Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Anlässlich der weltweiten Klimademo

Regierung muss aufwachen: Veraltete Klimaschutzziele

Nicole Weinhold

Gerade ging es durch die Nachrichten: Die Bundesregierung will die Energiewende voranbringen, hieß es dort. Anlass: Der Kabinettsbeschluss zum neuen EEG-Entwurf. Blickt man jedoch etwas genauer auf den Entwurf, wird schnell deutlich, dass es sich um eine Mogelpackung des Bundeswirtschaftsministeriums handelt. Denn die bisherigen - ebenfalls veralteten - Ziele lassen sich dort nur erreichen, weil des BMWi von einem sinkenden Stromverbrauch ausgeht. Und das ist leider völlig verrückt, wenn man bedenkt, dass der Klimaschutz im Verkehrssektor und bei der Wärme zumindest zum Teil durch Elektrifizierung erfolgen soll. Ganz zu schweigen von der fortschreitenden Digitalisierung.

Niklas Höhne, „Lead Author“ zu internationalen Klimaschutzmaßnahmen im vierten und fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC, erklärt, was Deutschland jetzt für den Klimaschutz leisten muss.

Klimawissenschaftler wie Sie und Professor Rahmstorf sagen, eigentlich wäre es nötig, schon bis 2030 auf null CO2-Emissionen herunterzufahren. Nicht erst 2050, wie wir es immer wieder hören. Wie kommt dieser riesige Sprung zustande?

Niklas Höhne: Die Zielsetzung der Bundesregierung beruht quasi auf dem Kenntnisstand von vor zehn Jahren, und der ist eben nicht mehr derselbe wie heute. Deshalb sind die Klimaschutzziele weitgehend veraltet. Insbesondere das Ziel für 2030, bis dahin um 55 Prozent zu reduzieren, basiert noch auf diesem alten Kenntnisstand. Das langfristige Ziel von minus 80 bis 95 Prozent bis 2050 ist ebenso veraltet. Die Bundesregierung spricht jetzt von weitgehender Klimaneutralität bis 2050. Das ist zwar mehr, aber nicht ausreichend entsprechend dem aktuellen Kenntnisstand.

Nun sagen Sie: CO2-Neutralität bis 2030 wäre eine Überforderung für die Politik, aber man sollte zumindest 2040 ins Auge fassen. Was hat sich geändert?

Niklas Höhne: Ja, 2040 wäre ein Ziel, das wir schaffen könnten. Die alte Prognose trifft heute nicht mehr zu, weil man vor zehn Jahren gedacht hat, dass die Treibhausgasemissionen weltweit stagnieren. Das war die Grundlage für diese Zielsetzung. Die Szenarien, die damals als Grundlage für die Ziele dienten, sahen eine Stagnation der globalen Emissionen vor. Aber in den vergangenen zehn Jahren sind diese global stark gestiegen. Wir haben also jetzt ein viel kleineres Treibhausgasbudget übrig, und deswegen müssen alle Länder nachlegen. Der zweite Punkt, der anders ist als vor zehn Jahren: Mit dem Klimaschutzabkommen von Paris hat sich die Weltgemeinschaft darauf geeinigt, die globale Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad zu begrenzen – oder weit unter zwei Grad, in Richtung von 1,5 Grad – und vorher war das Ziel eben nur zwei Grad. Auch das bedeutet, dass wir sehr viel weniger Budget zur Verfügung haben. Deswegen müssten alle Länder deutlich nachlegen.

Wenn man das alles mit einbezieht und dann fragt: Was wäre ein fairer Beitrag von Deutschland zum internationalen Klimaschutz? Da kommt man eben auf Größenordnungen von Nullemissionen bis 2030 oder 2035. Das wäre das, was Deutschland beitragen müsste, wenn man erstens das langfristige Klimaschutzziel ernstnimmt und zweitens, dass Deutschland eine besondere Verantwortung hat für den Klimawandel durch hohe historische Emissionen und durch die Wirtschaftskraft, die wir haben.

Aber der weltweite Energieverbrauch ist damals auch schon kontinuierlich gestiegen. Und auch die Prognosen der Internationalen Energieagentur sahen einen Anstieg voraus.

Niklas Höhne: Genau. Es gab diese Diskrepanz eigentlich schon immer. Es war immer klar, dass, wenn wir den Klimawandel begrenzen wollen, die Emissionen runtergehen müssen. Und die Vorhersagen zu dem Zeitpunkt sprachen immer von einem Anstieg der Emissionen. Das war damals so, das ist auch heute noch so. Man hatte zwar vorhergesehen, dass die Emissionen raufgehen, aber als Grundlage für die Zielsetzung ging man damals von einer Stagnation ab 2010 aus und nach 2020 von einer sinkenden Emissionskurve. Und das ist genau nicht passiert.

Die erwähnten 1,5 Grad wurden bereits vor zehn Jahren auf den Weltklimakonferenzen diskutiert, weil vor allem die Inselstaaten gesagt haben: „Wenn wir eine Chance haben wollen, brauchen wir die 1,5 Grad.“ Und jetzt sind die 1,5 Grad also für alle wichtig geworden?

Niklas Höhne: Ja, auf alle Fälle. Die 1,5 Grad wurden zunächst in der Tat sehr von den kleinen Inselstaaten propagiert, weil sie gesagt haben, dass sie bei allem über 1,5 Grad ihren gesamten Lebensraum verlieren, die Inseln können dann nicht mehr existieren. Deswegen haben sie gesagt, dass sie jedem Ziel, das über 1,5 Grad liegt, gar nicht zustimmen können – dann würden sie ihrem Untergang zustimmen. Diese Gruppe war in der Vergangenheit in der Minderheit. Im Pariser Klimaschutzabkommen hat sie sich aber durchgesetzt. Daraufhin gab es 2018 den IPCC-Sonderbericht zu 1,5 Grad. Und da steht aus meiner Sicht ziemlich klar drin, dass wir eigentlich gut bedient wären, wenn wir uns tatsächlich an die 1,5 Grad halten, weil es ein riesiger Unterschied zwischen 1,5 Grad und 2 Grad ist in den Auswirkungen, die wir zu erwarten haben. Dass wir bei zwei Grad eigentlich Zustände haben, mit denen wir nicht mehr wirklich umgehen können und die noch bei 1,5 Grad vermieden werden können. Also insofern gibt es jetzt nicht nur die kleineren Staaten, sondern auch das Bundesumweltamt zum Beispiel, das sagt, dass wir uns an 1,5 Grad halten sollten.

Sehen Sie eigentlich noch Grund für Optimismus? Die Regierung Bolsonaro in Brasilien etwa beschleunigt den Klimawandel durch Abholzung.

Niklas Höhne: Grundsätzlich bin ich noch optimistisch, dass wir es schaffen, weil wir die nötigen Mittel zur Verfügung haben. Wir wissen ja, wie es geht. Wir müssen das nur politisch umsetzen. Das Wichtigste wären aus meiner Sicht die erneuerbaren Energien. Die sind so günstig geworden wie nie zuvor, auch weiterhin sinken Preise schneller aus vorhergesagt, und das führt dazu, dass in vielen Weltregionen die Erneuerbaren konkurrenzfähig und die billigsten Optionen sind im Vergleich zu allen anderen Stromerzeugungsoptionen. Und das stimmt mich positiv, denn das ist ein Beispiel dafür, dass eine kleine Gruppe von Ländern – eben auch Deutschland – eine Technologie vorangebracht hat, die jetzt konkurrenzfähig ist auf der ganzen Welt. Das ist im Prinzip ein Modell, das man auch auf andere Technologien übertragen könnte wie die Elektroautos zum Beispiel oder CO2-freien Stahl oder energieeffiziente Gebäude. Es könnte eine kleine Gruppe von Ländern geben, die diese Technologien entwickelt, marktreif macht und so günstig macht, dass sie automatisch auf der gesamten Welt nachher umgesetzt werden. Das ist für mich das derzeit einzige Modell, das tatsächlich auch funktionieren kann und robust ist gegen solche politischen Systeme, die gegen den Wandel sind, wie zum Beispiel jetzt in Brasilien oder auch die nationale Regierung in den USA. Und selbst, wenn die nationalen Regierungen dagegen sind, können sie im Prinzip nichts machen, da die Erneuerbaren so günstig geworden sind, dass sie umgesetzt werden. Auch in den USA boomen die Erneuerbaren weiterhin und Kohle ist auf dem absteigenden Ast, obwohl die nationale Regierung eigentlich immer das Gegenteil machen will.

Wollen Sie neue Erkenntnisse zur Klimapolitik im Blick behalten? Dann abonnieren Sie doch unseren kostenlosen Newsletter! Hier können Sie sich anmelden.

Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus unserem Print-Magazin. Hier erhalten Sie ein kostenloses Probeheft unserer nächsten Ausgabe.