Die Offshore-Windkraft in Deutschland steht vor einem Wendepunkt: Ab 2040 laufen die ersten Betriebsgenehmigungen großer Windparks aus. Nach aktueller Rechtslage wäre dann nach 25 Jahren Schluss – unabhängig davon, ob die Anlagen technisch und wirtschaftlich noch weiterbetrieben werden könnten. Zwei neue Studien rücken diesen Punkt ins Zentrum der energiepolitischen Debatte: eine Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme (IWES) im Auftrag des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sowie ein ergänzendes Positionspapier der EnBW.
Beide Analysen kommen zu demselben Schluss: Ein möglichst langer Weiterbetrieb bestehender Anlagen verspricht deutliche Vorteile – sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch.
Was die BDEW-Studie zeigt
Der BDEW hat die Frage nach der optimalen Nutzungsdauer erstmals systematisch untersuchen lassen. Am Beispiel eines Offshore-Clusters in der deutschen Nordsee wurden verschiedene Szenarien modelliert – vom sofortigen Rückbau nach 25 Jahren bis zu einem gestaffelten Weiterbetrieb von bis zu 35 Jahren.
Bewertet wurden neben den Stromerträgen auch Investitions- und Betriebskosten, Ausfallraten, Rückbau- und Neubaukosten, Brachzeiten für Flächen sowie die Belastungen für Schiffe, Logistik und Lieferketten.
Das Ergebnis:
Längere Laufzeiten steigern Erträge – durch die Nutzung bestehender Kapazitäten über die ursprünglich angesetzten Genehmigungszeiträume hinaus.
Volkswirtschaftliche Kosten sinken, da Rückbau und Neubau später und gestaffelt erfolgen, was Investitionsspitzen abfedert.
Ökologische Vorteile entstehen, da weniger vorzeitige Eingriffe in Meeresflächen erfolgen und Flächen brachliegen.
Lieferketten und Hafenlogistik werden entlastet, da der Rück- und Neubau nicht gleichzeitig, sondern zeitlich versetzt erfolgt.
Besonders relevant ist hierbei die Cluster-Logik: Oft teilen sich mehrere Parks mit unterschiedlichen Laufzeiten eine Netzanbindung. Ohne Koordination würden Rückbau, Stillstand und Neubau zu Versorgungslücken und höheren Kosten führen. Die Studie plädiert deshalb für einen koordinierten Weiterbetrieb innerhalb der Cluster, bevor schrittweise Rückbau und Erneuerung stattfinden.
Der BDEW fordert auf dieser Basis, die geltende 25-Jahre-Regel aufzuweichen und Anlagen rechtlich wie technisch die Chance auf Verlängerung zu geben.
Was EnBW will
Auch die EnBW, einer der größten Offshore-Betreiber Deutschlands, schließt sich der BDEW-Forderung an. Allerdings setzt das Unternehmen einen eigenen Akzent: Für die Karlsruher Energiegesellschaft steht der möglichst lange Weiterbetrieb im Vordergrund, während eine synchrone Außerbetriebnahme in Clustern nur „nachgelagert“ eine Rolle spielen sollte.
Michael Splett, Leiter Betrieb Offshore Wind bei EnBW, verweist auf drei Kategorien von Vorteilen:
Wirtschaftlich: Zusätzliche Terawattstunden lassen sich ohne neue Großinvestitionen erzeugen. Rückbau, Neubau und Netzanschluss werden verzögert, vorhandene Ressourcen besser ausgeschöpft.Ökologisch: Eine verlängerte Lebensdauer reduziert Eingriffe in das Ökosystem und erhöht die Ressourceneffizienz eingesetzter Materialien.Praktisch-logistisch: Ein gleichzeitiger Austausch vieler Anlagen würde dringend benötigte Spezialschiffe, Hafenflächen und Personal überlasten. Zeitlich gestaffelte Rückbaupläne sorgen für planbare und realisierbare Abläufe.Ein Beispiel liefert die Hafeninfrastruktur: Würden viele Windparks zur gleichen Zeit stillgelegt und ersetzt, entstünden Engpässe bei Lagerflächen und Transportkapazitäten. Der gestreckte Weiterbetrieb hingegen verteilt die Arbeitslast über Jahre hinweg.
Ein gemeinsames Ziel: Effizienz, Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit
Beide Studien eint die Kernbotschaft, dass in der nutzungsintensiven Offshore-Windenergie Lebensdauerverlängerung vor Rückbau stehen sollte. Das gilt sowohl aus betriebswirtschaftlicher Sicht – um hohe Investitionskosten und Stromgestehungskosten zu vermeiden – als auch aus umwelt- und versorgungspolitischer Sicht.
Mit Blick auf den geplanten massiven Ausbau der Offshore-Windenergie in Deutschland – bis 2030 sollen 30 GW erreicht werden, bis 2045 sogar 70 GW – ist diese Diskussion entscheidend. Denn jede Verlängerung bestehender Parks mindert kurzfristig den Druck auf Investitionsvolumen, Lieferketten und Meeresökosysteme.
Während der BDEW vor allem den koordinierten Weiterbetrieb als neuen Standard fordert, betont die EnBW, dass die technische Lebensdauer der einzelnen Anlagen im Zentrum der Entscheidung stehen sollte. Der gemeinsame Nenner bleibt jedoch: Ein rigider Rückbau nach 25 Jahren wäre ineffizient und in vielen Fällen kontraproduktiv.
Die Laufzeitfrage wird in den kommenden Jahren eine Schlüsselfrage für die Offshore-Windkraft in Deutschland sein. Die BDEW-Studie zeigt, dass eine Verlängerung bis zu 35 Jahre technisch und wirtschaftlich sinnvoll ist. Die EnBW verstärkt diese Argumentation, indem sie mit Nachdruck auf den praktischen Nutzen des maximal möglichen Weiterbetriebs verweist.
Für Politik und Genehmigungsbehörden bedeutet dies: Sie müssen Rahmenbedingungen schaffen, die flexible Laufzeitmodelle zulassen, anstatt starr an der 25-Jahre-Regel festzuhalten. Denn jede zusätzliche Stunde Betriebszeit spart Kosten, schont Ressourcen und bringt die Energiewende ein Stück schneller voran.