Springe auf Hauptinhalt Springe auf Hauptmenü Springe auf SiteSearch
Groko

Halbzeitbilanz: Bundesregierung lobt sich und erntet heftige Kritik

Tilman Weber

Das Kabinett der Bundesregierung hat einem gemeinsamen Bericht mit rund 80 Seiten zugestimmt, der die 300 im Koalitionsvertrag geplanten Maßnahmen zu zwei Drittel als vollendet oder zumindest als auf den Weg gebracht wertet. Bundeskanzlerin Angela Merkel ließ sich am Mittwoch mit den Worten zitieren: „Das zeigt, dass wir arbeitsfähig und arbeitswillig sind.“

Mehrere in der politischen Berichterstattung führende Medien gaben sich am selben Tag in Sendungen oder Online-Veröffentlichungen bereits recht regierungsnah, um sich dem Urteil teilweise anzuschließen. So schloss sich die Kommentatorin nach eigenen Worten mit der "A-Note" zur tatsächlichen Umsetzung des Koalitionsvertrages dem Lob an, um mit einer „B-Note“ lediglich ein schlechtes Haltungsurteil auszuteilen – eine Anspielung auf Streitigkeiten der Koalitionäre. Das erste deutsche Fernseh-Programm machte sich Sorgen: „Warum die Erfolge der Koalition nicht wahrgenommen werden“, überschrieb die ARD ihre Schnellanalyse und hob darin wohl mit Blick auf die dramatisch rückläufigen Wählerstimmen für die Koalitionsparteien die angeblich von der Regierung geleistete Fleißarbeit hervor.

"Zu keiner entscheidenden Zukunftsfrage eine überzeugende Antwort"

Scharfe Kritik kam hingegen sowohl von Umwelt- und Klimaschützern als auch von Vertretern der Erneuerbare-Energien-Branche. „Diese Regierung hat noch zu keiner der entscheidenden Zukunftsfragen dieses Landes eine überzeugende Antwort, geschweige denn eine Strategie“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Sascha Müller-Kraenner. „Sei es bei Klimaschutz, Digitalisierung, Erneuerung der Infrastruktur, dem sozialen Zusammenhalt oder der Frage für ein nachhaltiges Europa der Zukunft. Die GroKo kann nichts weiter vorlegen als eine Halbzeit-Bilanz, die sich darin erschöpft, ganz oder halb abgearbeitete Spiegelstriche zu addieren und irgendeinen prozentualen Leistungsnachweis zu errechnen. Doch Politik ist keine Mathematik – es kommt auf die Inhalte an. Über dieser Regierung lag von Anfang an kein Segen. Bitte lieber ein Ende mit Schrecken als noch zwei weitere Jahre bleierne Zeit zu Lasten von Umwelt und Verbrauchern.“

Sein Kollege im DUH-Geschäftsführungsduo, Jürgen Resch, warf der Regierung vor, sich „einmal mehr“ als „Erfüllungsgehilfe großer Industriekomplexe“ zu entpuppen. "Anstatt SUVs aus den Städten zu verbannen, werden die Stadtpanzer mit Placebo-E-Motor mit Milliarden gefördert und mit Turbo in den Markt gedrückt." Mit Verweis auf die im Klimapaket der Bundesregierung versprochene rasche Ausbreitung der Elektromobilität, zu der die Bundesregierung nach einem Gipfeltreffen mit den Autoherstellern nun Details genannt hat, sagte Resch: „Bei der Elektrifizierung der Schienentrassen geht es hingegen im Schneckentempo voran. Tatsächlich wichtige Weichen für die Verkehrswende, wie eine beschleunigte Elektrifizierung von Bahnschienen zum Lückenschluss, werden nicht gestellt.“

"Mischung aus Verzagen, Vertagen und Versagen"

Der Umweltschutzverein WWF urteilte, dass die Bundesregierung bei Umwelt- und Klimaschutz nur in kleinen Schritten vorankommt. Im Koalitionsvertrag hätten die Regierungspartner zwar noch einige ehrgeizige Punkte hierzu vereinbart. Doch das Klimapaket sei „eine Mischung aus Verzagen, Vertagen und Versagen. Der Zubau erneuerbarer Energien ist dramatisch eingebrochen. Auf dem Weg hin zu 100 Prozent Ökostrom fehlen im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gesetzlich fixierte Zwischenziele und eine Bund-Länder-Strategie, um die Flächen- und Ertragspotentiale für naturverträgliche Windenergie an Land und auf Freiflächen für Photovoltaik für die Energiewende zu nutzen. Der geplante CO2-Preis von zehn Euro pro Tonne bleibt wirkungslos. Das ändert sich auch nicht mit dem für 2025 vorgesehenen Anstieg auf 35 Euro pro Tonne CO2. Damit klimafreundliches Verhalten sich lohnt, sollte der Einstiegspreis bei 50 Euro liegen.“

Vorsichtiges Lob fürs Klimaschutzgesetz

Das im Oktober vorgestellte Klimaschutzgesetz allerdings findet der WWF nach eigenen Angaben nicht so schlecht. Der Gesetzesentwurf enthalte einige wichtige Verpflichtungen, deutete der WWF an. Dennoch wertet die Organisation auch das Klimaschutzgesetz als noch zu unscharf: Es fehlten „noch wichtige Bausteine, um die Transformation zu realisieren“. Das Gesetz müsse außerdem anders als jetzt vorgesehen nicht nur die Ziele bis 2030 sondern auch bis 2040 und speziell auch das Ziel einer Treibhausgasneutralität bei den Emissionen für 2050 enthalten. Außerdem sei einerseits die im Gesetz beschriebene Verteilung der Verantwortung für den Klimaschutz auf mehrere Ministerien ein wichtiger Fortschritt. Andererseits fehle aber noch ein „robuster Kontroll- und Nachsteuerungsmechanismus“. So solle etwa der vorgesehene Expertenrat nicht nur wie vorgesehen jährlich die Umsetzung der Klimaschutzziele beurteilen. Er müsse auch das Recht erhalten, den Ministerien bei in einem Jahr verfehlten Klimaschutzfortschritten sofort Vorschläge zu machen, wie diese ihren Rückstand aufholen können. Bisher sieht das Klimaschutzgesetz hier nur einen Beobachterstatus für den Expertenrat vor.

"Bundesregierung will Ausbau der Windenergie stoppen"

Die Grünen-Bundestagsabgeordneten Julia Verlinden und Oliver Kriescher erklärten ebenfalls am Mittwoch: „Die Bundesregierung will den Ausbau der Windenergie in Deutschland stoppen.“ Dies belege nicht zuletzt ein jetzt bekannt gewordenes Gutachten aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Dass das Gutachten den Wegfall von 40 Prozent aller Windenergienutzungsflächen als Folge der im Klimapaket angekündigten Einführung von ein Kilometer breiten Windkraft-Tabuzonen um alle Siedlungen darlege, lege sogar eine Irreführung der Öffentlichkeit nahe: „Die Pläne der Regierungskoalition sind das genaue Gegenteil von den Sonntagsreden zu Klimaschutz und Erneuerbaren-Ausbau.“

Stadtwerke kritisieren niedrigen CO2-Mindestpreis

Das Stadtwerke-Bündnis Verband kommunaler Unternehmen (VKU) nannte am Mittwoch in einer Anhörung in einem Bundestagsausschuss, er habe „erhebliche Bedenken in Hinblick auf die ausreichende Lenkungswirkung der vorliegenden CO2-Bepreisung geäußert und eine Erhöhung der fixen CO2-Bepreisung in der Anfangsphase des nationalen Emissionshandelssystems empfohlen.“ Die Kritik des VKU bezog sich dabei auf den im Klimapaket genannten Fixpreis von zunächst nur 10 Euro, den der Ausstoß des Klimagases Kohlendioxid (CO2) künftig auch im Verkehr und in der Wärmeversorgung kosten soll.

Wissenschaftler planen Schweigedemo, Motto: "Ist alles schon gesagt"

Das international auftretende Klimaschutzbündnis von Wissenschaftlern Scientists for Future kündigte derweil für Freitag nächster Woche eine Schweige-Demonstration vor dem Bundeskanzleramt an. Zur Frage, wie die Bundesregierung richtig hätte handeln müssen und jetzt handeln müsste, sei bereits „alles gesagt“, deutete das Bündnis im Aufruf zur Demo die Bedeutung des geplanten stummen Protests an. „Uns – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – macht das Regierungsversagen sprachlos.“

BWE: Bundesregierung handelt "bewusst"

Der Bundesverband Windenergie (BWE) warnte ebenfalls: „Mit einer harten Umsetzung der Abstandsregeln“ beschleunige die Bundesregierung „bewusst den weiteren Abbau von Wertschöpfung und Beschäftigung“ in der Windkraft. Diese Maßnahmen erzeugten zudem eine Ökostromlücke und gefährdeten „die Versorgung der E-Mobilität und der deutschen Industrie mit Erneuerbarer Energie“, sagte BWE-Präsident Hermann Albers.