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Markthochlauf in Sicht

Fabian Kauschke

Welche Rolle nimmt Wasserstoff in Zukunft in der deutschen und internationalen Energielandschaft ein? Die Antwort auf diese Frage ist von vielen weiteren abhängig: Wie stark unterstützt die Bundesregierung den Ausbau der deutschen Wasserstoffwirtschaft? Welche Länder fokussieren sich auf den Export von Wasserstoff, welche auf den Import? Wie entwickelt sich die Technologie, um Projekte wirtschaftlicher realisieren zu können? Wie attraktiv positioniert sich die Wasserstoffbranche als Arbeitgeber?

Einige offene Fragen und Variablen versuchte die Bundesregierung mit der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie im Juli 2023 zu beantworten. „Markthochlauf“ lautet das Ziel, sodass Derivate und Wasserstoffanwendungen sich beschleunigen und ihr Niveau gesteigert werden kann. Dabei erhöhte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) das Ziel der deutschen Elektrolysekapazität bis 2030 von fünf Gigawatt (GW) auf mindestens zehn. Außerdem sollen Infrastruktur, Anwendungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette und Technologieentwicklungen vorangebracht werden. Bis 2030 möchte die Bundesregierung damit geeignete Rahmenbedingungen schaffen, um den Wasserstoffhochlauf zu starten. ERNEUERBARE ENERGIEN hat Unternehmen und Forschungseinrichtungen befragt, um herauszufinden, welche Stellschrauben dafür 2024 betätigt werden müssen.

Schleppende Freigabe von Förderungen

„Die Ziele der Bundesregierung sind ambitioniert, die Größenordnung passt allerdings. Besonders begrüßen wir den Fokus auf systemdienliche Elektrolyse in der Strategie“, kommentiert Geert Tjarks, Leiter der Geschäftsfeldentwicklung Wasserstoff bei der Oldenburger EWE AG, die nationale Strategie. „Anpassungen sehen wir im Bereich der Förderung. Die dargestellten Programme reichen nicht für die ambitionierten Ziele von zehn GW. Außerdem sehen wir es kritisch, dass das Thema Wasserstoffspeicherung nicht mit konkreten Maßnahmen und Zeitplänen hinterlegt ist.“

Ein Beispiel für die schleppende Freigabe von Förderungen ist die Befreiung von Netzentgelten für Elektrolyseure im Energiewirtschaftsgesetz. In Paragraf 118 Absatz 6 sieht das Gesetz vor, dass für den Strombezug von Wasserstoff-Erzeugungsanlagen, die bis zum Jahr 2026 in Betrieb gehen, 20 Jahre lang keine Netzentgelte anfallen. Anlagen, die nach 2026 in Betrieb gehen, bekommen keine Netzentgeltbefreiung. Da die Europäische Union die Freigabe der Fördermittel deutlich verzögert, ist dieser Termin für viele Projekte nicht mehr zu halten. Das bedeutet ein erhöhtes Risiko, was die Kostenseite anbelangt. Daher sind Planungssicherheit und schnellere Genehmigungs- und Förderverfahren für EWE dringend notwendig.

Umsetzungsplan ist elementar

Mike Blicker, Projektkoordinator des Norddeutschen Reallabors (NRL), sieht einen konkreten Umsetzungsplan für den deutschen Wasserstoffweg als elementar an: „Diese Zielanpassung ist sicherlich richtig – aber der Weg dorthin ist aus meiner Sicht wichtiger als die Frage, ob es 8, 10 oder 20 GW sind. Wie lässt es sich ganz konkret umsetzen, die notwendigen Elektrolysekapazitäten und weiteren Infrastrukturen zeitnah aufzubauen?“ Das NRL ist ein Verbundprojekt der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, gefördert durch das BMWK. „Wir sehen schon heute deutliche Verzögerungen beim Aufbau der inländischen Wasserstoffproduktion, gegen die es rechtzeitig gegenzusteuern gilt. Regulatorische Grundlagen und Marktbedingungen müssen dafür angepasst werden“, sagt Blicker. Eine aktuelle Studie des Reallabors habe gezeigt, dass in Prozessen, bei denen Wasserstoff stofflich genutzt werde und eine Elektrifizierung nicht möglich sei, es noch deutliche preisliche Unterschiede zwischen grünem Wasserstoff und fossilem Erdgas gebe. Unternehmen, die früh investieren, bräuchten daher mehr Sicherheit: „Es ist hierbei wichtig, sowohl auf Investitionsseite als auch aufseiten der Betriebskosten Anreize zu entwickeln, damit Unternehmen auch zu diesem frühen Zeitpunkt schon in Pilotanlagen und Referenzprojekte einsteigen, um den Hochlauf anzutreiben.“ Anreize könnten nach dem NRL Subventionen, regulatorische Weichenstellungen und Förderprogramme sein. Aber auch dabei seien mehr Tempo und vereinfachte Prozesse gefordert.

Welche internationale Rolle nimmt Deutschland ein?

„Angesichts des sich abzeichnenden internationalen Wettbewerbs im Wasserstoffmarkt ist es von entscheidender Bedeutung, dass Genehmigungsverfahren und Förderprogramme vereinfacht und beschleunigt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und die erhöhten Zielvorgaben zu erfüllen“, bestätigt Silvio Konrad, Vorsitzender der Geschäftsführung TÜV Nord Ensys. Der COO im Geschäftsbereich Energie & Ressourcen erkennt dabei eine Abhängigkeitsbeziehung zwischen dem Beginn von Projekten und der Marktlage, durch die der Hochlauf in Gang gebracht werden kann: „Auch müssen nun schnellstmöglich erste (Groß-)Projekte in die Umsetzung gehen. In der Folge profitiert der Markt nämlich dabei von Skaleneffekten und Kostensenkungen, dem stärkeren Wettbewerb, Versorgungssicherheit, Schaffung von Arbeitsplätzen, aber auch der daraus resultierenden technologischen Weiterentwicklung.“

Ein eindrucksvolles Beispiel für den Hochlauf des Wasserstoffmarktes sieht der Dienstleister für Energietechnik in den USA. Mit dem Inflation Reduction Act investiert das Land bis 2030 9,5 Milliarden Dollar und fokussiert sich dabei auf die Reduzierung von CO2 in der Industrie. Das beeinflusst jedoch auch den Weltmarkt. Damit Deutschland bis 2030 wie in der nationalen Strategie beschlossen Leitanbieter für Wasserstofftechnologien werden kann, brauche es auch für die internationale Wettbewerbsfähigkeit unterstützende Mechanismen. Technische Unterstützung bieten chemische Prozesse, welche den internationalen Transport vereinfachen. Der Transport reinen Wasserstoffs ist technisch sehr aufwendig, da er erst bei minus 253 Grad Celsius flüssig wird und erst somit eine für den Transport lohnende Volumendichte aufweist. Ammoniak dient daher als effektiver Wasserstoffträger. Wie die industrielle Rückgewinnung (Cracking) mit Katalysatoren effizienter gestaltet werden kann, untersucht DMT.

„Der Gesamtbedarf Deutschlands an Wasserstoff im Jahr 2030 wird in der Nationalen Wasserstoffstrategie mit 95 bis 130 Terawattstunden (TWh) benannt. Da sind die geforderten 10 GW an heimischer Elektrolyse nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein daher wird Deutschland auf Dauer ein Importland sein“, erklärt Maik Tiedemann, Vorsitzender der Geschäftsführung von DMT. Die potenzielle Wasserstoffnachfrage übersteigt also insbesondere in der Industrie die geplanten Erzeugungskapazitäten deutlich. Auch andere befragte Unternehmen sprechen sich daher für eine deutsche Importstrategie für Wasserstoff aus.

Netzausbau bis 2028 geplant

Ein weiterer Baustein für die deutsche Wasserstoffwirtschaft liegt im Ausbau der Netzinfrastruktur. Nach Dominik Heiß, EVP Strategy & Product bei H-Tec Systems, realisieren Wasserstoffunternehmen Projekte bis 2028 eher auf lokaler Ebene. Eine verfrühte Ausweitung sei daher schwierig umsetzbar. Dennoch sei es wichtig, ab 2028 so schnell wie möglich flächendeckend Netze zu verbinden: „Da sich derzeitige Pläne ausschließlich auf Fernleitungsnetze beziehen, muss auch ein Plan auf Verteilnetzebene geschaffen werden, da dort heute ein Großteil der erdgasverbrauchenden Industrie und insbesondere auch mittelständische Unternehmen angebunden sind. Eine Umstellung der Prozesse dieser Unternehmen auf Wasserstoff wird dadurch erleichtert.“ Die Wasserstoffstrategie sieht bis 2027/2028 vor, über die IPCEI-Förderung ein Wasserstoffstartnetz mit mehr als 1.800 Kilometer umgestellten und neu gebauten Wasserstoffleitungen in Deutschland aufzubauen. Dazu kommen europaweit rund 4.500 Kilometer Netzinfrastruktur hinzu.

Angebunden an das Netz gehören damit auch Offshore-Produzenten. „Offshore produzierter Wasserstoff wird zukünftig eine große Rolle spielen, da große Flächen für Offshore-Wind in Zukunft weit vor der Küste liegen. Die direkte Netzanbindung solcher Parks über so große Distanzen ist kostenintensiv, sodass der Transport von Wasserstoff, der dann auch als solcher genutzt wird, hier die günstigere Alternative darstellt. Zusätzlich ist das Vorhandensein von ausreichend Wasser und die einfachere Verteilung von Sole aus den Elektrolyseuren ein Vorteil“, sagt Hasan Özdem, Head of Offshore Hydrogen bei Vattenfall.

Quereinsteiger mit großem Potenzial

Die neue Wasserstoffwirtschaft steht also vor einer Reihe an Baustellen. Dazu kommt jedoch auch das branchenübergreifende Problem des Fachkräftemangels. „Ich erlebe das aus direkter Nähe an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg: Dort werden Wasserstofftechnologien inzwischen stark in die Lehre einbezogen und sogar neue Wasserstoffprofessuren geschaffen“, berichtet Mike Blicker. Viele Studierende interessieren sich stark für das Thema, sodass im Bereich der Ausbildung Kompetenzen vermittelt werden können. Die Bildungswege für Wasserstoffberufe sehen indes vielfältig aus: Ergänzung der bestehenden Ausbildungsberufe, Ausbau von H2-Studiengängen und -Weiterbildungen, schulische Wissensvermittlung, Fitmachen von Quereinsteigenden; insbesondere solche aus Industriebereichen wie Öl und Gas weisen Fähigkeiten auf, die auf die neue Aufgabe gut übertragbar sind.

10 Gigawatt Elektrolysekapazität sollen bis 2030 erbaut werden.

9,5 Milliarden Euro investiert die USA mit dem Inflation Reduction Act in ihre Wasserstoffwirtschaft.

4.500 Kilometer Netz­infrastruktur sollen europaweit bis 2028 entstehen.

Foto: EWE/David Hecker

Die Ziele der Bundesregierung sind ambitioniert, die Größenordnung passt allerdings. Besonders begrüßen wir den Fokus auf systemdienliche Elektrolyse in der Strategie.

Geert Tjarks, Leiter Geschäftsfeldentwicklung Wasserstoff bei EWE

Foto: Pieter-Pan

Solange grüner Wasserstoff so teuer ist, wird der Markthochlauf schwer in Gang kommen.

Mike Blicker, Projektkoordinator des Norddeutschen Reallabors

Foto: Inga Sommer/TÜV NORD Systems

Der Ausbau des Netzes sollte stark vorangetrieben werden, hat er doch das Potenzial, die stärkste Säule in der Versorgung von regionalen Hubs und Industriezentren zu werden.

Silvio Konrad, Vorsitzender der Geschäftsführung von TÜV Nord Ensys

Foto: DMT Group,

Der Gesamtbedarf Deutschlands an Wasserstoff im Jahr 2030 wird in der nationalen Wasserstoffstrategie mit 95–130 TWh benannt. Da sind die geforderten 10 GW an heimischer Elektrolyse nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Allein daher wird Deutschland auf Dauer ein Importland sein.

Maik Tiedemann, Vorsitzender der Geschäftsführung von DMT

Foto: H-TEC SYSTEMS

Um deutsche Technologieanbieter und deren Zulieferer bei der internationalen Wettbewerbs­fähigkeit voranzubringen, sind unterstützende
Mechanismen wünschenswert.

Dominik Heiß, EVP Strategy & Product bei H-Tec Systems

Foto: Vattenfall

Offshore produzierter Wasserstoff wird zukünftig eine große Rolle spielen, da große Flächen für Offshore-Wind in Zukunft weit vor der Küste liegen.

Hasan Özdem, Head of Offshore Hydrogen bei Vattenfall