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VKU-Stadtwerkekongress

Versorger fordern Schutzschirm für Wärme-, Verkehrs-, Daten- und Stromwende

Die Programme der kommunalen Versorger decken inzwischen einen so vielfältigen und breiten Bereich ab und sind dabei jeweils so innovativ, dass sich zum Beispiel drei Stadtwerke-Geschäftsführer mit unterhaltsamen Kurzpräsentationen jeweils dreier Neuentwicklungen in jeweils drei Drei-Minuten-Blöcken gut voneinander unterscheiden können. Das war beim Stadtwerkekongress in Leipzig des Verbands Kommunaler Unternehmen (VKU) am Dienstag zu erfahren, als die CEO der Stadtwerke Münster, Konstanz und Emscher Lippe Energie (ELE) als Verbundunternehmen der Städte Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck in diesem Format dem Kongress-Publikum in steter Abwechslung eine Innovation nach der anderen vorstellten.

Die mitgebrachten Geschäftsmodelle decken ein Feld ab, das bei ELE bei der im Sommer erfolgten Einführung eines Verleihsystems für 100 digital buchbaren Elektro-Vespa-Roller anfängt und bis zur Verpachtung von Nachtspeicheröfen an die Bürger reicht, wobei die Stadtwerke mittels intelligenter Steuerungseinheit die Bespeisung von Nachtspeicherheizungen in den Privatwohnungen an die Stromnetzlast-Situation anpassen können. Hier müssen die Kunden keine Technik kaufen sondern pachten, bescheren so aber den Stadtwerken verlässliche dauerhafte Einnahmen. Bei den Stadtwerken Münster steckt das aktuelle Spielfeld der neuen Geschäftsmodelle auf der einen Seite die nun gestartete und bis 2030 anvisierte, flächendeckende Ausstattung des gesamten Stadtgebiets mit schnellem Glasfaserinternet durch das Telekommunikationsunternehmen Telekom als Partner ab. Wobei die Telekom eine Pacht und für jeden Kunden eine Gebühr an die Stadtwerke bezahlt und eine neue Bodenmanagement-Sparte nun Geld damit verdient, dass sie die Erde vor der Verlegung ausräumt, sie reinigt und danach wieder einfüllt – und diesen Service auch privaten Tiefbauunternehmen im Stadtgebiet anbietet. Am anderen Ende seiner Innovationsspielwiese projektiert der Münsteraner kommunale Versorger den Einbau zweier Großwärmepumpen im Gas- und Dampfkraftwerk Hafenkraftwerk mit jeweils zwei Megawatt (MW) Wärmeleistung. Ihre Installation soll ab Ende 2023 erfolgen – und Abwärme aus dem Kraftwerk verdichten und ins Fernwärmenetz einspeisen genauso wie Wärme aus dem Wasser in einem vorbeiführenden Kanal entziehen, so dass der Wasserlauf um zwei Grad abkühlt. Und in Konstanz reicht sie von der Einführung einer Premium-Kunden-Abokarte zur Nutzung von Rheinfähren, Bodenseeausflugsschiffen, Öffentlichem Personen-Nahverkehr und Bussen, von Bädern und vielleicht bald auch Theater- und weiteren Kulturangeboten bis zur Versorgung eines neuen Wohngebietes mit Glasfaserkabel-Fernsehen, das 500 TV-Programme aus Deutschland, Österreich und der Schweiz empfangen lässt.    

Gemeinsam ist den innovativen Programmen, dass sie noch nicht den ganz großen Wurf bedeuten, um die Stadtwerke schon als zentrale Dienstleister, Infrastrukturausrüster und Projektentwickler für die Nachhaltigkeitsziele der Kommunen zu positionieren. Aber mit ihren neuen Konzepten stellen die kommunalen Versorger sich im wettbewerblichen Umfeld des Energiemarktes auf die mutmaßlich richtigen Gleise – und erschließen sich wichtige neue Zugänge zu den Energiekunden der Zukunft, wie von Referenten auf gleich mehreren der Kongresspodien zu hören war.

Gemeinsam ist diesen Programmen auch, dass die kommunalen Versorger damit unter einer besonders widrigen Lage ihre Handlungsoptionen aufrecht zu erhalten suchen. Die Programme sollen einen Start in die neue Nachhaltigkeitsversorgung der Städte ermöglichen, ohne dass bereits die großen Versorgungskonzepte erarbeitet und durch kommunale Parlamente genehmigt sind. Und zugleich sollen sie den Knoten lösen lassen, der sich gerade zuzieht, weil die nur schwer zu erreichenden öffentliche Klimaschutzziele einerseits und die bestehenden Engpässe bei Personal, Investitionsmitteln, dem wichtigen Energierohstoff Erdgas und in den Technologie-Lieferketten andererseits sich aktuell vermeintlich unauflöslich entgegenwirken.

„Das Glasfaserausbauprogramm hilft uns, an die Wohnungswirtschaft heranzukommen“, sagte Stadtwerke-Konstanz-Geschäftsführer Norbert Reuter auf dem Podium ans Experten-Publikum aus der Stadtwerkeszene gerichtet. „Die Entwicklungsdauer des Programms ist zwar mit einigen Jahren zu veranschlagen, aber der Prozess dafür verlief iterativ“, sagte Hölscher. Damit verdeutlichte er nach eigenen Angaben, wie der Versorger der mit nur wenig Industrieansiedlungen ausgestatteten Universitätsstadt ohne zu riskanten Aufwand das Innovationskonzept stemmen kann. Die in Vorbereitung befindliche Premiumkarte für Bürger zur Nutzung gleich einer Vielfalt der Angebote öffentlicher Daseinsfürsorge stärke zudem die Bindung der Energiekunden an das Unternehmen. Gemeint ist: Denn wer den Versorger aufgrund kurzfristig anziehender Energiepreise wechseln würde, würde auch die Premium-Card-Vorzüge wieder verlieren und sich neue Apps für die jeweiligen Einzelangebote organisieren müssen.

Ob die Kundenbindung durch solche Konzepte größer sein wird, als die durch rasch ansteigende Strom- und Gaskosten als Folge des Ukrainekriegs und der damit einhergehenden Abnabelung der Länder in der Europäischen Union vom dort Krieg führenden Russland als bisherigem Haupterdgaslieferland, wird sich erweisen müssen.

Doch wie sehr die für Stadtwerke kritische Energieversorgungssituation den kommunalen Versorgern zu schaffen macht und doch damit die aktuelle Strategie einer breiten Innovationsoffensive in mehr oder weniger kleinen Schritten bestätigt, belegte auch der Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke, Maik Piehler. Der referierte in seinem „Praxischeck“ genannten Beitrag über die im wechselseitigen Zusammenspiel mit der Stadtpolitik vorankommende Nachhaltigkeitswende des Leipziger Versorgers. 2023 will die Stadtpolitik etwas verspätet ihren kommunalen Wärmeplan verabschieden, was damit den Stadtwerken neue Aufgaben und klare Geschäftsperspektiven zuschustern dürfte. Das Ziel einer 50-prozentigen Versorgung der Kernstadt mit künftig grüner Fernwärme ist gesetzt, derzeit versorgt die durch ein Kohlekraftwerk des Energieunternehmens Leag bereit gestellte Fernwärme einen Anteil von knapp 30 Prozent. Allerdings bauen die Stadtwerke derzeit ein Erdgaskraftwerk auf, das als Deutschlands erstes vollständig wasserstofffähiges Großkraftwerk gilt und in Zukunft nur mit dem rein durch Grünstrom-Elektrolyse erzeugbaren Energieträger befeuert werden soll. Ein großer Wärmekessel zur Verstetigung der Fernwärmeversorgung aus künftig unregelmäßig weil wetterabhängig vorhandenem Grünstrom ist ebenfalls im Bau. Und gemeinsam mit dem französischen Energiekonzern EDF und Wasserstofftechnologie-Lieferant Siemens entwickeln die Stadtwerke Leipzig bereits das Projekt zum Aufbau eines eigenen großen Elektrolyseurs zur Herstellung grünen Wasserstoffs.

Nur, wie und wann ist Erdgas nach Beendigung der Auseinandersetzung mit dem Erdgaslieferanten Russland wieder zu bezahlbaren Preisen und ausreichenden Mengen verfügbar? Zuletzt sah sich die Stadtpolitik Leipzig gezwungen, die Fernwärmelieferung aus dem Braunkohlekraftwerk zu verlängern. Die Lieferengpässe dürften ohnehin die aktuellen Ausbauprojekte verlängern. Und wie die Stadtwerke ausreichend Rohstoff für ihre Erdgaskunden im Stadtgebiet besorgen, ist wie bei vielen anderen kommunalen Versorgern in Deutschland bestenfalls in der sprichwörtlichen Glaskugel nur klar abzusehen. Von der damit unklaren Ausgangssituation der Pläne und Konzepte der Leipziger will Stadtwerke-Chef Piehler allerdings sich nicht beunruhigen lassen: „Wir werden unsere Angebote weiter auf verschiedenen Wertschöpfungsstufen diversifizieren“, sagt er mit Blick auf den kommenden Wärmeplan und damit verbundene mittel- bis langfristige Geschäftsperspektiven. Kurzfristig könne der Versorger sich auf den Zugriff auf einen breiten Mix der Energieversorgung verlassen - dank ausgerechnet der zuletzt, entgegen bisherigen Plänen verlängerten Fernwärmelieferung durch das Leag-Braunkohlekraftwerk. Außerdem erwarte er, dass Bürger und Unternehmen durch Appelle und Preissignale ihren Gasverbrauch in der kommenden versorgungskritischen Kälteperiode einschränken werden: „Die Wirkung der Preissignale auf den Verbrauch sehen wir schon jetzt“, sagte Piehl.

Auch bei der Versorgung von Wohnquartieren mit neuen Energieerzeugungstechnologien, Sektorkopplungsanlagen zur Umnutzung überschüssigen Grünstroms in der Wärme- und insbesondere auch in der Energieversorgung für den Verkehr oder mit Datenleitungen sind die Stadtwerke inzwischen zentrale Akteure mit vielversprechenden Geschäftsmodellen. Dies stellten die Referenten im Panel „Quartiere: Der Schlüssel zur Klimawende?!“ klar. So schildete der Vorstandsvorsitzende der Berliner Gasag AG, Georg Friedrichs. So gründete die Gasag inzwischen eine Unternehmenseinheit speziell für Quartiere, die als „neue Schöpfung“ sowohl das Engineering betreibt – also die technologische Entwicklung der Quartierskonzepte –, als auch den Grünschnittdienst mitsamt wohl anstehender Energieverwertung von Ästen, Laub, Rasenabfällen und Co., die Versorgung mit Mobilität und die Vernetzung der Wohnungen als Energieeinheiten im Rahmen einer intelligenten effizienten Quartiersversorgung. Die Einheit sei wie „ein Stadtwerk im Stadtwerk“, sagte Friedrichs.

Auch der Vorstand des badischen Versorgers Badenova, Heinz-Werner Hölscher, berichtete im Quartiere-Panel von der Chance der Stadtwerke darin, zusammenhängende Wohngebiete gemeinschaftlich als Energieeinheiten zu behandeln und sie dank guter neuer Technologien effizient und für die Versorger wirtschaftlich mit Energie zu versorgen. Künftig werde es zudem darum gehen, die Quartiere als Energieversorgungsinseln zu verknüpfen und mit Energiequellen wie Industrieunternehmen als Abwärmelieferanten beispielsweise durch die sogenannte Standleitung zu verbinden, lautet eine der Erklärungen des Unternehmens, das mehr als 100 Kommunen im süd- und mittelbadischen Rheintal gehört.

Allerdings machten die Versorger in Andeutungen in ihren Vorträgen sowie in persönlichen Einzelgesprächen an Kaffee- und Mittagstischen sowie Sitzgruppen in Hintergrundgesprächen auf Nachfrage auch deutlich, wie die Kapazitätsengpässe sie zugleich beständig bremsen. So müssten sie Personal und Geldmittel in den Umbau der Gasversorgung und auch die technologische Umrüstung ihrer Gasinfrastruktur für eine höhere Versorgungseffizienz stecken, hieß es da von Seiten eines großen Stadtwerks: Kapazitäten, die nun im Aufbau neuer Geschäftsmodelle fehlten.

Zugleich sorgen viele neue Ungewissheiten infolge der wirtschaftlichen Kriegsfolgen dafür, dass Banken nur noch schwer oder zögerlich Fremdkapital zur Fortfinanzierung der Programme an die Stadtwerke ausgeben. So informierte der VKU die Stadtwerke auf dem Kongress, dass gemäß Umfragen ärmere Privathaushalte in einem Bereich von 8 bis 15 Prozent aufgrund allgemeiner Inflation und steigender Energiekosten von der persönlichen Zahlungsunfähigkeit bedroht seien und damit deren Ausfall als Zahlende droht. Auch Firmeninsolvenzen könnten eine Folge der aktuellen Energiekrise sein und die Bilanzen der Stadtwerke belasten. Zudem sind auch die Kosten und Zeitpläne der Projekte langfristig unkalkulierbar – angesichts der Lieferkettenengpässe auf den ebenfalls gestörten Welthandelsbeziehungen mit vielen Ländern, die durch logistische Probleme infolge der Coronapandemie-Auswirkungen zusätzlich unter Druck geraten. Die Kosten der Energieversorgung sind ebenso unberechenbar, weil die Energiehandelsmärkte verrücktspielen und weil Unternehmen und Privathaushalte zu kurzfristig handelnden Billiganbietern wechseln könnten, sobald die Krise vorüber ist. Denn dann werden die Stadtwerke die Mehrkosten aus eher langfristigen Energierohstoffeinkaufsverträgen noch weiterreichen müssen.

So fordern die kommunalen Versorger nun einen Rettungsschirm durch die Bundesregierung für ihre Unternehmen, der ihnen zumindest schon einmal die Fremdkapitalfinanzierung für ihre Projekte absichern soll. Unterstützt wurden sie nun vom Deutschen Städtetag. Der forderte am Mittwoch, dem zweiten Tag des VKU-Kongresses, ein gesondertes Hilfsprogramm in einem Brief an den Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfinanzminister Christian Lindner. Das Programm müsse einen staatlichen Bürgschaftsrahmen, Liquiditätshilfen zur Energiebeschaffung und Hilfe bei drohenden Zahlungsausfällen anbieten, heißt es darin. Erste Städte hätten ihre Versorger bereits stützen müssen.

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