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Süden mitverantwortlich für Windstrom aus dem Norden

Wer unterschiedliche Strompreiszonen in Deutschland einführen wolle, setze „die Axt an den Industriestrandort Deutschland und gefährdet Süddeutschland als industrielles Herz der Republik“, ließ sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder am Wochenende in einem Zeitungsinterview zitieren. Als Schaden könne daraus „eine weitere Abwanderung von Industriebetrieben aus Deutschland und ein wirtschaftlicher Abstieg“ entstehen, sagte der CSU-Politiker im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung für deren Montagsausgabe. Die damit wiederholte Kritik aus Bayern an einer Veränderung der Stromkosten zuungunsten von Bundesländern mit wenig Windparks sowie zum Vorteil von Windkraft-Konzentrationsregionen, die den Grünstrom beispielsweise auch nach Bayern liefern, folgt auf eine tags zuvor von der Bundesnetzagentur (BNetzA) ausgegebene Absichtserklärung für eine Strompreisreform. Der Chef der BNetzA, Klaus Müller, hatte eine Preisreform durch seine Behörde angekündigt, sobald der Bundestag entsprechend einem Gesetzentwurf der Bundesregierung die BNetzA zur Festlegung von bundesweit fairen Stromnetzentgelten ermächtigt haben wird.

Am Mittwoch warnte nun auch der Energiewirtschaftsverband BDEW vor zu schnell ergriffenen und deshalb nicht ausreichend durchdachten Maßnahmen. Speziell wandte sich der Verband wie Söder gegen eine Einführung unterschiedlicher Strompreiszonen in Deutschland: Die heute einheitliche bundesweite Preiszone für den Stromhandel müsse bleiben, denn sie trage „zu einem hochliquiden und von fairem Wettbewerb geprägten Strommarkt bei, um den uns viele – insbesondere mit Blick auf die (Strom-)Terminmärkte beneiden“, sagte BDEW-Chefin Kerstin Andreae. Dem von der Bundesregierung und insbesondere von den Vertretern der norddeutschen Bundesländer angemahnten Handlungsbedarf stimmte sie dennoch zu: „Die bestehende Netzentgeltsystematik sollte überprüft werden.“

Seit Monaten streiten sich Bundes- und Landespolitiker darüber, ob und wie sie einen bisher bestehenden Nachteil bei den Stromkosten in windkraftreichen Bundesländern beenden können. Bislang geht aus dem Verlauf der Debatten noch nicht hervor, wie weit die Reform reichen soll. Der Nachteil für die vor allem in Norddeutschland gelegenen Windstrom-Bundesländer besteht darin, dass Netzbetreiber bisher in Regionen mit wenig Stromabnehmern und in Regionen mit starkem Ausbau der Erneuerbare-Energien-Anlagen für den Erhalt ihrer Stromnetze höhere Durchleitungsgebühren verlangen. Für Netzgebiete, in denen viele Windparks einspeisen oder gar ein starker Ausbau der Windkraft mit vielen neuen Netzanschlüssen stattfindet, fallen die Gebühren besonders hoch aus. Die Netzbetreiber holen sich so das Geld für die Netzanschlusskosten, für den Netzausbau zur besseren Durchleitung der zusätzlichen und wetterabhängig unsteten Grünstromeinspeisung und möglicherweise für steigende Regelungskosten beim Ausbalancieren von Stromeinspeisung und Stromverbrauch zurück. Stromkunden in norddeutschen Flächenländern bezahlen deshalb in der Regel deutlich mehr, als süddeutsche Stromkunden oder die Unternehmen und Bewohner der Stadtstaaten. Wären die Netzgebühren in allen Bundesländern gleich, müssten Stromkunden in Schleswig-Holstein beispielsweise gut ein Viertel weniger als heute dafür bezahlen – statt 480 Euro müsste eine Familie aus dem hohen Norden dann pro Jahr nur noch 350 Euro über ihre Gebühren mitfinanzieren, rechnete jetzt die Wirtschaftszeitung Handelsblatt vor.

Wie weitreichend eine Reform ausfallen könnte, ist noch unklar. Die Debatten reichen von einer Neuordnung der Netzentgelte bis zu einer Einführung unterschiedlicher Strompreiszonen. Bei unterschiedlichen Strompreiszonen würde der Handel für die vorgeschriebene Direktvermarktung der elektrischen Erzeugung an der Strombörse in mindestens zwei unterschiedlichen Zonen stattfinden. Davon könnten die Bundesländer mit hohem Windkraft- und Photovoltaik-Ausbau besonders profitieren. Die Strommarktpreise würden hier durch den besonders hohen Anteil wetterabhängig erzeugten Grünstroms günstiger ausfallen, als in der Region oder in den Regionen mit hohem Anteil fossiler Kraftwerke und ihren hohen Brennstoffkosten.

Außer dem bayerischen Landeschef haben sich in der Vergangenheit auch die Ministerpräsidenten von fünf weiteren süd- und westdeutschen Bundesländern wie zum Beispiel Baden-Württemberg, aber auch Nordrhein-Westfalen gegen unterschiedliche Strompreiszonen gewandt. In den Koalitionsparteien der Bundesregierung werden dagegen seit Wochenanfang auch Stimmen vernehmbar, die Bundesländer mit raschem Erneuerbare-Energien-Ausbau und deren Einwohnern für diese starke Grünstromerzeugung einen Vorteil zukommen zu lassen. SPD-Vize-Fraktionschef Matthias Miersch sagte mit Blick auf eine solche Strommarktreform: „Wo der erneuerbare Strom produziert wird, braucht es Entlastung und keine Belastung.“ Grünen-Energieexpertin Ingrid Nestle betonte, es sei „für ganz Deutschland wichtig, dass die Menschen vom Ausbau der erneuerbaren Energien profitieren“. Der FDP-Energie-Sprecher Michael Kruse trat für eine Orientierung „am Nutzen des Zubaus“ ein, wie der Rechercheverbund RND für mehrere Medien berichtete. Besonders „wer viel erneuerbaren Strom aus dem Norden in den Süden durchleitet“ sei zu belohnen.

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