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Sektorkopplung

Enercon stützt mit Schnellladestationen das Netz

Um die Langlebigkeit guter Ideen zu erklären, hat Enercon-CEO Hans-Dieter Kettwig zur „Fachkonferenz E-Mobilität“ im Energie-Erlebnis-Zentrum Aurich eine Anekdote aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrzehnts mitgebracht: Damals habe der Firmengründer Aloys Wobben fast ansatzlos den Strategen und Entwicklern im Unternehmen einen zum Elektro-Auto umgebauten Audi mitgebracht. Wobben habe verdeutlicht, „dass es geht“ und dass Elektroautos eine wichtige Herausforderung der erneuerbaren Energien bewältigen helfen können. Um die auf und abschwellende weil wetter- und witterungsabhängige Stromproduktion aus Sonne und Wind in Einklang mit dem ebenfalls wechselhaften Verbrauch zu bringen, sei Elektromobilität ein fast ideales Mittel. „Wenn jede Windenergieanlage eine Elektrotankstelle ist“, zitierte Kettwig die Stoßrichtung der Vision des Enercon-Gründers, könnten Stromautos überall dezentral und schnell die immer wieder auftretenden Stromüberschüsse abholen und in Einspeiseflauten durch das Zurückspeisen von gespeichertem Strom einspringen.

Insgeheim habe mancher Bürger und Wirtschaftsangehöriger der Region um Aurich oder anderswo in Deutschland die Idee Wobbens wahrscheinlich als „Spinnerei“ angesehen, veranschaulicht Kettwig die Pionierleistung des Firmengründers für das jetzt beworbene neue Enercon-Produkt. Aber ein im Verlauf der Zeit präsentiertes zweites Audi-Elektro-Modell später und nach weiteren Jahren der Entwicklung an einer sinnvollen Ladetechnik, könne Enercon jetzt reale Technologie für die benötigte Infrastruktur liefern, erklärte Kettwig den Teilnehmern der Tagung.

350-Kilowatt-Schnelltanken

Das Zusammentreffen von teils maßgeblich mit Herausforderungen der Elektromobilität befassten Personen von Netzbetreibern, Elektrotechnik-Unternehmen, Hochschulen, Stecker-Herstellern und dem als Eröffnungsredner angereisten niedersächsischen Energieminister Olaf Lies diente nämlich auch der Präsentation der „Weltpremiere des E-Charger 600“: So nahm Enercon am Mittwoch die erste der von dem Windturbinenhersteller entwickelten Ladestationen auf dem Parkplatz vor dem Energie-, Bildungs- und. Erlebnis-Zentrum (EEZ) in Betrieb.

Die mit bis zu 350 Kilowatt (kW) Ladeleistung ausgestatten Stromzapfsäulen enthalten weit mehr technologische Güter, als nur eine für heutige E-Mobility-Motoren ungewöhnlich hohe Tankkapazität. Sie sollen Autos für eine Fahrreichweite von 400 Kilometern binnen nur 10 bis 15 Minuten aufladen können – im Vergleich zu heute noch üblichen Ladezeiten von bestenfalls wenngleich keineswegs schon handelsüblichen 20 Minuten bis häufig über zwei Stunden und mehr.

Netzfreundlichkeit

EC_E-Charger 600_P3140440_c | Der Leiter der zuständigen Abteilung der Enercon-Entwicklung, Alfred Beekmann (links), erklärt die Technologie. - © ENERCON
EC_E-Charger 600_P3140440_c | Der Leiter der zuständigen Abteilung der Enercon-Entwicklung, Alfred Beekmann (links), erklärt die Technologie.

Das Besondere ist auch die netzfreundliche Einsetzbarkeit der Stromtankstellen. Enercon sieht eine Standardkonfiguration von vier Ladesäulen nebeneinander vor. Die Schaltmatrix kann den einzelnen Säulen abhängig von Ausstattung und Größe der einzelnen dort andockenden Autos beziehungsweise ihrer Batterien verschiedene Leistungen von 50, 100, 150 oder gar 350 kW zuordnen. Damit lassen sich bis zu vier Autos zeitgleich betanken und Zeiten für das Warten auf freie Tankstelen erübrigen. Die intelligente Steuerung regelt dabei, dass die Anlage die maximale Kapazität von 600 kW nicht überschreitet. Umrichter von Enercon sorgen zudem mit sogenannten Systemdienstleistungen dafür, dass das Netz weder Spannungsschwankungen noch Frequenzabweichungen durch die hohe Belastung beim Tanken erlebt. Die Umrichter speisen sogenannte Blindleistung ein oder aus, die als in den Leitungen mitschwirrende Elektrizität zwar keine Geräte antreiben kann, aber die Netzspannung hoch hält. Optional lässt sich der E-Charger zudem mit einem Vorladespeicher kombinieren, um das Netz bei mehreren parallel stattfindenden Schnellladungen zusätzlich zu entlasten. So verhindert Enercon, dass in Stoß-Ladezeiten das Netz vor der Nachfrage hoher Spitzenleistungen nicht kapitulieren muss, sondern dank des Puffers solchen Phasen standhält.

Dabei wird der E-Charger an Mittelspannungs- beziehungsweise Verteilnetzen angeschlossen werden müssen. Studien warnten zuletzt, mit bisheriger Ladetechnologie führten noch mehr Elektro-Autos in absehbarer Zeit möglicherweise zu einem Kollaps der Verteilnetze.

Enercon-Systemdienstleistungstechnologie kommt zum Einsatz

So verdeutlichte der Leiter Steuerungs-und Regelungstechnik bei Enercons Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft, Alfred Beekmann, dass Enercon nun genau die Technologie zum Einsatz bringe, die der Deutschlandmarktführer für seine Windturbinen immer mitentwickelt und mitgeliefert habe: Umrichter und Leistungselektronik, die für eine hohe Stromqualität mit sauberen Sinuskurven der eingespeisten Elektrizität sorgt, sowie netzstützende oder gar netzaufbauende Regelleistung liefert. Als weitere zukünftige Ausrüstungsziele zugunsten des Stromnetzes ließen sich die Stromtankstellen des E-Charger vielleicht sogar mit Fähigkeiten ausrüsten, wie der Einspeisung von Leistung in einem zusammengebrochenen Netz, um dieses wieder aufzubauen.

Die Enercon-Tanksäulen sind bereits für die nächste Generation von Autobatterien vorgesehen, wie Enercon-Sprecher Felix Rehwald verdeutlicht. Für Pkw mit deutlich größeren Kapazitäten als bisher, aber auch für Lieferwagen, Lastwagen und Busse mit bis zu eben 350 kW. Fahrzeuge mit diesen Schnelllade-Eigenschaften sind noch nicht am Markt erhältlich. Da die E-Charger Technologie abwärtskompatibel ist, lassen sich aber auch schon aktuelle E-Fahrzeuge laden – es dauert nur länger, da die Batterie die Geschwindigkeit vorgibt. Die Markteinführung erfolgt laut Enercon zügig: „Wir werden in den nächsten Wochen zunächst fünf weitere Kundenstandorte im Bundesgebiet mit weiteren E-Charger Prototypen ausrüsten“, betont Rehwald. 2018 wolle Enercon insgesamt 30 Einheiten ausliefern. Während offizielle Betreiberin der Ladesäule am EEZ die Auricher Stadtwerke sind, an denen Enercon beteiligt ist, wird die nächste Anlage beim Oldenburger Versorger EWE in Betrieb gehen.

Pulsladen

Technologischer Entwicklungspartner ist das in Achim bei Bremen beheimatete Elektrounternehmen Power Innovation Stromversorgungstechnik. Dessen Geschäftsführer Bernhard Böden verdeutlichte, wie die Anlagen mit sogenanntem Pulsladen die für Netz und Autoelektrik stressfreie Schnell-Beladung ermögliche. Immer wieder kurze Momente von Stromtanken mit Höchstleistung verhindere vereinfacht erklärt das Heißwerden von Material.

Der Netzplanungsexperte des Oldenburger Versorgers und Netzbetreibers EWE, Enno Wieben, machte das hohe Interesse an der Partnerschaft für die Enercon-Ladestation deutlich: Er verglich die Ladestationen mit den sogenannten regelbaren Ortsnetztransformatoren, die eine Feinregelung des Energiemanagements – also der besseren Ausregelung von Einspeisung und Verbrauch – in Verteilnetzen ermöglichen.  

Ökologische Bilanz

Ab wann Elektromobilität eine ökologisch und zugleich wirtschaftliche Wirkung entfalten kann, hat die Hochschule Clausthal-Zellfeld in einer Studie analysiert. Deren Professor Hans-Peter Beck erläuterte, ab wann der ökologische Fußabdruck von Elektromobilität spürbar sinken wird im Vergleich zu konventionell mit fossilen Brennstoffen betriebenen Autos. Demnach werden effiziente neue Autos mit verbesserten Verbrennungsmotoren trotz fossiler Brennstoffe im Tank immer noch ökologischer betrieben, als heutige Elektroautos. Denn die ökologischen Kosten der Batterieproduktion sind so hoch, dass sie die Vorzüge der höheren Effizienz von Elektroautos mehr als aufwiegeln. Gerechnet hat die Universität das allerdings für den Fall, dass die Elektroautos nicht mit Ökostrom, sondern mit deutschem Graustrom bei einem Grünstromanteil von einem Drittel betrieben wird. Mit Speicher versehen sowie mit Ökostrom versorgt allerdings gewinnt das E-Mobil schnell einen deutlichen Vorsprung.

Laut Enercon-Sprecher Rehwald will Enercon die Ladepunkte für zunächst 50.000 Euro pro Stück verkaufen – der Wettbewerb verlange für vergleichbare Ladesäulengrößen 70.000 bis 80.000 Euro. Das Gesamtpacket von vier Ladepunkten mit Container, aber noch ohne Speicher solle rund 225.000 Euro kosten. Enercon bietet im Vertrieb auch eine Kombination an, in der sich der Verkauf der Säulen mit einer Ökostromlieferung durch die Enercon-Strom-Tochtergesellschaft verbinden lässt.

(Tilman Weber)