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Reform des EEG

Brüderle im Abseits

Eine seltsame Lesart liberaler Tradition präsentierte Rainer Brüderle vergangene Woche, als der Fraktionschef der FDP das Verbot neuer Photovoltaikgeneratoren forderte. Euphemisch als kurzfristiges Moratorium getarnt, will Brüderle den Zubau der Photovoltaik endgültig stoppen. In einem Interview machte er seine Forderung auf, obwohl die Ministerpräsidenten der Bundesländer nur Stunden vorher den zügigen Ausbau der erneuerbaren Energien gefordert hatten. Schon Parteichef Philipp Rösler (FDP) hatte sich mit Querschüssen gegen die Solarbranche an den Rand der politischen Debatte katapultiert. Nun wackelt Röslers Stuhl, weil die Umfragewerte der Liberalen ungebremst in den Keller rauschen. Brüderles Versuch, ihn zu beerben, scheint den Untergang zu beschleunigen. In jüngsten Umfragen rutschten die Liberalen auf drei Prozent ab. Kein Wunder: Wirklich freiheitliche Politik betreiben in Deutschland mittlerweile andere Kräfte, beispielsweise die Länderfürsten. Über Parteigrenzen hinweg haben sie den Ausbau der erneuerbaren Energien zum Ziel erhoben. Denn nur auf diese Weise lassen sich erschwingliche Energiepreise und der Wohlstand in Deutschland sichern. Bürgerliche Freiheit und erneuerbare Energien lassen sich nicht mehr trennen.

Wunschdenken einiger Parteifunktionäre

Sogar Gegner des Solarstroms haben erkannt, dass die Realität nicht unbedingt dem Wunschdenken einiger Parteifunktionäre folgt. So belegen die jüngsten Zahlen des Bundesverbandes der Energieerzeuger (BDEW), dass die Solaranlagen bundesweit in den ersten neun Monaten des Jahres 2012 rund 50 Prozent mehr Strom produzierten als im Vorjahr. Schon sechs Prozent des deutschen Stroms stammt aus Photovoltaik (Windkraft: 8,6 Prozent, Biomasse: 5,8 Prozent). Insgesamt erzeugten die Solargeneratoren 24,9 Milliarden Kilowattstunden, gegenüber 16,5 Milliarden im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Die erneuerbaren Energien deckten in den ersten neun Monaten des Jahres rund 26 Prozent des deutschen Strombedarfs ab. Trotz einer demagogischen Kampagne gegen den Grünstrom steht die Mehrheit der Deutschen weiter hinter der ökologischen Energiewende. Mitte vergangener Woche überreichten Aktivisten von Campact und Vertreter des B.U.N.D. in Berlin mehr als 85.000 Unterschriften für eine faire EEG-Umlage und gegen das Ausbremsen der Energiewende. Unter dem Motto „Energiewende beschleunigen und fair gestalten“ demonstrierten die Anhänger der erneuerbaren Energien vor dem Bundeskanzleramt.

Entscheidendes Thema zur Bundestagswahl

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) empfing die Gesandten persönlich, um die Unterschriften entgegenzunehmen. „Photovoltaik ist jetzt schon billiger als vor fünf Jahren“, sagte er in einer Rede. „In den kommenden fünf Jahren wird sie komplett ohne Subventionen auskommen.“ Die Demonstranten skandierten „Ökostrom statt Kohle und Atom“. Auf ihren Schildern forderten sie, die „Energiewende nicht kentern zu lassen“. B.U.N.D.-Vorsitzender Hubert Weiger forderte den Schulterschluss von ökologischen und sozialen Bewegungen, unterstützt von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Damit ist die Energiewende auf dem besten Weg, das entscheidende Thema für die Bundestagswahl im nächsten Herbst zu werden. Dieser Trend hatte sich bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen angekündigt, als Altmaiers glückloser Vorgänger Norbert Röttgen (CDU) kläglich scheiterte. Nun war Altmaier der Erste, der Brüderles leicht durchschaubares Manöver abkanzelte: „Bundestag und Bundesrat haben erst vor wenigen Wochen die Förderung von Solaranlagen mit den Stimmen aller Fraktionen umfassend neu geregelt“, wies er den FDP-Funktionär in die Schranken. „Diese Reform beginnt gerade zu wirken, deshalb wäre es falsch, sie schon wieder infrage zu stellen.“ Altmaier wusste sich der Rückendeckung durch seine Chefin sicher. In der vergangenen Woche hatte die Regierung unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf dem Berliner Energiegipfel bekräftigt, die erneuerbaren Energien auszubauen. Das war nur zwei Tage nach Brüderles Aussetzer, diese Terminierung kann natürlich Zufall sein.

Der Snobismus der Liberalen

„Der Öko-Snobismus durch die Subvention in der Solarindustrie muss dringend beendet werden“, hatte Rainer Brüderle in seinem Interview mit der „Rheinischen Post“ argumentiert. Dabei bemühte er Vergütungssätze, wie sie vor drei Jahren galten. Doch immer mehr Bundesbürger durchschauen diese Lügen. Sie sind der Auffassung, dass es der pseudoliberale Snobismus der Freidemokraten ist, der beendet werden sollte. Die Umfragewerte der Partei haben alle historische Tiefstände gerissen. Nun steht der Fortbestand der christlich-liberalen Koalition auf der Kippe – zumindest beim Urnengang im kommenden Jahr. In der FDP beginnt der Überlebenskampf. Fliegt die Partei aus dem Bundestag, sind nicht nur die Karrieren von Rainer Brüderle und Philipp Rösler bedroht. Auf einer Podiumsdiskussion in Hamburg distanzierte sich Michael Kauch, der umweltpolitische Sprecher der Liberalen, von seinem Fraktionschef. Kauch ist der Freundschaft mit der Solarbranche unverdächtig, hat er doch die Solarförderung jahrelang mit der Inbrunst eines Hexenjägers bekämpft. Kauch ließ durchblicken, dass man Brüderles Forderung nicht ernst nehmen dürfe. „Das war politisch nicht autorisiert“, sagte er und versicherte beflissen, den Einspeisevorrang für die erneuerbaren Energien erhalten zu wollen.

Keine Alternative zu den Erneuerbaren

Dass den Freidemokraten die Felle davonschwimmen, zeigt auch die Äußerung von Hans-Olaf Henkel auf der Hamburger Podiumsdiskussion. „Es gibt keine Alternative zu den erneuerbaren Energien“, sagte Henkel, jahrelang Vorsitzender des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und ein Verfechter liberaler Grundwerte, freilich in gänzlich anderer Auslegung als Rainer Brüderle. Henkel regte an, das EEG mittelfristig nicht nur zu reformieren, sondern neu zu fassen, um der Energiewende für die nächsten Jahre eine klare Linie vorzugeben. (Heiko Schwarzburger)