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Wüsten-Wasserstoff oder regionale Wertschöpfung?

Nicole Weinhold

Dii Desertec war eigentlich eine Bewegung, um die erneuerbaren Energien in den Wüstenländern der Region des Mittleren Ostens und Nordafrikas (MENA) zu erschließen. Das war damals hauptsächlich Solar, ist jetzt aber auch Wind“, erklärt Paul van Son. Er war von 2009 bis 2020 CEO der Desertec Industrial Initiative GmbH (Dii). Seit Januar 2021 ist er Präsident der bei vielen in Vergessenheit geratenen Gesellschaft. Zu Unrecht, wie van Son zu berichten weiß: „Die Entwicklung geht jetzt extrem schnell voran. Immer mehr Länder in der Region sind damit beschäftigt, große Wind- und Solarparks zu bauen.“ Es gehe mittlerweile nicht mehr nur um die eigene Stromversorgung, sondern auch um die Umwandlung in Wasserstoff. In Ländern wie Dubai, Saudi-Arabien, Ägypten, Oman und Marokko sei auch das längst Thema.

Was aber ist aus der alten Desertec-Idee geworden vom Großkraftwerk in der Wüste, das für Deutschland mit deutscher Technik Strom produziert? „Ganz am Anfang sah man Desertec als Großprojekt der deutschen Industrie“, bestätigt der Niederländer. „Die Industrie hatte gesagt: ‘Wir bauen große Kraftwerke für uns’, aus heutiger Sicht wohl ein bisschen neokolonial.“ Damals ging es primär darum, Strom für Deutschland und Europa zu produzieren. „Das haben wir bald nicht mehr als Fokus weiterverfolgt“, so van Son. Man könne keinen Strom aus einem nicht existierenden Markt verkaufen. Zunächst müsse es in der „MENA-Region“ einen Markt von Angebot und Nachfrage im Bereich der Erneuerbaren geben. „Und diese ganze Entwicklung haben wir jetzt schon zwölf Jahre vorangetrieben, und die nimmt gerade Fahrt auf. In allen Ländern sieht man große Projekte: Solar-PV, Solar-thermie, auch sehr viel Wind.“ Es gehe bei Desertec Dii nicht darum, Strom von A nach B zu transportieren, sondern vor allem CO2 zu reduzieren. „Wir sind daran interessiert, dass auch diese Länder emissionsfrei produzieren. Und in diesem Kontext werden sie irgendwann in der Lage sein, massiv zu exportieren“, betont er. Erneuerbare müssten dort zunächst aufgebaut werden. Es mache keinen Sinn, aus einer fossilen Umgebung zu exportieren.

Van Son sieht sein Unternehmen als „Market Enabler“. „Seit zwölf Jahren arbeiten wir mit den Stakeholdern, Regierungen, Industrie und Anderen, erstellen Studien, organisieren Infoveranstaltungen. Wind und Solar sind dort oft bereits wettbewerbsfähig.“ Unter anderem in Saudi-Arabien seinen Solarausschreibungen auf unter einen Cent pro Kilowattstunden gekommen, argumentiert er.

Wasserstoffpartnerschaft mit Namibia

Stefan Kaufmann, Innovationsbeauftragter Grüner Wasserstoff im bisherigen Bundesforschungsministerium, hält es für durchaus sinnvoll, die Produktion von Wasserstoff aus erneuerbaren Energien in Nordafrika anzustoßen. „Deutschland importiert heute rund 70 Prozent seiner Primärenergie“, erklärt er. An dieser Importabhängigkeit werde sich beim Umstieg auf die Erneuerbaren voraussichtlich nicht viel ändern. „Wir werden also – ebenso wie andere Industrienationen – auch im Wasserstoffzeitalter Energie importieren müssen.“ Statt fossiler Energie könne das laut Kaufmann dann jedoch nur erneuerbare Energie sein. „Grüner Wasserstoff, den wir aus erneuerbarem Strom herstellen können, ist als universaler Energieträger hervorragend dazu geeignet, diesen Import zu ermöglichen“, so der Innovationsbeauftragte. Viele Regionen Afrikas – nicht nur der Norden – böten sehr gute Bedingungen für die Wasserstofferzeugung. „Wir haben erst vor wenigen Wochen eine Wasserstoffpartnerschaft mit Namibia geschlossen.“ Die ersten Ergebnisse des vom Bundesforschungsministerium geförderten Potenzialatlas für grünen Wasserstoff in Afrika zeigten allein für die Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten Ecowas ein Erzeugungspotenzial von 165.000 Terawattstunden (TWh) grünen Wasserstoffs. „Das ist das 1.500-fache unseres für 2030 angenommenen Wasserstoffbedarfs von 90 bis 110 TWh“, rechnet Kaufmann vor. „Lieferpartnerschaften mit Afrika für grünen Wasserstoff sind also eine Jahrhundertchance für beide Seiten: Die Länder Afrikas können als grüne Ölstaaten neue Exportmärkte erschließen und zugleich die eigene Energieversorgung dekarbonisieren,“ Deutschland könne seine Energieversorgung diversifizieren und zum weltweit führenden Ausrüster für grüne Wasserstofftechnologien werden. „Das ist ein Win-win-Geschäft par excellence“, betont der CDU-Politiker.

Flexibilität fürs Stromnetz

Ove Petersen ist Geschäftsführer von GP Joule, einem der ersten Produzenten von grünem Wasserstoff regional und im großen Stil. Wie schätzt er die Chancen ein, dass innerhalb Deutschlands mittelfristig genügend grüner Wasserstoff produziert werden kann? „Sehr groß, und zwar mit dezentralen grünen Wasserstoffprojekten wie E-Farm, die schlau in die Energieinfrastruktur integriert sind. Diese Projekte werden in Zukunft deutlich größer werden, sodass wir auch mittelfristig die Industrie wettbewerbsfähig versorgen können“, so Petersen.

Importe aus Nordafrika brauche Deutschland nicht, erklärt der Unternehmer aus dem schleswig-holsteinischen Reußenköge: „Wir können in Deutschland beziehungsweise Europa genug erneuerbare Energien erzeugen, und darum sollten wir auch die Wertschöpfungskette der Wasserstoffherstellung beziehungsweise Sektorkopplung im eigenen Land aufbauen.“ Mit Elektrolyseuren im Energiesystem schaffe man zudem die nötige Flexibilität im Stromnetz, die die Erneuerbaren-Erzeugungsanlagen benötigten, erläutert Petersen. „Gleichzeitig können wir so Energie zeit- und leistungsunabhängig zwischenspeichern und mit der Abwärme aus diesem Prozess die Wärmewende unterstützen.“ Petersen befürchtet, dass die Idee vom Wasserstoffimport aus Nordafrika dazu führend könnte, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien ausgebremst wird. Nach dem Motto: Dann müssen wir hier nicht alles vollstellen mit Wind und Solar. „Dabei müssten wir für den Gesamtenergiebedarf in Deutschland in Höhe von 2.500 TWh gar nicht so viel Fläche mit Wind und Solar bebauen.“ Für eine Vollversorgung aus Solarstrom würden laut Petersen sieben Prozent der Fläche in Deutschland ausreichen. „Das ist nur ungefähr die Hälfte der hierzulande besiedelten Fläche. Rechnen wir noch die Windkraft hinzu, sinkt die benötigte Fläche gar auf 2,5 Prozent.“ Deutschland könne sich aus Erneuerbaren komplett selbst versorgen – zu jeder Tages- und Nachtzeit. „Die Technik ist da, die Energie ist da. Wir müssen sie nur effizient nutzen, Solar- und Windkraftanlagen schnell ausbauen und flexible Speicher wie Wasserstoff-Elektrolyse ausbauen. Dann haben wir 100 Prozent Versorgungssicherheit bei null Emissionen“, betont Petersen.

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