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Energiewende im Schraubstock

Zerstörung einer Zukunftsindustrie: 40.000 Windjobs gestrichen

Nicole Weinhold

Es war keine Bombe, die platzte. Längst war klar, dass der Zubau in der Windkraft an Land zum Erliegen gekommen ist. Er ist um 55 Prozent gegenüber 2018 und sogar um 80 Prozent gegenüber 2017 eingebrochen. Jetzt wurden die offiziellen Zahlen bei einer Pressekonferenz in Berlin bekannt gegeben. "Trostlose Bilanz für Windenergie in 2019: Verlorenes Jahr für die Energiewende" - kommentierte die Deutsche Umwelthilfe. Katja Kipping, Vorsitzende der Partei Die Linke, sagte: "Die CDU muss endlich aufhören, sich gegen den Wind zu stellen." Die Verantwortung für diese desaströse Entwicklung liege bei der Bundesregierung und bei Wirtschaftsminister Altmaier, sagte Julia Verlinden, klimapolitische Sprecherin der Grünen.

Nur 325 Windkraftanlagen installiert

Genau waren es 1.078 Megawatt (MW) mit 325 Anlagen, die im Gesamtjahr 2019 installiert wurden. Seit Einführung des EEG im Jahr 2000 wurde nicht mehr so wenig zugebaut. Knud Rehfeldt, Geschäftsführer von Deutsche Windguard, die die Zahlen für Bundesverband Windenergie (BWE) und VDMA Power Systems erhoben hat, gibt einen Überblick zu den Zahlen: durchschnittlich lag die Nennleistung bei 3,317 MW pro Anlage und bei 193 Meter Gesamthöhe der Turbinen.

Der "größte" Zubau hat in Brandenburg stattgefunden, gefolgt von Niedersachsen, NRW und Meck-Pom. Das Repowering ist ebenfalls eingebrochen: 97 MW mit 82 Windturbinen wurden abgebaut, 50 Anlagen mit 155 MW sind dafür aufgestellt werden.

Leichte Erholung bei Genehmigungen

2019 sind sechs Ausschreibungsrunden Onshore-Wind gelaufen. Nur in der letzten Runde gab es eine Überzeichnung, alle anderen waren unterzeichnet.

Die regionale Verteilung sieht so aus, dass Brandenburg die meisten Bezuschlagungen bekommen hat, gefolgt von NRW, dann Niedersachsen und schließlich Schleswig-Holstein. Beim Thema Genehmigungen gab es ein kleines positives Zeichen: 2019 wurden Genehmigungen für rund zwei GW erteilt - mehr als 2017 oder 2018. "Wir sehen eine leichte Erholung. Aber das Ausschreibungsvolumen 2019 ist nicht ausgeschöpft." 2,1 GW an nicht bezuschlagte Genehmigungen warten noch auf Ausschreibungszuschläge. Was für ein Ausschreibungsvolumen ist für die nächsten Jahre vorgesehen? 4,25 GW werden 2021 ausgeschrieben. 2022 ist es ein Ausschreibungsvolumen von 4,7 GW.

40.000 Entlassungen in der Windbranche

Nach Schätzungen der Branche ist bei wachsender Bruttostromnachfrage auch ein Zubau von rund 5.000 MW pro Jahr erforderlich, um das 65 Prozent-Ziel bis 2030 zu erreichen. Davon ist die Branche weit entfernt. Entsprechend erklärte BWE-Präsident Hermann Albers, 2019 sei der

schlechteste Zubau seit 20 Jahren gewesen. "Mittlerweile hat die Windbranche 40.000 Entlassungen in den vergangenen drei Jahren hinnehmen müssen. Diese Entwicklung kann nur mit konkreten Maßnahmen aufgehalten werden." Er verwies, der Nettozubau in der Windkraft definiere den Klimaschutz-Erfolg Deutschland. Er sei für die Pariser Klimaziele relevant.

Besserer Vorschlag als die 1.000 Meter Abstand

Als positive Entwicklung sieht er, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze sich gegen die von Peter Altmaier geforderten 1.000 Meter Pauschalabstand zur Wohnbebauung gestellt hat. Mit dieser Regelung würden 40 Prozent der potenziellen Windstandort verloren gehen. Stattdessen sei nun eine Windkraft-freundlichere Regelung im Gespräch, bei der deutlich weniger Standorte verloren gehen würden. Letztlich müsse man dazu kommen, dass jedes Bundesland hier seine eigene Regelung finde. Gleichzeitig müsse aber klar sein, dass rund zwei Prozent der Landesfläche für die Windkraft ausgewiesen werden müssten.

150 bis 170 TWh zusätzlicher Strombedarf für Wasserstoff

Tatsächlich geht die Bundesregierung von einem sinkenden Stromverbrauch in Deutschland aus, während zahlreiche Studien einen steigenden Stromverbrauch sehen. Etwa durch die Elektrifizierung der Verkehrs- und der Wärmewende. Außerdem gebe es laut einer neuen Studie einen zunehmenden Bedarf an Wasserstoff für Industrie, 150 bis 170 TWh etwa. Auch Stadtwerke planten Power to Heat wie etwas Neubrandenburg oder Power to Gas. Alles das führt zu wachsendem Strombedarf. "Wir fordern zur Kurskorrektur auf", so Albers. "Wir haben ein Wettrennen. Google, Amazon, Facebook gehören zu den Unternehmen, die sich erneuerbare Ressourcen sichern." BMW will noch für dieses Jahr 100 Prozent Erneuerbare weltweit in seiner Produktion.

Hinzu komme, so Albers, dass durch das Ende der EEG-Förderung das Problem verschärft werde. "In den nächsten vier Jahren fallen 16 GW Windleistung raus. Wir hoffen, dass diese Flächen der Altanlagen dann nicht für die Windkraft gestrichen werden."

Altmaier muss 18-Punkte-Liste endlich angehen

BWE und VDMA weisen darauf hin, das Peter Altmaier von seiner To-Do-Liste, die aus dem gemeinsamen Windgipfel hervorgegangen ist, bisher kein einziger Punkt abgearbeitet wurde. Stattdessen müssten die 18 Punkte auf der Aufgabenliste des Bundeswirtschaftsministeriums zur Stärkung der Windenergie umgesetzt werden: „Sollte der Markt auf diesem Niveau stagnieren, drohen allein durch den Wegfall der Nachfrage aus Deutschland weitere 25 Prozent der Beschäftigten wegzubrechen", erklärt Matthias Zelinger, Geschäftsführer VDMA Power Systems. "Eine Produktionsverlagerung in Exportmärkte ist dabei noch gar nicht berücksichtigt. Ohne Heimatmarkt kann Deutschland die Technologieführerschaft in der Windindustrie nicht aufrechterhalten.“

Kennzeichnung von Luftfahrthindernissen

Genehmigungshemmnisse müssten schnellstmöglich beseitigt werden. Ein erster positiver Schritt ist die angekündigte Anpassung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Kennzeichnung von Luftfahrthindernissen (AVV) zur Vermeidung von Lichtimmissionen und zum Ermöglichen von leiseren sowie höchst effizienten Windenergieanlagen. Die Länder sollten die AVV nun final verabschieden und damit rechtsverbindlich machen. Eine weitere wichtige Stellschraube sind UKW-Drehfunkfeuer, deren überzogene Prüfbereiche an internationale Standards angepasst werden müssen, um derzeit blockierte Flächen kurzfristig verfügbar zu machen.