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Kommentar EWEA

Freier Stromhandel ist noch keine europäische Windenergie-Vision

Nein, es war nicht Google-Chef Larry Page oder dessen Kollege bei Microsoft, Satya Nadella. Von Ihnen wäre derartiger Pathos für die nicht so unwahrscheinliche Situation vorstellbar, dass sie nun größer ins von beiden Konzernen schon in Angriff genommene Windstromgeschäft einsteigen wollten. Mit großen Sätzen wie dem zitierten würden sie versuchen von der Politik sofort Unterstützung zu erhalten. Es würde dank US-amerikanischem Pathos und in Gewissheit der eigenen Einflusskraft auf die Politik auch vielleicht gelingen.

Gesagt hat es EWEA-Geschäftsführer Thomas Becker. Und um es vorwegzunehmen: Das macht es ernüchternd. Denn die Worte sollen ein neues Positionspapier des Verbands mit Forderungen zur Umgestaltung des europäischen Stromsystems in die politische Diskussion einbringen. Doch sie kontrastieren bei EWEA auffällig mit geringer Einflusskraft und fehlender Vision.

EWEA-Positionspapier: Fünf Hauptforderungen und drei Leuchtturmziele

Der Reihe nach: In dem zu Wochenbeginn veröffentlichten Papier steht ja einiges Kluges: Der Windenergieverband ruft darin die Europäische Union (EU) dazu auf, die Mitgliedsländer zum Abbau für Windkraft hinderlicher Barrieren zu drängen. Im Einzelnen stellte Thomas Becker mehrere Hauptforderungen vor: Eine verlässliche Gesetzgebung, die Bereitstellung von Energiesicherheit, die Vollendung des EU-Energiemarktes, die Unterstützung technologischer Entwicklung und des Geschäftes mit dieser – und schlussendlich die Bekämpfung des Klimawandels. Als konkrete Projekte verlangte der EWEA-CEO im Sinne des Positionspapiers drei Leuchtturmvorhaben: einen 500-Megawatt-Meereswindpark in Polen bis 2020 – es wäre das erste Offshore-Projekt des osteuropäischen Landes, das mutmaßlich als dann zwölfte Offshore-Windkraftnation Europas antreten würde. Einen Ausbau der Interkonnektoren bis 2030 soweit, dass die Netze 20 Prozent der Stromlast über ihre nationalen Grenzen hinweg austauschen können. Und drittens Verwendung von Einnahmen des europäischen Emissionshandels zur Entwicklung „innovativer Technologien“.

Es sind konstruktive Vorschläge, ja. Doch entfalten EWEA-Chef Becker und Europas Windenergieverband mit dem Papier nur annähernd die Visionskraft, wie sie den US-amerikanischen Internet-Tycoons zuzutrauen wäre?

Den Forderungen fehlt die Visionskraft

Nein. Beckers glänzende Worte geben nur oberflächlich Vision und Kraft vor. Denn: Welche Aussagekraft entfaltet denn im Ernst ein Sammelsurium an Forderungen, das von einem 500-MW-Offshore-Windpark in Polen – angesichts EWEAs 2020-Prognosen für die Offshore-Windkraft von 40 Gigawatt allein in Europa nur niedlich zu nennen – bis zur allgemeinen Bekämpfung des Klimawandels reicht? Wie wirkt diese Forderung aus dem Munde des Chefsprechers der traditionsreichen europäischen Windenergiebranche: Die EU solle einen gemeinsamen einzigen Energie-Markt schaffen, der nationale Märkte obsolet werden lasse – „ohne die Souveränität der Mitgliedsstaaten zu zerstören”? Hat die EU das nicht ohnehin vor, muss aber gerade aus Furcht der Nationen um ihre Souveränität in der Energiepolitik auf den Gesamt-Europa-Strommarkt verzichten? Nicht zuletzt die wirtschaftlich führenden Staaten wollen ja wohl die Herrschaft ihrer eigenen Energiekonzerne in diesem Markt gewahrt sehen und plädieren daher auf nationale Einflüsse.

Auch der folgende Satz Beckers wirkt unfreiwillig komisch: „Elektrizität ist das letzte Gut in Europa, das nicht frei gehandelt wird. Wir können Orangen aus Spanien kaufen, Rentiere aus Schweden, aber Strom steht nicht zum Verkauf.“ Das ist einprägsam, aber der Satz könnte ebenso von Händlern des Billigstroms aus alten dreckigen Kohlemeilern stammen.

Das Problem der fehlenden Öffentlichkeitswirkung eines europäischen Branchenauftritts liegt indes tief. Schon vor dreieinhalb Jahren, noch vor dem Amtsantritt Beckers, fiel EWEA mit seltsam inhaltsleerer Visionsrhetorik auf: Die direkt vor der Jahreskonferenz EWEA 2011 geschehene Havarie des Atomreaktors im japanischen Fukushima hatte auf dieser wenig Wiederhall in den Eröffnungsreden gefunden. Während der deutsche Windkraftverband mit anderen Erneuerbaren-Verbänden und der Anti-Atomkraft-Bewegung die Gelegenheit zu politischem Druck ergriffen hatte und Berlin mit einem weltweit einzigartig konsequenten Atomausstieg reagierte, war dasselbe für EWEA scheint´s eher Tabuthema.

Frei verfügbare Slogans sind keine Windenergie-Ziele

All das macht eine Unfähigkeit sichtbar, übergeordnete Großziele zu propagieren. Ein solches könnte die Umstellung der Stromversorgung bis 2050 auf 80 Prozent Erneuerbare sein – ähnlich der Zielsetzung Deutschlands. Das könnten ein kompletter Atomausstieg und der Ersatz dieser Kraftwerksarbeit komplett durch Windkraft sein. Oder auch nur die Aufgabe, bis 2030 alle Systemdienstleistungen – also die Lieferung von Qualitätsstrom und einer die natürlichen Schwankungen der Windstromeinspeisung ausgleichenden Regelleistung selbst zu wuppen.

Es hat eben keine Visionskraft, stattdessen in öffentlichen Debatten siegreiche Slogans zu kapern – und dann zu hoffen, dass die mächtigen Autoren dieser Sätze dann auch die eigenen Unterziele mit unterstützen – und zwar mehr als nur den polnischen Windpark. Es ist keine Windenergie- Botschaft, wenn nach Unabhängigkeit vom russischen Gas gerufen wird – statt nach Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen zur Beendigung unzähliger Kriege überall auf der Welt. Ganz abgesehen davon, dass die Windkraft eigentlich stark auf Gas als flexiblen Ausgleichsenergieträger setzen will und mit Flüssiggas aus anderen Quellen nicht der Umwelt dient. Es hat keine Wind-Überzeugungskraft nach unbegrenztem Stromhandel zu rufen, um der Freiheit von Strom zu dienen. Stattdessen ließe sich nach Interkonnektoren rufen, mit dem Ziel technisch für regionale Grünstrom-Erzeugung in Bürgerhand Voraussetzungen zu schaffen, die heute nur Atom- und Kohlekraftwerke an den großen Trassen haben.

Lobbyarbeit ist gut ist Lobbyarbeit

Es geht nicht um freien Stromhandel auch für britische Atommeiler und polnische Kohlekraftwerke. Es geht um Markt und Netz, die speziell auf regenerative Erzeugung zugeschnitten sind und ihr die natürlich benötigte Erzeugungsflexibiliät 100-prozentig erlaubt. Und es geht nicht darum, das zu denken, sondern das um den Preis des Streits mit anderen Interessen auch zu sagen. Um Lobbyarbeit eben.

(Tilman Weber)

Das Foto mit dem Namen "Stommasten mittig" lässt sich auch bei pixelio herunterladen (ohne Gewähr).