Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Windjobs

Altmaier gegen die Länder im Ringen um das Überleben der Windbranche

Nicole Weinhold

"Es geht aber nicht allein um Enercon. In den vergangenen drei Jahren sind in der deutschen Windindustrie mehr als 40.000 Arbeitsplätze abgebaut worden – das sind doppelt so viele, als es insgesamt Arbeitsplätze in der Braunkohleindustrie gibt. In den vergangenen beiden Jahren ist der Markt für Windräder im Grunde genommen zusammengebrochen", das erklärte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gerade in einer Regierungserklärung.

Die Windbranche ist durch eine gegen die Windkraft gewandte Bundespolitik in eine schwere Krise geraten. Der größte deutsche Windturbinenhersteller Enercon hat als Folge des Stillstands in Deutschland bereits angekündigt, sich von Zulieferer verabschieden zu müssen. Die Rede ist von rund 3.000 Arbeitsplätze, die in Aurich und Magdeburg jeweils zur Hälfte wegfallen. Niedersachsen mit dem strukturschwachen Ostfriesland ist also massiv betroffen. Aber längst haben auch andere Regionen unter den Arbeitsplatzverlusten zu leiden: Seit Jahren wird in der Branche Personal abgebaut. Allein 2017, dem letzten bislang statistisch erfassten Jahr, sind knapp 26.000 Arbeitsplätze in der Windenergiebranche verschwunden. 2018 sollen es laut IG Metall 10.000 gewesen sein.

Weiter in der Schwebe stehen derzeit die Arbeitsplätze bei Senvion. Der insolvente Hersteller Senvion ist derzeit in Verhandlungen mit potenziellen Käufern. Lange hatten sich diese schwierig gestaltet, nun hat Siemens-Gamesa Interesse bekundet. Wie viele der 900 Arbeitsplätze erhalten werden können, ist aber weiterhin nicht sicher. Vestas, dänischer Weltmarktführer für Windkraftanlagen, hatte im September angekündigt, in seinem Werk in der Lausitz, in Lauchhammer, 500 Arbeitsplätze zu streichen. Damit reagiert der Konzern auf die gesunkene Nachfrage.

Die Landesregierung in Niedersachsen bricht nun verbal die Lanze für den weiteren Ausbau der Windkraft in Niedersachsen: "Wir sind uns in der Landesregierung einig, dass wir die 1.000m-Abstandsregel in Niedersachsen nicht übernehmen. Wir werden von der vorgesehenen Öffnungsklausel für unser Land Gebrauch machen und erarbeiten derzeit eine für Niedersachen angemessene Lösung, mit der ein Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist und die der Windenergie weiterhin eine faire Chance gibt", so Weil in seiner Regierungserklärung. Zuvor hatte sich Niedersachsen allerdings enthalten, als Schleswig-Holstein die anderen Bundesländer dazu aufforderte, hier die Windkraft zu unterstützen. Inzwischen haben sich aber die Umweltminister aller Bundesländer bis auf Bayern gegen die 1.000 Abstandsregel ausgesprochen.

Auf jeden Fall kann Weil deutlich besser rechnen als Altmaier. "Um das 65-Prozent-Ziel zu erreichen, ist ein gesetzlicher Zubaupfad von fünf Gigawatt pro Jahr notwendig." Denn der Bundeswirtschaftsminister sagt, man könne das auch mit 1.000 Meter Abstand und einem Ausbaupfad von 1.500 MW jährlich schaffen.

Weil stellte eine Liste von erforderlichen Maßnahmen vor, um der Energiewende auf die Beine zu helfen: "Wir brauchen einen Neustart der Energiewende und wir brauchen dafür auch den notwendigen politischen Willen. Das gilt vor Ort in den Kommunen und bei uns auf der Landesebene. Das gilt aber vor allem auch auf der Bundesebene."

Folgende Maßnahmen sind laut Weil notwendig:

1. Um das 65 %-Ziel zu erreichen, ist ein gesetzlicher Zubaupfad von 5 Gigawatt pro Jahr notwendig. Es muss geklärt werden, wann genau welche Ausschreibungsmengen für Offshore-Wind vorgesehen sind. Bilanziell müssten diese Mengen deutlich höher als bisher ausfallen, wenn wir die bundesweiten Ziele erreichen wollen.

2. Gerade deswegen benötigen wir zusätzliche Sonderausschreibungen für 2020 und 2021. Wie ich bereits sagte, ist eine bis 2021 anhaltende Flaute bereits jetzt fast unumgänglich. Soll in dem verbleibenden Zeitraum bis 2030 das Ziel tatsächlich erreicht werden, wird dieser Rückstand aufzuholen sein, daran führt kein Weg herum.

3. „Bürgerwindparks“ könnend dabei helfen, sie müssen aber auch tatsächlich realisierbar sein. Deswegen kann für sie eine sog. De-minimis-Regel die richtige Lösung sein, um einen allgemeinen Ausbau nicht aufzuhalten.

4. Besonders wichtig: An den Standorten der alten Windräder muss eine Modernisierung unter erleichterten Bedingungen möglich sein. Nicht mehr der Standort als solcher darf Gegenstand eines umständlichen neuen Planverfahrens sein, stattdessen muss sich die Prüfung auf neue Gesichtspunkte beschränken, wie z.B. die Höhe der Windräder.

5. Konkrete Anreize sind notwendig, um den regionalen Zubau von Windenergie auch in Süddeutschland sicherzustellen. Wir freuen uns, dass wir in Niedersachen das Windenergieland Nummer 1 sind und wollen das auch bleiben. Um die Gesamtziele zu erreichen, muss die Windenergie aber auch in allen anderen Teilen Deutschlands vorangetrieben werden.

6. Die tatsächlich vorhandenen Flächenpotentiale müssen auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Es ist völlig klar, Windräder können nicht überall stehen. Aber Mindestabstände beispielsweise für die Belange der Flugsicherung und die militärische Nutzung müssen technisch und rechtlich hergeleitet werden.

7. Für den Windenergieausbau vor Ort muss es mehr Anreize geben. Ob dafür der Hebesatz bei der Grundsteuer das richtige Instrument ist, wie es die Bundesregierung derzeit vorsieht, ist durchaus zweifelhaft. Besser wäre ein System von Konzessionsabgaben, wie es die Energiewirtschaft bereits in einem anderen System kennt oder ein direkter finanzieller Nutzen der Nachbarn von Windparks zum Beispiel durch vergünstigte Grünstromtarife.

8. Wir müssen den Netzausbau optimieren. Da machen wir in Niedersachsen große Fortschritte und erledigen systematisch unsere Hausaufgaben. Eine konsequente Digitalisierung der Netze würde die Durchleitungskapazitäten noch einmal drastisch erhöhen und damit auch das Argument widerlegen, der erneuerbare Strom können gar nicht genutzt werden.

9. Wir müssen auch das Verhältnis von Klimaschutz und Artenschutz klären. Derzeit sind Aspekte des Artenschutzes mit deutlichem Abstand der häufigste Klagegrund. Artenschutz ist ganz gewiss ein besonders wichtiger Aspekt, der Klimaschutz aber nicht minder. In dieser Hinsicht brauchen wir eine Klärung für die künftigen Verfahren im Bundesnaturschutzgesetz. Auch in Niedersachsen werden wir in dieser Hinsicht den Dialog mit den Naturschutzverbänden suchen.

10. Last but not least: Die Genehmigungsverfahren müssen beschleunigt werden. Das gilt weiß Gott nicht nur für die Windenergie, sondern ist ein grundsätzliches Problem bei beinah allen Infrastrukturvorhaben. Da geht es um die aufschiebende Wirkung von Klagen und Widersprüchen, um den Instanzenweg bei emissionsschutzrechtlichen Vorhaben und vieles andere mehr. Bürgerbeteiligung und Rechtsschutz sind existenzielle Bestandteile unseres Rechtsstaates. Das gilt aber auch für andere Rechtsstaaten, wie etwa die Niederlande oder Dänemark. Wir müssen schneller werden, nicht nur, aber auch bei den Genehmigungsverfahren für Windparks.