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Thomas Bareiß im Interview

"Irgendwann müssen Sie den Wettbewerb unter den Erneuerbaren regeln."

Laut ihrem Wahlprogramm will die Union in der Energiepolitik durchweg die bisherige Gesetzgebung oder Richtung beibehalten: Bei Klimazielen, marktwirtschaftlicher Systemintegration der Erneuerbaren, Endlagersuchgesetz und einheitlicher Strompreiszone. Bei so viel Zufriedenheit mit dem Kurs sind Korrekturen am EEG bis Ende kommender Legislaturperiode, 2021, wohl unnötig?

Thomas Bareiß: Zunächst einmal ist Energiewende ein permanenter Prozess, der auch angepasst werden muss. Deshalb werden wir auch in der nächsten Legislaturperiode wichtige Weichenstellungen vornehmen. Klar ist aber auch, dass wir in der jetzt ablaufenden Legislaturperiode viele wichtige Dinge angepackt haben: Der weitere Ausbau der Erneuerbaren ist gesichert. Wir haben mit den Ausschreibungen ein neues Instrument dafür implementiert. Das ist der richtige Weg. Denn mit dem weiteren Ausbau müssen sich die Erneuerbaren noch stärker in das Gesamtsystem integrieren. Sie müssen sich mehr dem Wettbewerb stellen. Und sie können es auch. Das muss fortgesetzt werden.

Laufend Stellschrauben für die Energiewende nachdrehen, weil diese Wende so komplex ist? Gilt das auch für die Ziele im EEG, die Sie für den international vereinbarten Klimaschutz erhöhen müssten?

Thomas Bareiß: Klar ist, dass Deutschland die höchsten Klimaziele verbunden mit der höchsten CO2-Einsparung hat.

Sie sprechen von den Pariser Klimazielen, die ja die meisten Länder der Welt unterzeichnet haben …

Thomas Bareiß: Die Paris-Ziele bedeuten doch nur, dass jedes Land seine Vorschläge zum Klimaschutz eingebracht hat. Aber man muss festhalten, dass die Chinesen oder Amerikaner wesentlich weniger an Selbstverpflichtung zum Handeln eingebracht haben als wir. Daher ist es auch kein Wunder, dass das weltweite Ziel einer Erderwärmung von nicht mehr als zwei oder sogar nur 1,5 Grad Celsius nicht erreicht wird. Wenn ein Land wie China es ernst meint, muss es schneller seine Treibhausgasemissionen senken, nicht erst ab 2030.

Deutschland hat beim Erreichen schon seiner eigenen Klimaziele noch Nachholbedarf, sagen alle Experten. Das müsste doch tatsächlich zu einer Anpassung der EEG-Ziele nach oben führen?

Thomas Bareiß: Für mich gilt das Zieldreieck aus Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit und Klimaverträglichkeit. Das heißt auch, dass wir die Kosten nicht aus dem Blick verlieren. Klar wollen wir weiter die erneuerbaren Energien ausbauen. Dieser Ausbau wird sich auch in den nächsten Jahren noch in einem rasanten Tempo fortsetzen. Wir haben heute ja schon wesentlich mehr erneuerbare Energien als noch vor ein paar Jahren prognostiziert. Und trotzdem besteht die Herausforderung in Deutschland, dass wir in sechs Jahren – was auch wir in der CDU unterstützen – unseren CO2-freien Energieträger, die Kernkraftwerke, nicht mehr zur Verfügung haben. Das macht die Herausforderung einer CO2-armen Stromerzeugung umso größer.

Sie müssen also auch aus der Kohlekraft aussteigen?

Thomas Bareiß: Ja, der Kohleausstieg wird natürlich Stück für Stück kommen. Die Frage bleibt nur, wie lange er dauern muss, um unsere Energiesicherheit und Bezahlbarkeit sicherzustellen. Auch da müssen wir im Einklang mit einer europäischen Gesamtstrategie vorgehen.

Sie wollen sich auf eine Anpassung der EEG-Ziele an die Klimaziele nicht festlegen …

Thomas Bareiß: Ich warne davor in jedem zweiten Jahr neue Zieldiskussion über die erneuerbaren Energien zu starten. Wir haben unsere Ziele vereinbart. Und hier müssen wir auch verlässlich bleiben.

Geht es Ihnen auch um diese Verlässlichkeit, wenn sie wie jüngst sagen, dass das EEG bis Mitte der 2020-er Jahre erhalten bleiben soll? So lange ist der Zeitraum, den das EEG 2017 als Perspektive für die Ausschreibungen zunächst definiert. Was ist denn danach?

Thomas Bareiß: Wir leben doch in einer Welt, in der künftig 40, 50 oder 60 Prozent unserer Energieversorgung auf erneuerbaren Energien aufbaut. In der Stromversorgung werden wir demnächst dort ankommen. Und so haben wir heute schon Stunden, in denen Sonnenenergie, Windenergie und Wasserkraft um die Einspeisung konkurrieren. Da kommt die Frage auf, welche der drei mit Einspeisevorrang versehenen Erneuerbaren-Technologien Sie dann abregeln müssen, wenn die Netze überfüllt sind. Ein Markt wird dauerhaft nicht funktionieren, wenn alle Teilnehmer ein Vorrecht zur Abnahme ihres Produkts haben. Wir in Deutschland haben große Verantwortung dafür, dass die Energiewende funktioniert, damit uns andere Länder folgen können. Deshalb darf unsere Energiewende nicht immer nur auf hohen Subventionen und Vergütungen oder Privilegien aufbauen. Vielmehr müssen sich die Erneuerbaren dem Wettbewerb mit anderen Energieträgern stellen. Das können die in vielen Bereichen heute schon. In den nächsten Jahren wird ein Systemansatz viel wichtiger werden. Das hat etwas mit Speichern, mit dem Netzausbau und flexiblen Lasten zu tun. Hier müssen wir viel mehr tun. Die reine Ausbauförderung ist ein Instrument der Vergangenheit. Wir müssen jetzt einen intelligenteren Systemansatz entwickeln – deshalb kommt es auf die reine EEG-Förderung nicht mehr an.

Sie wollen also auch den Einspeisevorrang abschaffen –ähnlich wie Ihre Parteifreunde in der neuen nordrhein-westfälischen Regierungskoalition mit der FDP?

Thomas Bareiß: Ich bin davon überzeugt, dass den Erneuerbaren die Zukunft gehört. Beim Ziel von 80 Prozent Erneuerbaren in der Stromversorgung müssen Sie irgendwann auch den Wettbewerb der Erneuerbaren untereinander regeln. Es rangeln heute manchmal schon Offshore- gegen Onshore-Windenergieverstromer, Photovoltaik gegen Wind onshore, wenn es um Einspeisevorrechte geht. Diese Energieerzeugungsformen können sich heute schon auf dem Markt etablieren. Und klar ist auch, dass der europäische Emissionshandel in den nächsten Jahren anziehen wird. Weil die Klimaschutzziele ambitionierter werden, werden die CO2-Preise teurer. Und deshalb werden Kohle und andere fossile Energieträger auch Stück für Stück aus dem Markt rausgenommen.

Das ist noch kein Selbstläufer, weil es zu viele CO2-Zertifikate auf dem Markt gibt. Sie müssten also noch Druck auf die Europäische Union ausüben, weitere Zertifikate vom Markt zu nehmen?

Thomas Bareiß: Der Handel im ETS wird auf jeden Fall anziehen. Denn die Menge der Emissionszertifikate wird abnehmen, weil immer weniger emittiert werden darf.

Mit mehr Wettbewerb drücken Sie weiter auf die Strompreise. Warum aber soll der Börsenstrompreis weiter sinken, wenn er jetzt schon regelmäßig bei zwei bis drei Cent pro Kilowattstunde pendelt, aber private Stromkunden den Preisverfall in ihren Rechnungen nicht sehen?

Thomas Bareiß: Ich nehme wahr, dass vor allem diejenigen, die die Sektorenkopplung vorantreiben wollen, weiter sinkende Strompreise wollen. Sie hoffen so, Strom auch in anderen Energieverbrauchssektoren wie im Wärmemarkt besser etablieren zu können. Ich kann diese Argumentation nachvollziehen. Allerdings teile ich sie nicht in Gänze. Denn letztlich muss beantwortet werden, wo das Geld zur Finanzierung der Stromversorgung herkommt. Es gibt verschiedene Finanzierungsformen:  Die einen wollen die Energiewende längerfristig finanzieren und die Begleichung weiterer Kosten in die nächste Generation schieben. Andere wollen fossile Energieträger stärker belasten. Für mich ist hierbei aber die soziale Frage zu wichtig, wie der Arbeiter bezahlbar mit dem Auto im Pendelverkehr zum Arbeitsplatz kommt. Oder die Familie, die im Keller noch eine Gas- oder Ölheizung hat, deren Austausch gegen eine klimafreundlichere Anlage sie erst bezahlen können müsste. Und wiederum andere wollen die Energiewende über den Haushalt finanzieren. Hier wäre ich sehr gespannt auf Diskussionen mit unseren Haushaltspolitikern oder auch mit den Bundesländern. Diese müssten die Energiewende dann mitfinanzieren. Da würde keiner „Hurra“ schreien!

Also müssten Sie ein weiteres Abfallen der Börsenstrompreise verhindern?

Thomas Bareiß: Bei zu viel Strom im Netz gibt es ja heute schon Negativpreise im Handel. Das kann zwar dazu führen, dass die Nachfrage beziehungsweise die Lasten im Stromnetz über den Stromhandel stärker gesteuert werden können. Das ist auch das Ziel des sogenannten Energy-Only-Markts: Er schafft durch Preisflexibilisierung Anreize für eine flexible Nachfrage und von Preisspitzen können wiederum flexible Kraftwerke profitieren, die in wenigen Minuten viel verdienen können. Das ist sicher ein Weg, den wir gehen. Wobei wir dabei immer genau unsere Versorgungssicherheit im Blick halten müssen. Deshalb müssen wir den Energy-only-Markt nochmals in der nächsten Legislaturperiode überprüfen – ob er der richtige Ansatz ist, um Versorgungssicherheit auch langfristig sicherzustellen.

Wie lange werden Sie die im EEG-2017 eingeführten jährlichen Ausbaudeckel insbesondere im von Engpässen besonders betroffenen norddeutschen Netzausbaugebiet noch brauchen? In dem von Ihnen gewünschten freien Markt sind Deckel doch auf Dauer ein Widerspruch ...

Thomas Bareiß: Wenn der freie Markt mal da ist. Das Problem ist ja, dass der Ausbau der Erneuerbaren auch aufgrund der bevorrechtigten Einspeisung nicht im Einklang mit dem Netzausbau ist. Wenn immer vergütet wird, auch wenn Strom nicht abgenommen werden kann, entsteht die heutige abstruse Situation vor Ort. Dann werden immer noch Anlagen in Netzgebieten gebaut, die dort eigentlich gar keinen Markt geschweige denn ein Netz zur Verfügung haben. Wenn es einen freien Markt ohne Entschädigung für stillstehende Anlagen und Einspeisevorranggäbe, würde an diesen Stellen auch kein Windrad entstehen und kein Netzengpass.

Der Einspeise-Vorrang wird Ihrer Meinung nach also mittelfristig nicht mehr benötigt. Umso wichtiger bleibt aber dann doch das Einspeise-Recht der Erneuerbaren, das ihnen mit dem Baurecht die Netzverknüpfung garantiert?

Thomas Bareiß: Der Rechtsanspruch zum Netzanschluss ist immer da. Klar. Den brauchen wir auch nach wie vor.

Das Gespräch führte Tilman Weber im August