für Windparkprojektierungen mitsamt leichterer Genehmigungen sich umsetzen ließen.