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EnergieSystemWende

Jetzt erst recht - Fünf Antworten auf die Energiekrise

Der Schock der derzeitigen Energiekrise schafft ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für die Problematik unserer energiepolitischen Abhängigkeit. Er lässt sich vergleichen mit der Auswirkung der Nuklearkatastrophe von Fukushima 2011, nach welcher die Diskussion um den Atomausstieg (wieder) in die Mitte der Gesellschaft rückte und letztendlich parlamentarisch beschlossen wurde. Und es stellen sich entscheidende Fragen in atemberaubender Abfolge: Wie können wir uns von importiertem (russischen) Erdgas unabhängig machen? Welche Bedeutung hat die energetische Selbstversorgung von Staaten kurz- und mittelfristig im Energiesystem? Sollte eine Unabhängigkeit fossil oder erneuerbar umgesetzt werden? Wie können wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung beschleunigen? Und was muss jetzt getan werden für eine beschleunigte EnergieSystemWende?

Die Antworten darauf werden Politik und Gesellschaft noch lange beschäftigen. Wichtig ist dabei, den Schock nicht für einen Rückfall in alte Paradigmen zu nutzen, sondern jetzt allen Mut und Tatendrang aufzubringen, die EnergieSystemWende umso entschlossener anzugehen. Fünf Leitideen sollten dabei berücksichtigt werden:

1.       Kein Rückzug in die fossile Sackgasse

Aktuelle Bestrebungen, Gaskraftwerke durch eine Verlängerung der Laufzeiten von Kohle- und Atomkraftwerken zu ersetzen, sowie LNG-Infrastruktur erheblich auszubauen bedeuten einen Rückzug in die fossile Sackgasse. Und zwar aus mehreren Gründen:

Die Gefahr besteht zunächst darin, dass sich veraltete und auf fossiler Energie basierende Denkweisen durchsetzen, und so eine stärkere Nutzung von Atom- und Kohlekraftwerken erwirken. Damit würde der gesellschaftspolitische Konsens des Atom- und Kohlekraftausstiegs gebrochen werden.

Vor allem aber würden sich diese Verlängerungen vornehmlich auf den Strommarkt auswirken, der primär nicht von Gas bestimmt wird. Die Atom- und Kohlekraftwerke stellen Grundlast bereit, die die Spitzenlast von Gaskraftwerken nicht ersetzen kann. Die Folge wäre eine stärkere Abregelung von Erneuerbaren Erzeugern, was die Attraktivität von Investitionen in diese nachhaltigen Technologien kurz- und mittelfristig senken und damit die Ausbaukapazitäten bremsen könnte. Dieser Weg ist also nicht mit dem erstrebten Erneuerbaren Energiesystem kompatibel.

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Diese Pläne erscheinen auch deshalb fragwürdig, da Russland zwar mit 55% den größten Teil des nach Deutschland importierten Erdgases stellt, aber lediglich 14% des importierten Erdgases zur Stromerzeugung genutzt werden. Die größere Herausforderung liegt somit im Gebäudewärmesektor, in welchem rund 50% der Häuser mit Gas geheizt werden.

Der Ausbau der LNG-Infrastruktur ist schließlich auch keine nachhaltige Lösung. Erdgas wird dann als Energieträger nicht ersetzt, sondern von anderen Lieferanten bezogen, wodurch neue Abhängigkeiten geschaffen werden. Auch aus klimapolitischer Sicht ist die Nutzung von Erdgas problematisch, da Fracking-Gas eine Treibhausgasbilanz aufweisen kann, die der von Kohle ähnlich ist. Letztendlich bleibt die Frage offen, wie LNG-Infrastruktur in das zukünftige regenerative Energiesystem passen soll, zumal ein Wechsel auf Wasserstoffimporte mit dieser Infrastruktur mit technischen Hindernissen verbunden ist.

2.      Gestrandete Investitionen a la Nordstream 2 vermeiden

Verlaufen die nötigen Investitionen innerhalb weniger Jahre im Sande, deren Summe dann z.B. für die energetische Sanierung im Gebäudebereich fehlt? Zu Beginn der Russlandkrise konnte die Regierung spontan 100 Milliarden Euro bereitstellen, um die Bundeswehr besser auszurüsten. Für die Verlängerung von Atom- und Kohlekraftwerken sowie einen Ausbau der LNG-Infrastruktur müssten ebenfalls eine hohe Investitionssummen (und dazu die laufenden Kosten) bereitgestellt werden. Mehr Investitionen in den Weiterbetrieb oder sogar Neubau fossiler Technologien zu stecken, verzögert den dringend notwendigen Wandel. Der Ausstieg aus der fossilen Energieversorgung wird damit zusätzlich erschwert, verteuert und führt zu gestrandeten Investitionen. Das Aus für Nordstream 2 steht dabei exemplarisch für die verfehlte Energiepolitik der letzten Jahrzehnte und ist ein Mahnmal für Fehlinvestitionen in eine fossile Infrastruktur.

Derartige, gestrandete Investitionen müssen dringend vermieden werden. Was könnten solche Investitionssummen bewirken, wenn sie jetzt für die Klimakrise und die Abwendung des Klimakollapses aktiviert würden? Könnten die 200 Milliarden, die Bundesfinanzminister Lindner für 2026 für Klimaschutz vorschlägt, heute investiert werden, könnte die Energiewende maßgeblich beschleunigt werden: Es könnten rund 20 Millionen Wärmepumpen installiert werden, was immerhin den Großteil der Gasheizungen in Deutschland ersetzen könnte. Alternativ könnte die Photovoltaik-Kapazität mit einer Installation von 200 GW beinahe vervierfacht werden.

3.      Ran an den Wärmesektor

Die Wärmeversorgung auf Haushaltsebene wird zu beinahe 50% durch Erdgas gedeckt, wodurch Kunden aktuell besonders unter den Preisanstiegen von Erdgas zu leiden haben. Ein Abwenden von fossilem Gas als Energieträger ist hier sowohl aus klimapolitischer als auch als sicherheitspolitischer Perspektive notwendig und sollte in den Fokus der Debatte rücken. Es gilt, die Wärmewende anzustoßen und zu beschleunigen. Für eine nachhaltige Absenkung des Gasbedarfs sollten verschiedene Maßnahmen in Betracht gezogen werden. Beispiele dafür sind:

·         Ein Ausbauprogramm für einen ambitionierten und zügigen Wärmepumpen-Roll-Out, flankiert von ambitionierteren Ausbauzielen für Erneuerbare Energien, um dem höheren Strombedarf zu kompensieren

·     Die Förderung einer Warmwasservorheizung durch die Installation von Wärmepumpen für neu eingebauten Gasthermen

·     Ein zügiger Ausstieg aus Öl- und Kohleheizungen sowie Einbaustopp von Erdgasthermen

·     Eine mietkostenneutrale Erhöhung der energetischen Sanierungsrate von Bestandsgebäuden

4.      Bildungsinitiative starten und Fachkräfte stärken

Weiterhin sollten Gelder für Bildungsinitiativen bereitgestellt werden: Eine Ausbildungs- und Umschulungsoffensive für Fachkräfte im Sanierungs- und Wärmebereich ist nötig, um die erforderlichen Kapazitäten für den Umbauprozess bereitzustellen. Zusätzlich sollte das Angebot der Energieberatungsgespräche ausgebaut werden, welche auch Einsparpotentiale für Erdgas, Resilienz gegenüber Preissteigerungen und die langfristigen Optionen für eine klimafreundliche Sanierung adressieren.

Da diese Änderungen dezentral auf Seite der Bestandsgebäude stattfinden und die Umsetzung Jahrzehnte dauern kann, ist es besonders wichtig, die aktuelle Stimmung zu mehr Unabhängigkeit vom Erdgas aufzufangen und als Zündkerze für die Wärmewende zu nutzen. Insbesondere hinsichtlich der Diskussion über die wichtigen sozialen Ausgleiche von Energiekostenbelastungen könnte es sinnvoll sein, von staatlicher Seite Energiesanierungen zusammen mit Ausgleichszahlungen anzubieten. Weiterhin sollten, so wie von der Bundesregierung vorgeschlagen, Vermieter*innen an den Heizkosten der Mieter*innen beteiligt werden. Dies würde verhindern, dass die Mietpartei durch mangelnde Energieeffizienz übermäßig belastet wird, während sie selbst keine Möglichkeit der energetischen Sanierung hat. 

5.       Mehr Erneuerbare für heimischen Strom

Eine forcierte Wärmewende wird sich auch auf den Entwicklungspfad der Erneuerbaren auswirken. Die Bedarfssteigerung durch die Sektorenkopplung durch Wärmepumpen muss vorausschauend mit einem gesteigerten Ausbau von Erneuerbarer Erzeugungskapazität begegnet werden. Um den Ausbau dieser Erneuerbaren Erzeugungskapazitäten zu planen, braucht es eine realistische Einschätzung der zukünftig benötigten Strommengen. Die von der Bundesregierung angesetzten 750 TWh Strombedarf sind hier zu wenig. Bereits vor dem Ukrainekrieg gingen Energieexpert*innen von bis zu 1.200 TWh Strombedarf in 2030 aus. Ein zusätzlich beschleunigter Einstieg in eine fossilfreie Wärmeversorgung gelingt nur mit einer flächendeckenden Elektrifizierung und realistischen Zielgrößen für den zukünftigen Energiebedarf. Darüber hinaus müssen auch Speichertechnologien und ein flexibler Strommarkt an Bedeutung gewinnen, da diese nötig sind, um das Erneuerbare Erzeugungspotential ideal zu nutzen und den Bedarf an die Spitzenlast-Gaskraftwerke senken.

Fazit: Krise zur Chance machen und Transformation beschleunigen

Die Russlandkrise führt uns schockartig vor Augen, dass der Aufbruch ins Erneuerbare Energiesystem nicht nur aus klimapolitischen, sondern auch aus sicherheitspolitischen Gründen unerlässlich ist. Wir sind gut beraten, diesen Schock nicht mit einem Rückfall in fossil-atomare Zeiten zu übersetzen. Wir brauchen keine Investitionsgräber, sondern eine konsequente Transformation des Energiesystems.  Wir sehen im Anstoß der Wärmewende und einen massiv beschleunigten Ausbau von Erneuerbaren die nachhaltige Antwort auf die aktuelle Energiekrise. Statt hohe Summen in den Ausbau fossiler Infrastruktur zu stecken, können erneuerbare Projekte langfristig die Abhängigkeit senken.

Wenn wir die Krise als Chance begreifen, kann eine gemeinsame politische und gesellschaftliche Anstrengung so ein emissionsfreies Energiesystem  bis spätestens zu Anfang des nächsten Jahrzehnts ermöglichen! Jetzt erst recht.

Autor*innen:

Martha Hoffmann forscht am RLS-Graduiertenkolleg an der Umsetzung einer sozial gerechten und akzeptierten Energiewende. Der Fokus liegt dabei in der Integration von Aspekten der Verteilungsgerechtigkeit in Energiesystemmodelle.

Ricardo Reibsch forscht am RLS-Graduiertenkolleg an neuen Anwendungen für Speichertechnologien. Im Fokus steht die Rolle dezentraler Batteriespeichersysteme zum Gelingen der Energiesystemwende in Niederspannungsnetzen unter Einbeziehung von Elektromobilität und elektrischen Wärmeerzeugern.