Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Energiepolitik

Energiereise ohne Ziel

Die Energiereise scheint ohne definierte Destination zu enden. "Fachlich sind 10 bis 15 Jahre vernünftig", sagte die Kanzlerin in der ARD. Merkel erklärte nach einem ersten Überblick über die Energieszenarien im Freitag vorgelegten Gutachten, dass "die Kernenergie als Brückentechnologie wünschenswert" sei. Wenn Merkel sich dabei auf das lang erwartete Gutachten stützt, das am Wochenende in Teilen publik wurde, könnten die Atommeiler zwölf statt vier Jahre länger laufen als bisher geplant. Das Papier behauptet, dass unter diesen Umständen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 6 Mrd. Euro höher ausfallen würde. Bei 20 Jahren wären es sogar 12 Mrd. Euro. Und auch sonst scheint eitel Sonnenschein bei längeren Laufzeiten: Denn die Kohledioxid-Emissionen könnten bei einer zwölf Jahre längeren Laufzeit um zehn Prozent niedriger ausfallen. Besonders kreativ erscheint die Bewertung, dass die Industrie von sinkenden Strompreisen profitieren könnte: Denn die Gutachter gehen in dem Szenario von einem zwanzig Prozent niedrigeren Börsenstrompreis aus. Dass dies in der Vergangenheit zu keiner Zeit ursächlich von den AKWs abhing, ist nachweisbar. Denn es gab immer Zeiten, in denen viele AKWs aus Wartungs- oder Reparaturgründen vom Netz mussten, nie war der Strompreis dann besonders hoch. Er wurde auch nicht billiger als sie dann wieder am Netz waren und teilweise erhebliche zusätzliche Strommengen in die Netze lieferten.

Die Sicherheitsbedenken bei längeren Laufzeiten hatte das Energiewirtschaftliche Institut (EWI) der Uni Köln vorsichtshalber nicht mit eingerechnet. Denn die Häufigkeit der Störfälle nimmt mit zunehmendem Alter der Atommeiler erheblich zu. Und zu einem derart riskanten Thema konnte man offenbar keinen seriösen Experten finden, der versicherungsmathematisch ausreichend bewandert wäre, um die Risiken einzupreisen. Kritiker mit erfahrungsgeprüftem Fachwissen stellen schon heute in Abrede, dass es überhaupt vertretbar ist, die AKWs länger am Netz zu lassen als ihre eigentliche Laufzeit. Das liegt auch daran, dass man an vielen Stellen innerhalb der AKWs gar nicht an all die Rohrleitungen, Anschlüsse und Ventile kommt, die man modernisieren müsste, ohne die grundlegende Neukonstruktion basaler Bauteile.

Das Bundesumweltministerium (BMUNR) kommt in einer eigenen Untersuchung zu deutlich anderen Ergebnissen. Bundesumweltminister Norbert Röttgen geht auf dessen Grundlage von erheblich höheren Nachrüstaufwänden für die älteren Kraftwerke aus. Sie müssten auch früher abgeschaltet werden. Allein deshalb, weil sich ihr Betrieb nicht mehr lohne. Dann wird das BIP bei einer Verlängerung um zwanzig statt um vier Jahre nur neun Milliarden Euro höher ausfallen. Aber Risikovorsorge durch Rückstellungen werden auch hier nicht eingerechnet. Die Entsorgungsfrage hätte dann noch immer der Steuerzahler zu tragen - wie bisher schon mit einem Betrag um die 160 Milliarden in den letzten Jahren nach Angaben der ARD.

Es bleibt ein Rätsel, wie eine Naturwissenschaftlerin es "fachlich vernünftig" findet, dass so eine Entscheidung der Laufzeitenverlängerung über das geplante Maß bei einigen AKW hinaus ohne Technikfolgenabschätzung und Risikomanagement stattfinden kann. Dabei ist der gänzlich unbeweisbare Einfluß der deutschen AKW auf den Strompreis hierzulande noch das kleinere Fragezeichen, auch wenn es deutlicher in die religiöse Ecke der Gesundbeterei verweist. Auch innerhalb des Gutachten sind die Energieszenarien die die Prognos AG, EWI und die Gesellschaft für Wirtschaftliche Strukturforschung (GWS) erstellten nicht immer eindeutig in einem positiven Einfluß der AKW-Verlängerung auf den Strompreis. EWI und Prognos AG waren allerdings im Jahr 2007 bei ihren damaligen Energieszenarien zu dem Schluss gekommen, dass nur ein minimaler Stromimport von etwa 0,3 Prozent des deutschen Stromverbrauchs bis 2020 notwendig wäre, würde man wie vereinbart beim Atomausstieg bleiben. Seinerzeit waren beide Gutachter von einem Anteil der erneuerbaren Energien von 24,4 Prozent ausgegangen, die Ministerien nehmen inzwischen jedoch einen Anteil von von über 38 Prozent an, berichtet der Tagesspiegel.

Interessant wird der Preis, zu dem Merkel all die seriösen Zweifel und technischen Probleme der Sicherheit und Entsorgung an die nächsten Generationen verkauft. Es müsste zwölfstellig sein.

Quo vadis, Deutschland? (jw)