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Wind Energy Hamburg/Siemens-Gamesa-Positionspapier

Superanlagen und Superkapazität versus EU-Wertschöpfung 

16,7 Megawatt (MW), 256 Meter Rotordurchmesser, der Prototyp wird im Dezember 2022 erscheinen, kündigte das 2004 gegründete chinesische Unternehmen China State Shipbuilding Corporation Haizhuang Windpower (CSSC Haizhuang Windpower) auf einem mannshohen Plakat vor dem Haupteingang der Messe an. Das Windturbinenwerk ist ein Tochterunternehmen des chinesischen Schiffsbaukonzerns CSSC und stellt auf seiner Internetseite bereits 14 verschiedene eigene Anlagentypen für Offshore-Windturbinen vor. Es sind unterschiedlichste Modelle in einem breiten Nennleistungsbereich von 5 bis 16 MW, die ebenso variantenreich mit unterschiedlichen Rotorgrößen ab 128 bis 256 Meter Durchmesser bestückt sind. Die 16,7-MW-Version der Anlage mit 256-Meter-Rotor ist allerdings noch nirgendwo auf der Website zu finden.

Die neu angekündigte Windenergieanlage wäre die dann zunächst größte der Welt. Ihre drei einzelnen Rotorblätter würden jeweils noch einmal um sieben Meter weiter ausgreifen, als die des schon vor einem Jahr im August 2021 von Mingyang angekündigten Modells MySE 16.0-242. Das zu den bekanntesten Windturbinenhersteller aus China gehörende Wettbewerbsunternehmen von CSSC Haizhuang Windpower, Mingyang, will den Prototyp mit 16,6 MW Nennleistung erklärtermaßen noch dieses Jahr aus der Halle rollen, ihn in der ersten Hälfte im nächsten Jahr installieren und die ersten zwei Anlagen im echten Erzeugungsbetrieb eines größeren modernen Offshore-Windparks bis 2026 ans Netz angeschlossen haben.

Jacket-Fundament für Offshore-Windenergieanlagen: Modell am Stand von Dajinoffshore aus China

Tilman Weber

Jacket-Fundament für Offshore-Windenergieanlagen: Modell am Stand von Dajinoffshore aus China

Erstmals übertreffen nun chinesische Turbinenbauer ihre Wettbewerber aus den historischen Windenergiemärkten in Europa und Nordamerika bei den Anlagenmaßen. Dabei ist der Vorsprung nicht ungewöhnlich gemessen an den bisherigen Abweichungen der Flaggschiffmaße, den die traditionellen Windenergieunternehmen untereinander zeitweise immer wieder hinnehmen müssen. So ist die größte bisher außerhalb Chinas angekündigte Windenergieanlage das Vestas-Modell V-236 mit zunächst 15 MW. Dessen Prototyp-Installation solle 2022 zumindest noch beginnen, heißt es bei Vestas derzeit offiziell. Das im Weltmarkt führende dänische Unternehmen hat dabei schon drei Großaufträge im Auftragsbuch vorvermerkt: Für die Offshore-Windparks He Dreiht in Deutschland, Baltic Power Offshore Wind sowie zuletzt pünktlich zum Messestart in Hamburg Inch Cape in den USA notierte Vestas bedingte Aufträge oder Zusagen dafür, bevorzugter Lieferant zu sein. Die zu installierende Erzeugungskapazität dieser voraussichtlich ersten Projekte für das neue Vestas-Offshore-Flaggschiff summiert sich auf 3,2 Gigawatt. Die Windturbinenbauer Siemens Gamesa mit europäischen Fertigungen in den Meereswindenergiemärkten Deutschland, Dänemark, Großbritannien und Frankreich sowie das US-amerikanische GE mit einer überwiegend auf Frankreich konzentrierten Offshore-Windkraft-Anlagenproduktion entwickeln derzeit ebenfalls noch Anlagen mit bis zu 15, zumindest aber 14 MW – wobei Siemens Gamesa bereits einen noch auf 15 MW auslegbaren Prototyp mit 222 Meter Rotordurchmesser installiert hat und diesen demnächst mit einem 236-Meter-Rotor versehen möchte, und GE den eigenen ebenfalls bereits installierten 14-MW-Prototyp mit 220 Meter Rotordurchmesser bisher auch nur in dieser Größenordnung offiziell bewirbt. Siemens Gamesa und GE haben für ihre 14-MW-Anlagen bedingte Aufträge vorzuweisen in Größenordnungen von bis zu sechs GW oder zumindest im GW-Bereich.

Doch abgesehen davon, dass die chinesische Industrie bei der Windturbinentechnologie zumindest was Anlagendimensionen angeht nun scheinbar zum Überholen setzt und nicht mehr wie noch bis vor kurzem zeitlich immer ein wenig hinterher folgt, bleiben sehr große Unterschiede bei der Präsentation der Neuentwicklungen. So hatten CSSC beziehungsweise die Windkrafttochter Haizhuang Windpower außer dem Plakataufsteller vor dem Messe-Haupteingang keine Standpräsenz wie sonst alle Hersteller, die Windturbinen oder zumindest dazugehörige Technologieneuheiten ankündigen wollten. Einzig seine Internetadresse und einen E-Mail-Kontakt zum Verkauf vermerkte CSSC als Koordinaten. Wenig mehr ließ das chinesische Antriebstechnologie-Unternehmen CRRC Yongji Electric von sich auf der Messe sehen, obwohl es im Messekatalog einen Hybridantrieb für Windturbinen bis sogar 20 MW Nennleistung präsentierte. An dem kleinen Stand in einer Hallenecke konnten drei sehr junge Mitarbeiter auf englische Fragen fast nichts antworten und übergaben ERNEUERBARE ENERGIEN lediglich einen Datenstick. Aus diesem geht hervor, dass CRRC sowohl das Hybridgretriebe als auch einen traditionellen schnelllaufenden Generator für Anlagen mit bis zu 20 MW anbiete – nicht allerdings, wann das so weit sein wird.

Am Stand des Unterwassergründungsstrukturen für Offshore-Windturbinen produzierenden Konzerns Dajinoffshore lässt das polnische Verkaufsteam für Europa im Gespräch mit ERNEUERBARE ENERGIEN durchblicken, wie die chinesische Technologieoffensive mit dem Argument neuer Anlagen-Dimensionen als auch eines besonders hohen Fertigungstempos im europäischen Markt funktionieren könnte. „Wenn der Turbinenbauer das angekündigt hat, können Sie von ausgehen, dass die Anlage zumindest in der Halle schon einmal getestet wurde und noch in diesem Jahr zu sehen sein wird“, sagt ein Verkaufskollege mit Blick auf die CSSC-Ankündigung. Viel mehr will und darf er aber nicht über mögliche Kunden sagen und damit über die gesamte chinesische Windkraftindustrie. Dajinoffshore hatte im Frühjahr die Bestellung der säulenförmigen Monopile-Fundamente für den schottischen Windpark Moray West sowie einen weiteren Auftrag zur Belieferung eines anderen noch nicht von Dajin benannten europäischen Meereswindparks bekannt gegeben. Auch eine eigene Fertigung in Europa könne sich das Unternehmen vorstellen, so hatte es zugleich mitgeteilt.

Was das Unternehmen konkret bereits an Ausstoß in China produziert und wie viel und wie schnell es künftig für immer mehr auch europäische Kunden produzieren will, dazu gibt der Pole am Dajin-Stand auch auf mehrmalige Nachfrage keine Auskunft. Nur, dass sein Arbeitgeber ein Monopile der XXXL-Klasse mit bis zu 15 Meter Durchmesser in zwei Wochen produzieren und derzeit schon ganz grob Waren mit der Masse von einer Million Tonnen pro Jahr liefern könnte. Auch für die Kunden geht es offenbar darum herauszufinden, wie schnell Dajin ganz viel bereitstellen würde: Ein englisch sprechender Standbesucher, gemäß dem vernehmbaren Akzent womöglich aus den Niederlanden, fragt für sein Anliegen vor allem die Lieferkapazitäten der Chinesen ab.

Auch bei Wettbewerbern und Marktbeobachtern aus Deutschland scheint es Konsens zu sein, dass die nun auf den europäischen und insbesondere auch deutschen Offshore-Windenergie-Markt zielenden chinesischen Akteure hierzulande mit möglichst schneller Bereitstellung von Rekordwindturbinentypen sowie Rekordproduktionskapazitäten punkten wollen. Wie mehrere auf Nachfrage erklären, kalkulieren ihre Strategen mit der Diskrepanz zwischen sehr, sehr hohen Ausbauzielen der europäischen Staaten in der Europäischen Union (EU) und den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten ihrer Windkraftindustrie im in die Krise geratenen EU-Wirtschaftsraum. Denn die europäische Windkraftindustrie kann ihre Produktion derzeit nur langsam hochfahren und damit die für den Windkraftausbau vorgegebenen politischen Ziele noch kaum bedienen. Ursache sind fehlende Schiffskapazitäten und offiziell als Pandemiebekämpfungsmaßnahme begründete zeitweise Schließungen chinesischer Container-Häfen, wirtschaftliche Sanktionen der EU gegen nicht wenige Länder, die rasante Verteuerung der Rohstoff- und Energiekosten infolge des Krieges in der Ukraine und die schnelle Abnabelung von Erdgaslieferungen des in der Ukraine kriegführenden Russland, einem auch für die Stahlherstellung wichtigen Rohstoff sowie schließlich einer eklatanten Knappheit an ausgebildetem Fachpersonal.

Während die chinesischen Wettbewerber zumindest gemäß den Vorwürfen aus der europäischen Windkraftindustrie unbegrenzte staatliche finanzielle Unterstützung für ihre Liquidität auf dem Markt erhalten – um schnell viel investieren zu können – fallen für dieselben chinesischen Unternehmen mit Sicherheit einige der für europäische Windturbinenbauer derzeit geltenden Einschränkungen weg: So warten Europas Windturbinenbauer beispielsweise auf elektronische Bauteile oder Chips sowie schlichte elektrische Schalter entweder direkt aus chinesischer oder auch aus anderer asiatischer Herstellung, die von den chinesischen Häfen aus nur noch unzuverlässig und seltener ablegen können. Im inländischen chinesischen Transportverkehr können die Bauteile hingegen sofort und in ausreichenden Mengen bei den produzierenden Firmen eingehen. Auch hat Europa die Produktion mancher wichtiger Stoffe vernachlässigt wie beispielweise sogenannter Seltener Erden, die als wichtige Inhaltsstoffe zur Produktion der Generatorenmagneten in Windenergieanlagen dienen. Das bisherige Seltene-Erden-Hauptlieferland China bremste den Export aber zuletzt etwas ab, um den nur aufwändig zu bergenden Rohstoff eher an die heimische Industrie zu liefern.

Siemens Gamesa veröffentlicht Positionspapier und fordert EU-Engagement

Windturbinenbauer Siemens Gamesa hatte daher bereits einen Tag vor Start der Windenergiemesse am Dienstag einen eigenen Aufruf an die EU-Politik und die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten für die Unterstützung und den Schutz der europäischen Windkraftindustrie veröffentlicht. In dem „Positionspapier“ genannten Acht-Seiten-Katalog verlangt das aus Hamburg heraus geführte Unternehmen, die EU und ihre Mitgliedsländer müssten die europäische Windkraftindustrie als „strategische Industrie“ wahrnehmen und behandeln. Als sogenannte strategische Industrie verstehen die EU-Länder und die Chefbehörde der Union, die EU-Kommission, alle herstellenden Unternehmen, die es für eine von einzelnen außereuropäischen Akteuren oder Ländern unabhängige Entwicklung in Europa im EU-Gebiet braucht. Strategische Industrien will die EU-Gemeinschaft aber künftig schützen oder sogar aufbauen helfen.

Für den Schutz der europäischen Windkraftindustrie sei es noch nicht zu spät. Aber bis zu einem Kipppunkt, ab dem ein Abwärtstrend in der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Windturbinenbauer unumkehrbar werde, sei es nicht mehr weit, so schreibt Siemens Gamesa. Um die von der politischen Führung in China herbeigeführten Vorteile der chinesischen Wettbewerber auszugleichen, müssten die EU-Länder und die EU fünf Maßnahmen ergreifen, heißt es in dem Positionspapier. Sie müssten erstens eine „sichtbare Projektpipeline“ für die Industrie schaffen, indem sie Genehmigungsverfahren für neue Windparks beschleunigen lasse und mehr Transparenz über zukünftige Marktvolumen schaffe. Ob dies die Politik beispielsweise durch klarer formulierte Ausbaupfade erreichen kann oder durch frühere Ausschreibungsrunden, definierte das Unternehmen dabei nicht. Zweitens plädiert Siemens Gamesa für eine „Stabilisierung der Lieferketten“ sowie für einen Inflationsausgleich in den Ausschreibungen: Eine Lieferkettenstabilisierung könnten die Regierungen beispielsweise durch Diversifizierung der Rohstoffimporte und Lieferketten von Vorprodukten erreichen. Die Regierungen würden hierfür neue Energie- und Waren-Partnerschaften sowie Handelsabkommen abschließen müssen.

Drittens müssten die Auktionen insbesondere für künftige Offshore-Windparks nicht nur einen Wettbewerb über den billigsten eingeforderten Vergütungspreis für die eingespeiste Kilowattstunde sondern auch einen Wettbewerb bei qualitativen Kriterien herbeiführen. Dies folgt dem Grundgedanken, wonach europäische und auch beispielsweise US-amerikanische Technologielieferanten bei der Gewährleistung guter Arbeitsbedingungen, höherer Ausbildungsstandards oder eher umweltschonender Fertigungen wohl besser als ihre chinesischen Wettbewerber sind. Auch handels- oder steuerrechtlich müssten die Regierungen die europäischen Unternehmen soweit unterstützen, dass sie Subventionen anderer Länder für deren Windkraftbranche ausgleichen. Oder sie müssten für dieses vierte der fünf Anliegen strenge Regeln der Präqualifikation von Anlagenlieferanten in den Ausschreibungsregeln einführen. Als fünfte Maßnahme benennt Siemens Gamesa die Anerkennung der Windkraftindustrie als strategische Industrie mit den damit einhergehenden Konsequenzen wie beispielsweise eine europaweite Erleichterung für die Rekrutierung von Facharbeitern.

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