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IRED-Konferenz zur Netzintegration

Stromkunden in den Markt integrieren

Der Umbau der Energienetze, um das Industrieland Deutschland vollständig aus erneuerbaren Energien zu versorgen, ist technisch kein Problem. „Auch die Kosten sind langfristig überschaubar“, urteilte Philipp Strauss vom Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesysteme (IWES), Chairman des hochkarätigen Expertentreffens. „So können moderne Wechselrichter für Solargeneratoren zusätzliche Netzreserven freimachen, indem sie Blindleistung einspeisen.“ Was in Deutschland bislang völlig fehle, seien Marktmodelle, um die Menschen – im Expertenjargon als Stromverbraucher bezeichnet - am Umbau der Netze zu beteiligen. „Der weitere Ausbau der Windkraftanlagen und Solaranlagen wird die Kosten im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes kaum erhöhen“, rechnete er vor. „Gelingt es uns, den Stromverbrauch der Unternehmen und Privathaushalte mit dem Stromangebot im Netz durch intelligente Steuerungstechnik in Deckung zu bringen, könnten wir viel Geld sparen.“ Dafür brauche Deutschland jedoch Marktmechanismen, die Smart Grids und Smart Metering für die Stromkunden lukrativ machen. Verschläft die Politik diese Entwicklung, drohen „sehr hohe Netzkosten“.

Nur noch Investitionen in das Stromnetz

Andere Länder sind in der intelligenten Anpassung von Bedarf und Stromangebot deutlich weiter. Michel Losier von der New Brunswick Power Corporation, einem kanadischen Energieversorger, sagte: „Wir implementieren jetzt bei unseren Kunden intelligente Stromverbraucher, die sich in Zeiten teuren Spitzelaststroms abschalten und bei niedrigem Preisniveau wieder zuschalten. Auf diese Weise kann man mit preiswertem Strom aus Windkraft, Wasserkraft oder von der Sonne beispielsweise Heizwärme oder Warmwasser erzeugen.“ Die New Brunswick Power Corporation versorgt die Provinz an der atlantischen Ostküste Kanadas mit Strom. Sie befindet sich in öffentlichem Eigentum und gehört den Bewohnern der Provinz New Brunswick. „Wir investieren schon seit einiger Zeit nicht mehr in neue Großkraftwerke“, bestätigte er. „Wir investieren ausschließlich in erneuerbare Energien und in intelligente Verteilnetze.“

Marktmacht der öffentlichen Stromnetze

Damit machen die Kanadier vor, welche Marktmacht ein öffentliches Stromnetz entfalten kann. In Deutschland gehört das Netz weiterhin den vier großen Energiemonopolen und ihren Tochtergesellschaften. Sie treiben den Strompreis in die Höhe, obwohl die Einkaufspreise an der Leipziger Strombörse durch den Einfluss von Windstrom und Sonnenstrom um rund 20 Prozent gesunken sind. Dieser preisentlastende Effekt (Merit-Order-Effekt) kommt bei den Stromverbrauchern bislang nicht an. Der Endverbraucher von Strom wird in Deutschland bislang vom Markt ferngehalten. Er darf zahlen, aber die Preise nicht mitbestimmen. In Berlin wollen die Bürger nun das Stromnetz unter öffentliche Verwaltung stellen. Die Lizenz für Vattenfall läuft 2014 aus, derzeit wird die Konzession neu vergeben. Vehement sträubt sich der schwedische Staatskonzern gegen die Pläne, das Stromnetz abzugeben.

Schwankende Strompreise unterstützen Smart Grids

Anders in den USA oder Japan: Dort schwanken die Preise je nach Tageszeit und Jahreszeit. In Japan beispielsweise sind die Strompreise im Sommer am höchsten, wie Kazuhiko Ogimoto, Experte für Stromnetze an der Universität in Tokyo bestätigte. Dann brauchen Millionen Kühlaggregate und Klimaanlagen Unmengen an Strom. Weil der Preis je Kilowattstunde nach dem Ausfall der Atomkraftwerke im Zuge der Fukushima-Katastrophe in die Höhe schnellte, lohnen sich Maßnahmen zur Senkung des Stromverbrauchs. Um die Versorgungssicherheit nicht zu gefährden, hatte die japanische Regierung unmittelbar nach dem Reaktorunglück alle Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen angewiesen, 15 Prozent des Stromverbrauchs aus erneuerbaren Energien selbst zu erzeugen. „Das wird auch in Zukunft die Strategie der japanischen Regierung sein“, stellte Kazuhiko Ogimoto in Aussicht. „Denn das Unglück in Fukushima hat nicht nur unsere Energieversorgung verändert, sondern vor allem unsere Energiepolitik.“

100.000 Energiemanager seit Fukushima

Japan hatte im Sommer 2012 nur noch zwei Atomkraftwerke am Netz, dennoch wurde der Bedarf gedeckt. Im Juli 2012 verkündete die Regierung in Tokyo, dass Windstrom künftig mit 23 Eurocent und Sonnenstrom mit 24 Eurocent je Kilowattstunde gefördert werden. Bisher verfügt Japan nur über vier Gigawatt Solarleistung und drei Gigawatt Windkraft, vornehmlich an der Westküste von Hokkaido. „Derzeit erproben wir kleine, lokale Smart Grids“, erläuterte Ogimoto. „Die ersten Energiemanagementsysteme sind verfügbar. Schon 100.000 Haushalte setzen sie ein, um Stromkosten zu sparen.“ Die Engpässe in der Versorgung haben im Inselstaat eine beispiellose Modernisierungswelle ausgelöst. Künftig werden der Eigenverbrauch des Sonnenstroms und intelligente Managementsysteme für den Stromverbrauch den japanischen Markt dominieren.

Hohe Preise – hohe Anreize

In den USA laufen die Smart Grids unter dem Stichwort „Automatic Metering Infrastructure“, wie Abraham Ellis von den Sandia National Laboratories in Neumexiko sagte. „Die Bundesstaaten und die Bundesregierung in Washington geben in den kommenden drei bis vier Jahren rund zwölf Milliarden US-Dollar aus, um die Stromnetze intelligent zu machen.“ In den USA schwankt der Strompreis im Tagesverlauf mitunter sehr stark. Ähnlich wie in Deutschland liegt sein Peak um die Mittagszeit. „Hohe Strompreise setzen hohe Anreize, um Strom zu sparen“, urteilte Philipp Strauss vom IWES. „Wenn der Strompreis aufgrund eines Überangebots im Netz sinkt, kann der Energiemanager die Verbraucher im Gebäude zuschalten. Der Energiemanager wirkt als Verkäufer oder Käufer von Strom.“ Bislang bietet das deutsche Stromnetz diese Möglichkeit nicht. „Wir brauchen ein dynamisches Preismodell“, forderte Strauss. „Wir müssen die Stromkunden in den Markt integrieren, dann werden sich die Preise und die Kosten für die Energiemanager automatisch regulieren.“ Fazit des zweiten Konferenztages: Die politische Aufgabe besteht darin, die Stromverbraucher in den Markt zu integrieren. Dann – und nur dann – wird die Integration der erneuerbaren Energien in die Stromnetze zu überschaubaren Kosten gelingen. (Heiko Schwarzburger)