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Offshore-Windenergie: Gewaltige Ausbaupläne werden zur logistischen Herausforderung

Planungsmittel von 4,2 Millionen Euro und eine Planungszeit von 18 Monaten sollen in Bremerhaven beim zweiten Anlauf für eine Punktlandung sorgen. Die Bremer Senatsverwaltung für Wissenschaft und Häfen erteilte der Hafengesellschaft des Bundeslandes, Bremenports, im Juni den Auftrag, ein Konzept für einen Energiehafen mit zwei wichtigen zukünftigen Funktionen zu erarbeiten. Bremenports-Pressesprecher Holger Bruns nennt die Herausforderung „hochleistungssportlich“.
Das Konzept soll sich vor allem auf eine Hafenanlage mit einer Anlegestelle zum Be- und Entladen von grünem Wasserstoff konzentrieren sowie auf eine weitere Hafenanlage zum Umschlag sehr, sehr großer Turbinenkomponenten, wie Bruns skizziert. Im Herbst 2024 müsste die Politik das Planfeststellungsverfahren einleiten, um ab Ende 2025 mit dem Bau der Hafenanlagen beginnen und die Umschlag-Infrastruktur zwei bis drei Jahre später in Betrieb nehmen zu können. Das wäre gerade noch 2027 oder auch erst Ende 2028.


Hafenausbau Bremerhaven auf die Minute
Es dürfte keinen Moment später sein: 2028 wird sich die erste Ausbauwelle der geplanten Installationen von 22 Gigawatt (GW) bis 2030 auftürmen, um 30 GW Erzeugungskapazität in der deutschen Nord- und Ostsee zu erreichen und bis 2035 einen 40-GW-Bestand. Schon 2028 werden 1,8 GW ans Netz gehen und die ersten Fundamente für den noch viel gewaltigeren Ausbau ab 2029 ins Meer kommen. 2029 werden 5,5 GW folgen und 2030 sogar Turbinen mit 9,5 GW Nennleistung neu einspeisen. Es wird zweieinhalb bis vier Mal mehr Zubau geben als im bisher besten deutschen Offshore-Ausbaujahr 2015. Und die Anlagen werden schwerer und größer.
Zwar liegen die Pläne eines größeren Hafenausbaus in Bremerhaven schon in der Schublade, seit der Bau eines Offshore-Terminals 2013 gescheitert war und später die Bundesregierung den Meereswindkraftausbau bremste. Doch die Anforderungen an den notwendigen Schwerlastkai sind angesichts verdoppelter Komponentenlängen und Gewichte überholt, auch frühere Umschlagkaikanten sind hierfür nicht mehr zu gebrauchen. 240 Hektar Fläche stehen für den Energy Port und ein Gewerbegebiet für „grüne“ Unternehmen zur Verfügung, auch Batterieproduktionsanlagen oder das Recycling von Altanlagen gehören zu den Überlegungen, rechnet Bruns vor.
Die Organisation der Offshore-Windkraft-Wirtschaft, WAB, hat die gesamte Herkulesaufgabe der Offshore-Windkraft-Logistik im Blick. Alleine der Ausbau der Hafeninfrastruktur in Bremerhaven wird wohl Investitionen von mehr als einer halben Milliarde Euro erfordern, die ohne finanzielle Hilfe vom Bund kaum zusammenkommen dürften. Nicht nur für Bremerhaven und den Umschlagstandort Cuxhaven sieht die Wirtschaftsorganisation dringenden Ausbaubedarf. Für Cuxhaven sagte das Land Niedersachsen im Januar schon 100 Millionen Euro für drei insgesamt 300 Millionen Euro teure Schwerklastkais zu, weil hier mehrere Offshore-Windenergie-Unternehmen sitzen. Insbesondere betreibt dort Siemens Gamesa das einzige Werk in Deutschland für Offshore-Windturbinen-Maschinenhäuser. Aber auch in Emden, Wilhelmshaven und Nordenham müssten Hafenanlagen „kurz- bis mittelfristig“ entstehen, sagt WAB-Geschäftsführerin Heike Winkler.
Die WAB beteiligt sich mit ihrer Expertise nun an einem vom Bundeswirtschaftsministerium geführten Dialog der Branchenakteure „über industrielle Produktionskapazitäten“, um die Voraussetzungen für den gesetzlich vorgegebenen Ausbauschub zu ermitteln. „Wie erreichen wir die Ausbauziele für Wind Offshore?“, lautet der Arbeitstitel. Auch der Mangel an Errichterschiffen für kommende Turbinengrößen mit mehr als 2.000 Tonnen schweren Stahlzylinderfundamenten und ab 120 Meter langen Rotorblättern steht im Fokus. Allerdings sind sich WAB und der Schiffbauverband VSM einig, dass es zum ausreichend schnellen Aufstocken der Schiffs- oder Umspannstationenproduktion nur mit staatlichen Kreditfinanzierungen kommen wird.


Die Hafenstrategie kommt nicht vor 2024
Doch die Bundesregierung hat noch nicht einmal ihre versprochene Hafenstrategie als Voraussetzung für Mittel aus dem Bundeshaushalt geschrieben. Im Dezember 2024 will sie ihre Strategie nun fertig haben und veröffentlichen.
Allerdings benötigt der deutsche Offshore-­Windkraftausbau mehr Antworten auf seine Logistikfragen als nur die zum Kapazitätenausbau. Björn Wittek empfiehlt einen Umgang mit Hafenkapazitäten wie in anderen Branchen erprobt. „Die optimale Terminalauslastung im gewöhnlichen Hafengeschäft ist eine leichte Überbuchung“, sagt der Geschäftsführer von Rhenus Offshore Logistics in Bremen. Das Logistik-Dienstleistungsunternehmen hilft Kunden wie zum Beispiel Häfen und Offshore-Windparks bei logistischen Aufgaben, setzt Fahrzeuge und Schiffe oder Container wie auch Fachkräfte ein. Wittek empfiehlt einen Mentalitätswechsel, der Verträge zur Nutzung der Kaikanten vorsieht, wonach sich Verzögerungen im Ablauf einzelner Projekte oder Zeitgewinne bei anderen Projekten flexibel handhaben lassen. Entschädigungen für Verschiebungen im Terminplan des nächsten Kai- oder Kran-nutzenden Unternehmens regeln die Geschäftsbedingungen. Exklusive Liege- oder Umschlagplätze kosteten hierbei höhere Hafengebühren.
Wittek will auch Komponenten-Lagerplätze in etwas größeren Distanzen zum Kai als bisher in Betracht ziehen. Bei ausreichender Ausstattung mit Komponentenfahrzeugen und guter Zeitplanung ließen sich Komponenten auch aus Kilometer ins Landesinnere reichenden Arealen als Just-in-Time-Umschlag heranholen: mit Verladefähigkeit ab dem Moment der ersten Löschvorgänge.
Besonders gewinnt die Branche wohl auch Logistikspielräume durch immer größere Errichterschiffe. Deren Wetterfenster zum Errichten von Unterwasserfundamenten oder zum Aufsetzen von Turbinentürmen und Rotorblättern öffnen sich länger, weil die Schiffe mit immer mehr Tiefgang weniger in den Wellen schwanken.
Die 216 Meter lange Orion war im vorigen Jahr bei der Errichtung der 110 Meter langen Stahlrohrfundamente des Windparks Arcadis Ost 1 in der Ostsee im Einsatz. Ein spezielles Greifersystem kann die quer über Bord liegenden 2.000-Tonnen-Monopiles umgreifen und langsam in die Senkrechte stellen, um sie dann in den Meeresboden zu treiben. Ebenfalls im Arcadis-Ost-1-Windfeld war auch das Turbinenerrichterschiff Thialf von Heerema im Einsatz und montierte mit einem Kran an Bord den Windturbinenturm, das Maschinenhaus und die Rotorblätter, um mit dem anderen Kran die vormontierte ganze Turbine auf das Fundament zu setzen. Erstmals testete Windparkunternehmen Parkwind dabei das Thialf-Schwimmkonzept. Es erlaubt es, auf ausfahrende Schiffsstandbeine zu verzichten, die sich sonst zur Stabilisierung auf den Meeresboden stemmen.
Andere Innovationen, um die Wetterfenster zu vergrößern oder um sie effektiver zu nutzen, nimmt Jürgen Mackeprang in Augenschein. Der Seniorberater des Ingenieursdienstleistungsunternehmens Deutsche Offshore Consult (DOC) war Testpilot des Spezial-Wartungsschiffes Acta Auriga für den Windpark Bard Offshore 1 in der Nordsee. Das Schiff ist nicht zum Errichten von Windparks, sondern für die Anfahrt von Serviceteams im Einsatz. Sein „motionkontrolliertes“ Zugangssystem lässt Mitarbeitende auch noch bei bis zu drei Meter Wellenhöhe vom Schiff zur Offshore-Windenergieanlage hinüberkommen. Denn die Technik hält die Zugangsbrücke nicht nur gegen das Auf und Ab der Wellen, sondern auch gegen Seitwärtsbewegungen des Schiffes stabil.
Mackeprang ist mit DOC auch an einem Forschungsprojekt des Fraunhofer Windenergieinstituts (Fraunhofer IWES) beteiligt, das den Schiffsverkehr aufs Nötige reduzieren soll. Mit einem sogenannten funkgestützten automatischen Identifikationssystem (AIS) auf Schiffen sollen Aufzeichnungen und Berechnungen der Schiffsbewegungsdaten, von Ladungsdaten, Wetterdaten und Tagesberichten von den Schiffen aufzeigen, wo im Instandhaltungsservice zu viele Schiffe zum Einsatz kommen. Die Beteiligten des Forschungsprojekts wollen so auch ermitteln, bis zu welcher Größe Windpark-Cluster die Instandhaltungslogistik reduzieren.


Schiffsmonitoring und mehr Innovationen
Im zweiten Schritt soll das Log Review genannte Forschungsprojekt aufzeigen, wo sich Schiffskapazitäten zwischen verschiedenen Parkbetreibern teilen lassen oder wie künftig vielleicht sogar mehr Schiffsverkehr in dichterer Abfolge durch Trassen in der Nordsee fahren kann.
Die Offshore-Logistik-Abteilung des Fraunhofer IWES wiederum nennt reduzierte Wetterrisiken, verbesserte Installationskonzepte und eine Feinabstimmung mit der Fischereiwirtschaft als weitere Ziele der AIS-Technik. Im Hafen könnten dagegen andere Digitalisierungs- und Automatisierungskonzepte die Lagernutzung und logistischen Vorgänge optimieren, ist der Gruppenleiter für Offshore-Logistik, Jonas Kaczenski, überzeugt. Zu verbessern gibt es in der Offshore-Windkraft-Logistik durchaus viel, geht es nach der Zahl der Forschungsprojekte dieser IWES-Sparte. In zehn entweder schon abgeschlossenen oder bereits gestarteten Projekten hat sie bisher die logistische Bewältigung der bevorstehenden Ausbauwelle in den Blick genommen.
Vielleicht könnten ja sogar Regionalhäfen mit geografischen Revieren sowie Einbahnstraßen-Schiffsrouten den logistischen Aufwand weiter reduzieren, weil dies Zufahrtswege verkürzt und Schiffsstaus ausschließt. Doch der sehr hohe Abstimmungsbedarf zwischen vielen Beteiligten und Wettbewerbern dürfte dann teuer sein.
Holger Matthiesen ist in Sachen geteilter Hafenflächen, Schiffskapazitäten oder Kaizeiten skeptisch. Für große Offshore-Windparks geht er für das Tochterunternehmen Mainstream Renewables des norwegischen Konzerns Aker Horizons bei entsprechendem Wetter von der Beladung eines Errichterschiffes mit vier bis fünf Windenergieanlagen pro Tag aus, um dann abzulegen und ein bis zwei Tage nach der Installation wieder einzulaufen. Mit standardisierten Turbinenkomponenten und standardisierten Schiffen könnten die Lade- und Standzeiten weiter zurückgehen. Fundamente wie Monopiles müssten künftig zum Start ihrer Errichtung direkt im Baufeld ankommen, ohne Umweg über einen Basishafen, sagt Matthiesen. Mainstream Renewables arbeitet aktuell daran, ein Projekt auch in Deutschland anzustoßen und es 2024 zusammen mit einem Partnerunternehmen in eine Ausschreibung einzubringen.
Vielleicht kann diese Strategie schon vom Feederstock-Konzept profitieren, das 2022 ein Konsortium für den US-Markt bekannt gegeben hat. Hier nimmt ein spezielles Errichterschiff immer wieder die Bauteile einer neuen Turbine in seiner Mitte auf, setzt die Turbine und rückt weiter zum nächsten Fundament vor. Gebaut wie ein zweiteiliger Katamaran kann das Errichterschiff in seiner Mitte eine Zubringerplattform aufnehmen und beim Ausjacken der Standbeine mit anheben. Nach dem Turbinensetzen lässt es den Zubringer wieder zu Wasser, der dann neue Ladung holt, während es selbst zum nächsten Monopile weiterzieht.