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„…jetzt will Wissing auch noch neue Autobahnen bauen. Da kann man wirklich wütend sein“

Luis von Randow, Fridays for Future, Volker Quaschning, Scientists for Future, und Carla Rochel, Letzte Generation, sprechen mit uns über die große Aufgabe, Mitmenschen und Politik beim Klimaschutz wachzurütteln:


Wie zufrieden seid ihr mit den Klimabemühungen der Bundesregierung?
Luis von Randow: Ich bin mit der deutschen Klimaschutz- und Umweltpolitik sehr unzufrieden, weil wir gerade die 1,5-Grad-Grenze und alle anderen klimapolitisch relevanten internationalen Abkommen reißen. Am Dorf Lützerath, das für den Tagebau von RWE geräumt wurde, verläuft die deutsche 1,5-Grad-Grenze. Da wird Kohle abgebaggert, die bei ihrer Verfeuerung 280 Millionen Tonnen CO2 freisetzt und damit das deutsche CO2-Budget sprengt.
Carla Rochel: Ja, auch in bin unzufrieden, fassungslos und frustriert. Ich bin enttäuscht davon, dass die Bundesregierung am Anfang noch so große Ziele verkündet hat und sich jetzt herausstellt, dass das alles nur leere Versprechungen waren. Olaf Scholz, unser Klimakanzler, hat diesen Titel nicht verdient. Wir brechen internationale Abkommen und setzen Millionen von Leben aufs Spiel.
Volker Quaschning: Ich bin zwar auch extrem unzufrieden, aber vielleicht kann man vorab mal etwas Positives sagen: Man erkennt, dass die grüne Regierung sich zumindest bemüht. Angefangen hat das Ganze allerdings schon mit einer Unehrlichkeit bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages. Bundeswirtschaftsminister Habeck sagte dazu: Wir werden 2045 klimaneutral und leisten so einen entscheidenden Beitrag für das Erreichen des 1,5-Grad-Ziels. Das deckt sich nicht mit der Wissenschaft. Wir haben ein gewisses CO2-Budget. Wenn wir uns bis 2045 Zeit lassen, werden wir das Pariser Klimaabkommen reißen. Das kann man nicht alles Herrn Habeck in die Schuhe schieben. Aber wir reißen die Vorgaben des deutschen Klimaschutzgesetzes und die Regierung bekommt nicht mal das jetzt nötige Klima-Sofortprogramm auf die Beine. Was soll ein Sofortprogramm, das ewig dauert? Die Idee war ja: Man startet beim Klimaschutz durch. Und jetzt sieht man stattdessen, dass die Koalitionspartner der ängstlichen Politik der Grünen auch noch Stöcke in die Speichen rammen. Das führt Deutschland auf einen Klimapfad von zwei Grad plus. Man könnte natürlich sagen: Andere sind schlimmer. Aber das ist eine billige Ausrede. Viele Menschen aus der Branche der erneuerbaren Energien, die seit 16 Jahren Leid gewöhnt sind, sehen derzeit positive Entwicklungen. Aber das reicht natürlich nicht für den Klimaschutz.
Luis von Randow: Man kann tatsächlich Herrn Habeck nicht alles in die Schuhe schieben. Bei Erneuerbaren etwa werden Ausschreibungsziele nicht erreicht und es tut sich zu wenig – aber wenigstens tut sich etwas. Doch im Verkehrsministerium tut sich wirklich nichts, und jetzt will Wissing auch noch neue Autobahnen bauen. Da kann man wirklich wütend sein. Das war in Unions-Hand und ist jetzt bei der FDP. Die Emissionen bleiben hoch, obwohl gerade in diesem Sektor effektive Maßnahmen wie das Tempolimit sehr einfach umsetzbar wären. Auch deswegen hat die Letzte Generation dort ihre Aktionen gemacht.


Ihr nehmt aufeinander Bezug, wie wir feststellen. Gibt es zwischen euren Gruppen Absprachen oder Kooperationen?
Carla Rochel:
Wir sind immer im Austausch mit Fridays for Future und mit vielen anderen Bewegungen, die es hier in Deutschland und international gibt. Für uns ist gerade der Punkt erreicht, dass wir sehen: Wir brauchen jetzt alle Protestbewegungen und jede Art von friedlichem Protest, überall und sofort.
Volker Quaschning: Das sind ja alles Graswurzelbewegungen. Es gibt inzwischen weit über 100 For-Future-Gruppen – und entsprechende Vernetzungstreffen. Uns alle eint das Pariser ­Klimaschutzabkommen als Ziel, das die Erderhitzung auf einem gerade noch akzeptablen Niveau begrenzen soll. Ziel ist es, den entsprechenden Temperaturkorridor einzuhalten. Da kann es keine Kompromisse geben, denn dabei geht es um Physik. Jede Gruppe hat natürlich einen anderen Weg des zivilen Protests. Wir respektieren und unterstützen uns gegenseitig.


Könnte es nicht eine größere Schlagkraft geben, wenn ihr euch in einer Partei zusammenschließt?
Luis von Randow: Ich glaube nicht, dass das der effektivste Weg für den Klimaschutz in Deutschland wäre. Den Grünen fehlt gerade der Biss in Sachen Klimaschutz, das ist die Macht der Realpolitik: Eine FDP, die blockiert, und eine Zivilbevölkerung, die sich aus Angst vor Veränderung in Teilen Kohle und Atom zurückwünscht. Eine Klimaschutzpartei, die auf so etwas keine Rücksicht nimmt, hätte nicht viel Erfolg. Die deutsche Klimagerechtigkeitsbewegung profitiert von der Rolle als außerparlamentarische Opposition, weil sie kämpferischer sein kann und eine größere Öffentlichkeit erreicht.
Carla Rochel: Ich wurde schon gefragt: Warum tretet ihr nicht massenhaft in die FDP ein und ändert deren Ausrichtung von innen? Der Vorschlag ist witzig. Aber wir sehen in der Geschichte, dass Wandel meistens aus der Gesellschaft kommt und es eine starke Zivilgesellschaft braucht, die für ihre Rechte einsteht. Das Frauenwahlrecht wurde auf der Straße erkämpft. Das kam damals nicht von den demokratisch regierenden Männern. Die haben ja demokratisch entschieden, dass Frauen nicht wählen dürfen.
Gerade scheitern wir daran, dass sich die Regierung nicht an die Verfassung hält, auf die wir uns als Gesellschaft geeinigt haben. Unser Job ist es gerade einzufordern, dass sich die Regierung an die Gesetze hält. Die Mehrheiten stehen seit Jahren hinter dem Klimaschutz. Sie werden nur hinter Konzerninteressen zurückgelassen und hinter diesem langsamen bürokratischen System, das auch ambitionierten Grünen einen Strich durch die Rechnung macht.
Volker Quaschning: Mir wird oft vorgeworfen: Du meckerst immer nur. Gründe eine Partei, dann siehst du, wie schwierig das ist. Aber von der Gründung der Grünen bis zur Regierungsbeteiligung hat es 18 Jahre gedauert. Ein politisches System ist träge. In weniger als 15 Jahren müssen wir klimaneutral werden. Da macht es jetzt wenig Sinn, eine Partei zu gründen.
Außerdem bin ich ein Verfechter der Demokratie, aber alle Menschen bis 18 sind nicht berechtigt, an unserem demokratischen System teilzunehmen. Dadurch haben wir eine Verschiebung des demokratischen Einflusses zu den älteren Bevölkerungsgruppen. Die absolute Mehrheit stellt die Gruppe Ü50. Die Politik zielt auf die Rechte und Interessen dieser Gruppe. Die jüngere Generation wird häufig vernachlässigt. Das Problem kann auch eine neue Partei nicht lösen. Deswegen sind die außerparlamentarischen Gruppierungen so wichtig.


Die Kernfrage ist ja: Wie schafft man es, etwas zu bewegen? Sieht man nicht eine Ermüdung, selbst bei Fridays for Future? Das Medieninteresse bricht weg. Was kann man tun? 
Luis von Randow:
Die Demonstrationen von Fridays for Future haben eine große Wirkung gezeigt! Wir haben über viele Jahre die Klimagerechtigkeit als Hauptthema der gesellschaftlichen Agenda erlebt und wir haben dieses Thema so elementar in den Fokus gerückt. Auch wenn jetzt weitere Krisen die Agenda bestimmen, stehen wir noch immer zu Tausenden auf der Straße. Wir haben das unzureichende Klimaschutzgesetz vor dem ­Bundesverfassungsgericht gekippt. Da haben wir ganz viel erreicht.


Über die Klage, nicht Demonstrationen …
Luis von Randow: Aber es ist ein gesellschaftlicher Wandel, der stattfindet. Was jetzt dazukommt: Wir haben weiterhin ein riesiges Mobilisierungspotenzial, was wir in Lützerath mit 35.000 Teilnehmer:innen gesehen haben. Natürlich sind das nicht die 290.000, die 2019 in Berlin auf der Straße waren. Das ist aber auch gar nicht das Wichtigste, sondern zu sehen, wie viel Druck ausgeübt wird.
Volker Quaschning: Vor Fridays for Future hatte ich oft einen Zwist mit den Grünen. Die hatten immer Ausbauziele festgelegt, das waren damals fünf Gigawatt (GW) PV-Zubau. Und jetzt hat Herr Habeck 20 GW als jährliches Ziel ausgelobt. Ohne Fridays for Future hätten wir da keine so große Steigerung gesehen. Peter Altmaier wollte sogar nur 2,5 GW. Die Grünen haben ihre Ausbauziele immerhin schon vervierfacht, wir brauchen aber eigentlich den Faktor acht. Trotzdem: Von fünf auf 20 heißt für mich: Wir haben schon richtig viel erreicht.


Und das haben die Demos bewirkt?
Volker Quaschning:
Wenn man die Grünen früher gefragt hat: Wisst ihr denn, dass 5 GW nicht ausreichen? Dann haben die gesagt: Ja, das wissen wir. Aber wir sehen keine gesellschaftlichen Mehrheiten für mehr. Diese gesellschaftlichen Mehrheiten haben sie jetzt erkannt. Selbst die CDU würde die PV-Ausbauziele jetzt nicht wieder auf 5 GW zurückdrehen. Das heißt, die CDU ist jetzt weiter, als die Grünen vor sechs oder sieben Jahren waren. Die Studien, die besagen, dass wir 20 GW oder sogar noch viel mehr brauchen, liegen schon seit vielen Jahren vor. Sie wurden aber nicht ernst genommen. Dass wir da jetzt Gehör gefunden haben, das ist der riesige Erfolg von Fridays for Future.
Was die Karlsruher Klimaklage anbelangt, gibt es ein Problem: Wir hatten 2018 die Klage eingereicht und 2021 kam das Urteil. Über den juristischen Weg verliert man sehr viel Zeit. Man muss ihn trotzdem anstoßen. Aber was das Pariser Klimaabkommen anbelangt, werden wir wieder viel wertvolle Zeit verlieren.


Sind wir wirklich auf einem stabilen Weg? Würde die Union als Regierungspartei nicht leicht einen Teil der Bevölkerung hinter einen Kohle-/Atompfad bringen?
Volker Quaschning:
Die Kernenergie macht doch nur 1,5 Prozent des gesamten Energieaufkommens aus. Aber wir müssen noch über 70 Prozent fossile Energie ersetzen. Wir werden nicht mit einem guten Prozent Kernenergie 70 Prozent CO2-Reduktion hinbekommen. Warum zieht die CDU das aus dem Hut? Wir haben eine Energiekrise aufgrund der Klima- und Energiepolitik der letzten 16 Jahre. Einige können sich das Duschen nicht mehr leisten, weil Herr Altmaier Umwelt- und Energieminister war. Das ist die Wahrheit, aber für die Union eine unangenehme Sache. Was macht die CDU also? Sie versucht, den Spieß umzudrehen und die Schuld den Grünen zuzuschieben, weil sie Kernenergie als vermeintlichen Problemlöser ablehnen. Die Union müsste in der Regierung gleichwohl auch die Ziele des Pariser Klimaabkommens umsetzen, wobei ihr die Atomkraft nicht helfen würde.  

Dieser Artikel ist in unserem Print-Magazin ERNEUERBARE ENERGIEN 2/2023 erschienen. Das Interview wurde im Januar geführt. Gefällt Ihnen der Text, dann holen Sie sich doch online gleich ein Probemagazin.