Open ADR motiviert und informiert Verbraucher, wenn es zum Beispiel um niedrige oder negative Strompreise geht.
Rolf Bienert von der Open ADR Alliance über smarte Kommunikation mit Verbrauchern – und Lehren aus kalifornischen Stromausfällen.
Nicole Weinhold
Rolf Bienert, Experte für Smart-Grid-Kommunikationsstandards, verfügt über langjährige Erfahrung in den USA, wo Open ADR bereits seit zwei Jahrzehnten etabliert ist. Er engagiert sich in der Open ADR Alliance für die Verbreitung offener Standards in der Energiewirtschaft.
Was verbirgt sich hinter offenen Kommunikationsstandards wie Open ADR?
Rolf Bienert: Standards begegnen uns überall im Alltag – bei Schrauben genauso wie bei Bluetooth oder WLAN. Sie ermöglichen, dass verschiedene Systeme miteinander kommunizieren können. Im Smart Grid wird das besonders wichtig: Energieversorger nutzen seit Jahren Standards für den Datenaustausch zwischen Netzwerken. Jetzt geht es darum, diese Kommunikation auf die Kundenseite auszuweiten – von Maschine zu Maschine. Wenn wir Massenprodukte in Haushalten, Geschäften oder Industrieanlagen einbinden wollen, brauchen wir skalierbare Standards.
Wie kam es zur Entwicklung von Open ADR?
Rolf Bienert: Die Anfänge liegen in Kalifornien vor rund 20 Jahren. Als ich aus Deutschland in die USA zog, erlebte ich im Silicon Valley plötzlich einen Stromausfall – für mich damals völlig überraschend. Der Energieversorger musste ganze Ortschaften abschalten, weil die Kapazitäten nicht ausreichten. Zuvor hatte man versucht, Großverbraucher per Telefonanruf oder Pager zu kontaktieren – viel zu langsam und ineffizient. Der Gesetzgeber reagierte und stellte Mittel bereit, um einen Standard zu entwickeln. Das Ziel: Der Energieversorger sollte Kunden einfache Signale schicken können – keine Abschaltbefehle, sondern Anfragen zur freiwilligen Energieeinsparung. Thermostate, Bürogebäude und mittelständische Betriebe konnten so zur Lastspitzenreduktion beitragen, ohne dass ganze Stadtteile vom Netz gingen.
Welche Rolle spielte Japan?
Rolf Bienert: Nach dem Fukushima-Unglück 2011 stand Japan vor massiven Kapazitätsproblemen. Die Regierung handelte schnell und erkannte: Wir brauchen Flexibilität im Netz. Open ADR war ideal, weil der Standard dem Kunden Autonomie lässt. Es geht nicht um direkte Abschaltungen, sondern um Empfehlungen und Anreize – der Kunde entscheidet selbst.
Der Versorger im Silicon Valley musste ganze Ortschaften abschalten, weil die Kapazitäten nicht reichten.
Foto: OpenADR
Was können wir von Bluetooth lernen?
Rolf Bienert: Zunächst passt der Vergleich mit dem Hausbau gut: Während bei einem Brückenprojekt Spezialanfertigungen Sinn machen, würde jedes Haus unbezahlbar, wenn wir nicht standardisierte Materialien verwenden würden. Bei Bluetooth erkannten die ersten Hersteller Ende der 90er-Jahre: Selbst mit 100 Prozent Marktanteil in einer proprietären Nische ist der Kuchen kleiner, als wenn man mit zwei bis drei Prozent am globalen Standardmarkt teilhat. Hinzu kommt die Kundenerfahrung: Niemand will ein Headset, das nur mit einem bestimmten Telefon funktioniert.
Welche Verantwortung tragen Versorger?
Rolf Bienert: Zunächst müssen sie überhaupt bereit sein, direkt mit Kunden zu kommunizieren. Das wirft neue Fragen auf: rechtliche Aspekte, Programmgestaltung, Kundenanreize. Viele Energieversorger arbeiten traditionell mit festen Zulieferern, die eigene oder leicht modifizierte Standards nutzen. Das führt zu Abhängigkeiten. Besser ist es, an mindestens einer Schnittstelle offene Standards einzusetzen. Dann können verschiedene Hersteller koexistieren, neue können hinzukommen, und der Energieversorger muss nicht bei jedem Wechsel neu entwickeln. Statt immer mehr Spitzenlastkraftwerke zu bauen, macht es mehr Sinn, Lastspitzen abzuflachen und die wachsende Solarstromeinspeisung intelligent auszugleichen.
Wie funktioniert Open ADR konkret?
Rolf Bienert: Anders als bei Kraftwerken oder Transformatoren, die direkt gesteuert werden müssen, gehören die Endgeräte beim Kunden diesem selbst – die Wärmepumpe, das Elektroauto, das Ladegerät. Niemand möchte, dass der Energieversorger einfach das Ladegerät ausschaltet und das Auto am nächsten Morgen nicht geladen ist.
Open ADR motiviert und informiert stattdessen. Ein gutes Beispiel sind dynamische Strompreise, die sich über den Tag ändern. Das lokale System – Solaranlage, Ladestation oder Gebäudemanagementsystem – kann diese Preissignale empfangen und die Geräte entsprechend steuern. Bei hohen Preisen wird gespart oder sogar ins Netz eingespeist. Bei niedrigen oder negativen Preisen werden Batterien geladen oder das Haus vorgeheizt.
Tipp: Erfahren Sie mehr zu diesem Thema in unserem Podcast „Was jetzt passieren muss“, Folge 13
Was bringt das dem Verbraucher?
Rolf Bienert: Vor allem Kostenersparnis, aber nicht nur. Der Kunde kann auch CO₂-Einsparungen priorisieren. Wichtig ist: Open ADR zielt nicht auf Effizienz im klassischen Sinne – also dass Geräte weniger Strom verbrauchen. Es geht um intelligente Lastverteilung. Durch Solar, Batterie und smarte Steuerung wird die Verbrauchskurve geglättet. Das erleichtert es Energieversorgern, erneuerbare Energien einzusetzen, und reduziert den Bedarf an Gas- oder Kohleturbinen für Spitzenlasten.
In den USA bieten Autohersteller bereits an, Ladesignale direkt ans Fahrzeug weiterzugeben. Solange das Auto morgens geladen ist, ist es dem Kunden meist egal, ob um 18 oder 23 Uhr geladen wird. Dafür bekommt er günstigere Tarife.
Wie sehen Sie die Zukunft?
Rolf Bienert: In den letzten zwei bis drei Jahren kommen immer mehr Bereiche an Bord. Gebäudestandards wie Matter ermöglichen bessere Hausautomatisierung. Entscheidend ist die Integration: Hersteller von Automatisierungssystemen akzeptieren zunehmend, dass sie Signale vom Energieversorger empfangen können. Für den Kunden muss es einfach sein – „set it and forget it“, wie wir in den USA sagen. Einmal einstellen, dann läuft es automatisch. Stromverbrauch ist eben nicht so spannend wie Social Media – niemand will alle paar Minuten nachschauen. Aber wenn die Ersparnis sichtbar wird, funktioniert es. In Europa sehen wir großes Interesse: England testet bereits mehrere Open-ADR-Projekte, die Niederlande sind aktiv, weitere Länder prüfen die Einführung. Das passt perfekt zur dezentralen Stromerzeugung.
Ist Deutschlands Rückstand beim Smart-Meter-Rollout ein Problem?
Rolf Bienert: Nicht zwingend. Für Open ADR braucht man nicht unbedingt Smart Meter – die Kommunikation läuft übers Internet. Smart Meter sind aber ein wertvolles Werkzeug, um zu sehen, was in einem Gebäude passiert. Der Energieversorger kann messen, welche Maßnahmen tatsächlich Einsparungen bringen, und Kunden entsprechend vergüten. In den USA wurde das intensiv genutzt, um herauszufinden, was funktioniert. Aber sie sind keine Bedingung für Open ADR.
Wo können Interessierte mehr erfahren?
Rolf Bienert: Die Open ADR Alliance ist auf vielen Fachmessen vertreten. Mitte November waren wir auf der Enlit in Bilbao, einer der größten europäischen Energiemessen. Auch die Leitmesse Smarter E in München wird immer wichtiger für die Branche. Energieversorger und alle Interessierten sind herzlich eingeladen, 2026 an unserem Stand vorbeizukommen.
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