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Kritik an einem Roman um Windkraft

Turbulenzen in Unterleuten

Juli Zeh ist keine Unbekannte in der deutschen Literatur: Sie gehörte um 2000 zum „Fräuleinwunder“, einer Generation junger Autorinnen, die frischen Wind in die arg trockene deutschsprachige Erzählkunst bringen wollten. Heute, anderthalb Jahrzehnte später, hat Zeh 20 Bücher vorgelegt, darunter Essays, Romane und auch ein bisschen Juristerei – ist doch Zeh mittlerweile auch noch eine promovierte Juristin.

Ihr letzter Roman, „Unterleuten“, 2016 bei Luchterhand erschienen, ist wohl ihr erfolgreichstes Buch. Erzählt werden die Auseinandersetzungen in einem fiktiven brandenburgischen Dorf, in dem alte Feindschaften noch aus DDR-Zeiten neu ausgetragen werden. Anlass ist ein Windpark, der auf dem Gemeindegebiet geplant wird.

Der informelle Ortskönig Gombrowski sieht in dem Windpark die Chance, seine defizitäre Ökoagrar GmbH zu sanieren, die aus der vormaligen LPG hervorgegangen ist. Clou ist, dass Gombrowski der Sohn des seinerzeit enteigneten Großgrundbesitzers ist. Gombrowski ist es gelungen, sich an allen Parteikadern vorbei an die Spitze der LPG zu setzen und sie in die neue BRD zu transferieren. Sein kommunistischer Gegenspieler Kron ist mittlerweile kaltgestellt. Als er aber von dem Windparkprojekt hört, vermutet er Gombrowski als Strippenzieher und will ihm partout die Rechnung vermiesen. Der Windpark soll verhindert werden. Mit von der Partie: ein gescheiterter Soziologe, der nun als Vogelschützer Sinn auf dem Land und im Leben sucht, eine Bereiterin, die gleichfalls nach Unterleuten gezogen ist, um dort einen Pferdehof aufzumachen, und ein Dorfbürgermeister, der gern Geld ins Dorf bringen will.

Der Roman bietet also so ziemlich alles, was man von einem Dorfroman mit Spielort Brandenburg erwartet: Querelen mit Vergangenheit und Zoff um die Windenergie in der Gegenwart.

Aber so klischeehaft der Zoff im Dorf angelegt ist, so merkwürdig falsch wird das Windparkprojekt im Roman beschrieben: Mindestens zehn zusammenhängende Hektar müsse ein Grundstück haben, damit darauf ein Windpark gebaut werden könne, so angeblich das Gesetz. Das Eignungsgebiet umfasst nur 18 Hektar. Für die geplanten zehn Anlagen der 1,5 MW-Klasse wären aber mindestens 35 Hektar notwendig, die keineswegs nur einem Eigentümer gehören oder in einem Grundstück zusammengefasst sein müssen. Der Wind weht in Unterleuten aus Südost statt aus Südwest, wie sonst in Brandenburg. Und das jährliche Gewerbesteueraufkommen wird mit 220 Tausend Euro deutlich zu hoch angesetzt. Dass sich das Planungsunternehmen mit den Grundstückseigentümern erst gar nicht unterhält und stattdessen laut die Pachten, die gezahlt werden, herumposaunt, ist mindestens unklug, wenn nicht unprofessionell. Das ganze Planungsverfahren wird wie von oben verordnet beschrieben.

Trotz der klischeehaften Darstellung oder gerade wegen dieser Fehler kommt der Roman, der im Frühjahr erschienen ist, beim Publikum gut an. Die Auflage soll die Marke von 150.000 überschritten haben, schreibt der Spiegel. „Unterleuten“ ist also ein Bestseller.

Das macht aber seine Irrtümer und Fehler noch verhängnisvoller, denn der Verlag wirbt mit einem Gesellschaftsroman, der die wichtigen Fragen unserer Zeit verhandele. Wenn das bedeutet, dass sie in der Sache falsch beschrieben werden, dann ist vor diesem Roman zu warnen. Gerade auch, weil seine Autorin in einem Interview sich gegen die Windenergie ausgesprochen habe. Sie sei nämlich den Leuten vor Ort nicht zu vermitteln. Wenn das so versucht wird, wie in „Unterleuten“, kann einen das nicht wundern.

Juli Zeh: Unterleuten. Roman. Luchterhand, München 2016. 640 Seiten. Euro 24,99 (als E-Book Euro 19,99).

Von Walter Delabar, Berlin

Prof. Dr. Walter Delabar ist habilitierter Literaturwissenschaftler und lehrt an der Leibniz-Universität Hannover Neuere deutsche Philologie. Er ist der Windbranche seit 1995 verbunden und ist heute Geschäftsführer der Regenerative Energien Zernsee GmbH amp; Co. KG, die Windparks vor allem in Brandenburg verwaltet.