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Energiestrategie 2030 auf der Kippe

Brandenburg kann von Kohle nicht lassen

Gerber will bis 2030 den CO2-Ausstoß des Landes nicht mehr um 80 Prozent sondern nur noch um mindestens 55 Prozent reduziert sehen. Indirekt räumt der Spitzenpolitiker des Landes damit nicht nur das Scheitern eines Versprechens des rot-roten Koalitionsvertrages von 2014 ein, sondern auch das der offiziellen brandenburgischen Energiestrategie 2030, in der das Klimaziel bereits steht. Eine öffentliche Stellungnahme des Ministeriums zu dem offenbar derzeit noch im brandenburgischen Wirtschaftsministerium geprüften Schwenk hat es zwar bisher noch nicht gegeben. Doch nach einem Bericht des Wochenmagazins Der Spiegel über die von eigenen Redakteuren entdeckte Neujustierung der Klimapolitik hatten Mitte Juli mehrere größere regionale Tageszeitungen die Volte gegen die landeseigene Klimapolitik bestätigt. Widerspruch zeigten bisher weder das Wirtschaftsministerium noch das Regierungskabinett an.

Die neue Position des Wirtschaftsministers geht freilich einher mit der Fertigstellung einer Studie des Analyseinstituts Prognos am 13. Juli. Das hat im Auftrag des Wirtschaftsministeriums die Realisierungswahrscheinlichkeit der brandenburgischen Energiestrategie 2030 untersucht. Dabei kommen die Prognosedienstleister zum Ergebnis, dass bei bloßer Fortschreibung bisher eingeleiteter politischer Reformen und bekannt gegebener Pläne der Energiekonzerne die Emissionen von Kohlendioxid (CO2) bis 2030 nur um 55 Prozent auf 41 Millionen Tonnen im Vergleich zum Bezugsjahr 1990 zurückgehen werden. De facto würde in Brandenburg damit nach Ablauf des nächsten Jahrzehnts fast doppelt so viel Klimagift in die Luft gelangen wie bisher für 2030 klimapolitisch vorgesehen: Rund 25 Millionen Tonnen CO2.  

Die Prognos-Studie beschreibt drei Szenarien. Dem vom Wirtschaftsministerium nun offenbar favorisierten Basiszenario stellt Prognos zwei weitere Szenarien gegenüber, die mit den Zielen des Klimaschutzplanes der Bundesregierung oder mit den Zielen der klimapolitischen Übereinkunft des Pariser Klimagipfels der Vereinten Nationen von 2015 übereinstimmen: Würden die Fortschritte beim Klimaschutz in Brandenburg bloß mit dem Erreichen des Klimaschutzplanes einhergehen, ergäben sich laut dem mittleren Szenario die in der Energiestrategie 2030 angelegten Emissionsreduktionen auf einen Ausstoß von jährlich nur noch 25 Millionen Tonnen. Sollte die Klimapolitik hingegen die Erderwärmung wie in Paris vereinbart bis Ende des Jahrhunderts auf höchstens zwei Grad Celsius begrenzen, müssten Brandenburgs Emissionen auf 20 Millionen Tonnen CO2 sinken – besagt das andere Szenario zur ehrgeizigsten möglichen Klimapolitik in Brandenburg.

Laut den Medienberichten feilt das Wirtschaftsministerium auch an einer Begründung. Diese lehnt sich auffällig an die Pläne der inzwischen als LEAG umfirmierten Kohlekraft-Gesellschaft an, die sowohl die Braunkohle-Tagebaue als auch die Kohlekraftwerke in Brandenburg betreibt. 2016 hatte der schwedische Energiekonzern Vattenfall seine ostdeutschen Kohleunternehmungen an einen tschechischen Konzern verkauft. Dieser benannte das daraus entstandene Tochterunternehmen in LEAG um und gab inzwischen auch veränderte Planungen für die Kohlenutzung in Brandenburg bekannt. Demnach beendet LEAG den Tagebau Jänschwalde bereits 2023 und verzichtete auf den künftigen Abbau in dem bereits geplanten künftigen Tagebaugebiet Jänschwalde Nord.  Eine Entscheidung über eine dritte Grube wurde auf 2020 verschoben. Das Kraftwerk Jänschwalde, das zu den dreckigsten CO2-Schleudern Europas gehört, soll hingegen doch nicht durch einen Neubau ersetzt werden, der mit unterirdischer Speicherung von CO2 die Klimabilanz der bisherigen Kohleverstromung verbessern soll. Stattdessen soll das jetzige Alt-Kraftwerk Jänschwalde sogar bis 2033 in Betrieb bleiben.

Zudem würde die Beschränkung auf das 41-Millionen-Tonnen-Ziel sogar die Kohleverstromung in Brandenburg noch über 2040 hinaus zulassen. Das aber wäre gleich doppelt pikant. Denn die drei Minister der Partei Die Linke im Kabinett und die Linke-Fraktion hatten sich zum bisherigen Ziel der Bundespartei bereits bekannt, einen vollständigen Ausstieg aus der Kohlekraft in Deutschland bis 2040 zu erreichen. Im neuen Wahlprogramm für die Bundestagswahl im September hat die Linke zudem ihre Forderung nach dem Ausstieg aus der Kohle sogar noch einmal verschärft und auf 2035 vorgezogen.  

Als Begründung für den radikalen Schnitt bei den Klimaschutzambitionen lässt Minister Gerber auch eine angeblich unerwartet gute Industrieentwicklung des Landes sowie eine Zunahme des Verkehrs auf Brandenburgs Straßen anführen. Offiziell hat der Minister bisher nur in einer Rede vor der Landesorganisation des Bundesverbands Windenergie (BWE) den Schwenk zumindest angedeutet: Am 13 Juli sagte er in einer Rede vor dem Branchentag des BWE in Potsdam, es sei „utopisch anzunehmen, dass wir alsbald aus Atomkraft und Braunkohle aussteigen können“.

Die brandenburgische Grünen-Bundestagsageordnete Annalena Baerbock hat derweil mit einem offenen Brief die drei Linke-Minister im rot-roten Kabinett in Potsdam auf den offenen Widerspruch der Pläne des SPD-Kabinettskollegen mit den Wahlkampfzielen der Linken hingewiesen. Sie forderte die Linke-Regierungsmitglieder darin zum Widerstand gegen Gerbers Vorhaben auf.

Allerdings geben erste Äußerungen aus den Reihen der Landtagsfraktion bisher wenig Anlass zu Hoffnung auf genau solchen Widerstand. So beschränkte sich laut Tagesspiegel der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag, Thomas Domres, darauf, den Vorstoß Gerbers als „Überlegungen eines SPD-Ressorts“ klein zu reden. Diese seien daher längst nicht verbindlich. Domres soll dann allerdings die Aussicht auf einen Widerspruch durch die Linke auf das bisherige Ausbleiben von Zustimmung für Gerbers Pläne beschränkt haben. So sagte der parlamentarische Linken-Geschäftsführer: „Ob es die gemeinsame Sichtweise in der Koalition und in der Regierung sein wird, ist offen“.

Linken-Fraktionschef Ralf Christoffers gab sich sogar verständnisvoll mit der im Wirtschaftsministerium nun demonstrierten Skepsis zur eigenen Energiestrategie 2030. Die rot-rote Koalition werde wohl ihre selbst gesteckten Klimaschutzziele nicht schaffen, lässt sich Christoffers in den Potsdamer Neueste Nachrichten zitieren. Noch evaluiere die Landesregierung ihre aktuelle Energiestrategie. Dann beklagte sich der Chef der Linke-Landesparlamentarier: „Der Kohleausstieg ist längst da“. Und dennoch werde „Diskussion um Jahreszahlen … manchmal mit einer förmlich religiösen Inbrunst geführt“. Christoffers vertrat die Position, dass nach der Bundestagswahl  in Potsdam zu prüfen sei, wie die neue Bundesregierung sich klimapolitisch aufstelle. Danach könne er erst sagen, ob das rot-rote Klimaziel im Koalitionsvertrag noch gelte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rot-Rot von der Koalitionsvereinbarung über die Reduktion der CO2-Emissionen abweichen müsse, sei allerdings „hoch.“

(Tilman Weber)