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Interview mit der BEE-Präsidentin

Simone Peter: 50 Prozent weniger Kohle bis 2030 reichen nicht!

Herr Altmaier hat angekündigt, die Kohlekraftwerkskapazität bis 2030 halbieren zu wollen. Kommt jetzt also der Kohleausstieg?

Simone Peter: Mit grüner Beteiligung war die Diskussion um den Kohleausstieg mit Sicherheit beherzter. Wir kommen um einen ambitionierten Kohleausstieg, der nach den Klimazielen ausgerichtet ist, nicht herum. Er muss planbar und sozial ausgewogen organisiert werden. Gerade als großes Industrieland müssen wir vorangehen. Deswegen reicht es bei weitem nicht aus, nur 50 Prozent der Kohlekraftwerkskapazität bis 2030 stillzulegen. Wir brauchen mehr, um die Dekarbonisierung unserer Energieversorgung bis zur Hälfte des Jahrhunderts zu 100 Prozent zu schaffen. Wir brauchen einen Ausstiegspfad, der klar macht, dass ein Energiewendeland kein Kohleland sein kann.

Wer ist größter Bremser beim Ausbau der Energiewende?

Es gibt noch immer starke Interessen vonseiten der konventionellen Energiewirtschaft in den Regionen, in denen Braunkohletagebau stattfindet. Obwohl der Abschied vom Kohlenbergbau seit Jahrzehnten schleichend stattfindet, halte ich es für besser, ihn aktiv zu gestalten als ihn einfach geschehen zu lassen. Man muss  die Regionen weiterentwickeln. Vor Ort sorgen bereits heute viele Akteure dafür, dass solche Regionen auch technologische Innovationen anstoßen, die klimafreundlich sind und die Menschen mitnehmen. Die müssen wir stützen.

Was versprechen Sie sich von Ihrer Arbeit als Präsidentin des BEE?

Wir wollen die Erneuerbaren weiter voranbringen. Der BEE hat sich immer dafür  eingesetzt, die CO2-arme Energieversorgung mit den ökonomischen Chancen zusammenzudenken. Da sind wir im Strombereich ein ganzes Stück weiter, aber auch da darf es nicht zu Brüchen kommen. Und im Wärme- und Verkehrssektor steht die Wende erst noch bevor. Zudem müssen wir die intelligente Kopplung der Sektoren und die Entwicklung von Speichern mitdenken. Dann müssen auch weniger Netze neu gebaut werden. In den vergangenen Jahren sind 340.000 Arbeitsplätze, regionale Wertschöpfung und viel technologisches Know-how entstanden. Daran wollen wir als starker Verband weiterarbeiten und mit der Energiewende die ökologische und soziale Modernisierung des Landes voranbringen.

Warum ist Deutschland eigentlich so gut beim sauberen Strom und so schlecht, was Verkehr und Wärme anbelangt? Ihr Parteikollege Jürgen Trittin hatte ja als Umweltminister Anfang der 2000er viel angestoßen.

Das stimmt, es war vor 20 Jahren enorm wichtig, das EEG zu etablieren und den Ausbau der Erneuerbaren Energien im Stromsektor voranzutreiben. Es gab damals aber auch ein sehr ambitioniertes Marktanreizprogramm für den Wärmesektor, was leider durch die Hüh-und-hott-Politik folgender Regierungen immer wieder konterkariert wurde. Es fehlt bis heute eine konsistente Strategie für die Wärmewende. Das Gebäudeenergiegesetz liegt nach wie vor auf Eis. Und die Energieeinsparverordnung wurde im Koalitionsvertrag auf dem aktuellen Niveau festgeschrieben – das reicht nicht für die Umsetzung des Klimaschutzplans 2050. Verstetigt wurde hingegen die Förderung rein fossil betriebener Heizungen. Das hat mit Klimaschutzpolitik nichts zu tun. Ebenso wenig die Verkehrspolitik, die sich nach den Interessen der Automobilindustrie und damit  nach großen und emissionsschweren Autos ausrichtet, statt alle Verkehrsteilnehmer mitzunehmen und den Standort zukunftsfähig mit CO2-freien Fahrzeugen auszubauen.

Hätte man von Nachbarn lernen können?

Teilweise schon. Im Strombereich waren wir mit dem EEG vor 20 Jahren Avantgarde. Es wurde in vielen Ländern kopiert. Wir sind jetzt in Deutschland bei einem Anteil von 36 % Ökostrom im Netz, stark gesunkenen Kosten und einer großen Akteursvielfalt, die die Energieversorgung weiter liberalisierte und vor allem demokratisierte. Da hat sich die Einspeisevergütung gegenüber  Ausschreibungsmodellen bewährt. Es gibt so viele Energieanbieter wie nie – von den Bürgern über die Genossenschaften bis hin zu den Stadtwerken und großen EVUs. Bei Wärme und Verkehr hinken wir anderen aber hinterher. Beim Berlin Energy Transition Dialogue (https://www.energiewende2018.com/) haben viele Länder ihre Erfolge präsentiert: zum Beispiel Schweden den Erfolg der CO2-Steuer. Davon können wir lernen. Und auch im Verkehrssektor müssen wir aufholen: Batteriezellen sollten auch in Europa produziert und leichte Karosserien und intelligente Technik für die Elektromobilität an unseren Standorten.

Stichwort EEG: Die feste Einspeisevergütung ist ferne Erinnerung, die Auktionen sind Normalität. Zufrieden?

Ich habe die Einspeisevergütung stets favorisiert, weil sie kommunale Wertschöpfung, Arbeitsplätze, Vielfalt der Akteure und Preissenkung mit sich gebracht hat. Angesichts der steigenden EEG-Umlage und der europäischen Vorgaben hat man sich dann für Ausschreibungen entschieden. Jetzt müssen wir damit umgehen. Ich hoffe, dass die Akteursvielfalt durch kommende Ausschreibungen nicht weiter eingeschränkt wird und die Mengen wieder erhöht werden, um keinen wirtschaftlichen Fadenriss zu riskieren. Die im Koalitionsvertrag angekündigten Sonderausschreibungen müssen rasch kommen und der Ausbau den Klimazielen angepasst werden. Denn die Deckel und Bremsen im EEG verhindern, dass die Energiewende dynamisch fortschreitet.

Und dass nicht nur einige Bevölkerungsteile profitieren?

Genau. Bürgerenergie ist das Stichwort. Meine Erfahrung als Energieministerin im Saarland war, dass Anlagen mit Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten über kommunale Anbieter oder Energiegenossenschaften oft ohne Einwendungen realisiert werden konnten.

Haben die sinkenden Kosten durch Ausschreibungen zu mehr Zustimmung geführt?

Die Ausschreibungen haben dazu beigetragen, die Kosten noch einmal deutlich zu senken. Die Erneuerbaren sind jetzt wettbewerbsfähig gegenüber neuen fossilen Anlagen. Aber man muss immer wieder prüfen, ob alle Akteure mitbieten können. Die Erfahrungen in anderen Ländern haben schon vor Jahren gezeigt, dass vor allem große Akteure profitieren. Und wenn hier bei uns für Offshore-Windanlagen null Cent geboten werden, dann können das nur große Unternehmen. Wir brauchen die Offshore-Windkraftanlagen, aber eben auch die kleineren Bürgerprojekte mit Solar-, Wind- oder Bioenergie. Gerade hier stoßen wir aber auf wachsende Probleme bei der Flächenausweisung und dem Artenschutz. Ich bedauere, dass Artenschutz und Klimaschutz häufig gegeneinander gestellt werden, obwohl es zwei Seiten derselben Medaille sind.

Was meinen Sie?

Mir sagen gerade die Windanlagen-Betreiber, dass Genehmigungen zu lange dauern, um die Vorhaben zu realisieren, auch wegen der Prüfung von Artenschutzbelangen. Da wünsche ich mir einen fairen Interessenausgleich. Wenn wir zum einen das Ziel von 65 Prozent Erneuerbaren Energien im Strom bis 2030 realisieren wollen und zum anderen die Klimaschutzziele erreichen, dann brauchen wir die Flächen und die Akzeptanz. Hier wünsche ich mir auch mehr Engagement der Bundesregierung. Das gilt übrigens auch für Repowering oder den Weiterbetrieb der Anlagen, die ab 2020 aus der EEG-Vergütung fallen.

Das Gespräch führte Nicole Weinhold